Ein persönlicher Abschlussbericht.
Wenn ich derzeit durch meine Filterblase schwebe und versuche, auch dorthin zu kommen, wo ich eher selten bin, dann fällt mir etwas ganz besonders auf: das heillose Durcheinander. Greta-Fans versus Greta-Kritiker kriegen sich mächtig in die Haare (mich, trotz fehlender Haarpracht, ausdrücklich miteingeschlossen), und es dauert nicht lange, bis die Systemfrage im Raum steht.
Ich glaube, da läuft einiges durcheinander.
Aber der nicht chronologischen Reihe nach.
Gute Greta, böse Greta
Schon von Beginn der Medienpräsenz von Greta Thunberg an gab es zwei Lager. Die einen feierten sie als mutige Jugendliche, die sich für die Umkehr der Klimakatastrophe stark macht. Die anderen sahen sie als reine PR-Figur, die keine Möglichkeit auslässt, sich und ihr Anliegen zu vermarkten (wobei das Anliegen Klimaschutz ja nicht zu den schlechtesten gehört, die man sich auf die Fahne schreiben kann).
Eine dritte Gruppe sah Greta als Opfer ihres Umfeldes, die es zwar gut meint, aber gnadenlos von Leuten über den Tisch gezogen wird, die sich davon Profit versprechen (etwa durch den Verkauf von Büchern und was nicht noch alles). Ich fühle mich übrigens der Gruppe zugehörig, die sich die Aktivitäten von Greta erst einmal eine Weile angesehen haben, das wäre dann die vierte Gruppe.
Klar war schnell, dass es irgendwie nicht möglich war (warum eigentlich nicht?), zu Greta eine neutrale Meinung zu haben. Das ist verwunderlich, aber offenbar nicht zu ändern. Dass neben Kritik an Greta und ihren Auftritten auch viel Häme, Verhöhnung und sogar Hass ausgeschüttet wurde, ist allerdings bei allem Verständnis für mein Empfinden eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte.
Ich schließe nicht aus, dass für derlei Angriffe dieselben Leute verantwortlich sind, die beklagen, dass bei „Deutschland sucht den Super-Star“ junge Menschen öffentlich gedemütigt werden. Für eine Greta Thunberg fühlen sich diese Kritiker aber scheinbar nicht verantwortlich.
Sei‘s drum, alles in allem wäre ein freundlicherer Umgang mit Greta sicherlich das Zeichen guter Erziehung und angemessener Umgangsformen gewesen. Aber im Zeitalter von Facebook & Co. spielen derlei Charaktereigenschaften offenbar keine so große Rolle mehr.
Warum genau Greta Thunberg eine Person ist, die man mit derlei heftigen Emotionen belegen muss, erschließt sich mir jedenfalls auch heute immer noch nicht.
CO2-Greta? AKW-Greta?
Was auch immer Greta sagt, es hat Gewicht, selbst bei ihren Kritikern. Und so wundert es nicht, dass die Empörung groß war, als sie sich scheinbar für den Einsatz von Atomkraft aussprach. Ich kann nicht beurteilen, was sie genau gesagt hat und was nicht, aber laut „Welt“ ist sie nach einer Aussage zurückgerudert Auf „sozialismus.info“ wird sie dagegen folgendermaßen zitiert:
Aber ich meine, Atomkraft ist nicht die Zukunft. Sie ist nicht erneuerbar. Aber nach Meinung des Weltklimarats, nicht meiner Meinung nach, nach Meinung des Weltklimarats, kann Atomkraft ein kleiner Teil einer großen Lösung für Energie ohne fossile Brennstoffe sein […] Aber ich meine, Atomkraft ist sehr gefährlich, teuer und zeitaufwendig.
Wie auch immer. Ruckzuck war Greta in den Augen ihrer Kritiker für Atomkraft. Und deshalb erst recht zu verurteilen.
Nun ja, steile These.
Und dann gibt es da ja noch die CO2-Steuer, die jetzt heftig diskutiert wird. Ich kann mich nicht erinnern, dass Greta Thunberg diese Steuer gefordert hätte. Zugeschrieben wird sie ihr aber allemal, zumindest von denen, die sowieso schon ein blitzendes Auge auf die junge Frau geworfen haben, die sich hinstellt und die Mächtigen (und Ohnmächtigen) beschwört, sie mögen in Panik geraten.
Die CO2-Steuer ist kritisch zu bewerten, ohne Frage. Zum einen, weil sie weder kurz- noch mittel- noch langfristig augenscheinlich positive Auswirkungen auf das Klima hat (das sich bekanntlich nicht die Bohne für Steuern interessiert). Vielmehr muss man befürchten, dass die Einnahmen dieser Steuer in alles Mögliche gesteckt werden, aber nicht in die Rettung des Klimas. Denn Steuereinnahmen sind nicht zweckgebunden, sie können also für alles Erdenkliche ausgegeben werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass „der kleine Mann“ seinen Obolus (wie hoch er denn auch ausfallen möge, für viele wird das spürbar unangenehm werden) auf irgendwelchen verschlungenen Wegen zurückbekommt, kann als unwahrscheinlich oder eher absurd eingestuft werden.
Nun aber Greta Thunberg für die CO2-Steuer verantwortlich zu machen, ist in höchstem Maße ungerechtfertigt. Hätte sie sich hingestellt und laut diese Form der Steuer gefordert, könnte man das von allen möglichen Seiten beleuchten, auch ohne Wohlwollen. Aber so war es ja nicht.
Also wird Greta Thunberg für etwas verantwortlich gemacht, weil sie etwas anderes gefordert hat: den Einsatz für die Klimarettung. Die Herleitung von Gretas Forderung nach dem Schutz des Klimas zur heiß diskutierten CO2-Steuer erscheint mir dann doch ziemlich weit hergeholt.
Greta, die Systemkritikerin, die das System nicht richtig kritisiert
Auf Facebook habe ich folgendes Zitat von Greta gepostet:
Unser Klima wird für den Luxus einer kleinen Zahl von Menschen geopfert, denen das Unsummen an Geld einbringt. Und wenn ihr erklärt, dass das in diesem System sich nicht ändern lässt, sollten wir das System ändern. Wir erwarten die Lösungen nicht mehr von Euch! Ihr habt die Probleme in der Vergangenheit ignoriert und werdet sie weiter ignorieren! Aber Lösungen werden kommen, die Macht gehört den Menschen!
Eigentlich hätte ich nicht gedacht, dass die Reaktionen auf das Posting so heftig ausfallen würden, aber genau so war es. Schon kurze Zeit nach dem Post kommentierte ein Facebook-Kontakt, dass uns diese Greta letztlich nur die CO2-Steuer eingebracht hätte (die wir, nur der Vollständigkeit halber, ja noch gar nicht haben). Ein weiterer Kommentar lautete:
…wie möchte sie denn das System ändern? Dazu müsste man das Militär auf seiner Seite haben – denn mit den ‚demokratischen‘ Basisstrukturen wird sich absolut nichts ändern lassen. Warum erinnert mich Gretas Inszenierung an einen weiblich installierten Kinder-Adolf? Es sind dieselben Wirkmechanismen wie einst erkennbar – nur sie hat Recht, nur sie spricht Wahrheit, nur sie personifiziert das Gute – alle Skeptiker sind dann mal wieder Verschwörungstheoretiker, böse Klimawandelleugner und überhaupt – schlimme Zeitgenossen, auf die man, natürlich im Namen des Guten, draufknüppeln kann 😢 Hier spielt man mal wieder die Karte der Massenpsychologie aus, ändern wird sich am Klima … nichts! Es geht ausschließlich ums Kapital und um nichts anderes. Aber wenn Emotionen im Weg sind, möchte man nur zu gerne glauben, es wäre für alle hilfreich – es ist aber nur für ‚alle‘ hilfreich, die eh schon auf der Sonnenseite des Kapitals stehen. Der Rest wird gezielt noch weiter abgehängt 😠
Da dieser Kommentar so dermaßen albern und darüber hinaus geschmacklos ist („Kinder-Adolf“, über diese Formulierung will der Kommentator intensiv nachgedacht und sich dann dafür entschieden haben), lasse ich ihn kommentarlos hier stehen, aber nicht ohne den Hinweis an die Kommentatoren meiner Facebook-Beiträge: Ich poste fast immer öffentlich, also sind es die Kommentare auch.
Auch eine Perle ist dieser Kommentar:
Genau, Tom Wellbrock, was offensichtlich die letzten 50 Jahre nicht wahr war, ist nun plötzlich wahr, weil es ein schwedisches Kind ausspricht, das v.a. von den reichen, schönen und mächtigen hofiert wird, die die 50 Jahre dafür gesorgt haben, dass es nicht wahr wird. Ich bin restlos überzeugt. Wo kann ich meine Bahnsteigkarte für diese Revolution bezahlen ?
Was dieser Kommentator zum Ausdruck bringen wollte, lässt sich nur schwer erschließen, denn der Eingangssatz von Greta lautete schließlich:
Unser Klima wird für den Luxus einer kleinen Zahl von Menschen geopfert, denen das Unsummen an Geld einbringt.
Ich weiß es nicht, vielleicht bezog der Kommentator sich nicht auf diesen Satz, sondern auf einen der folgenden. Oder er hat einen Zusammenhang hergestellt, der sich mir nicht erschließt. Aber dass das Klima für eine kleine Zahl von Menschen geopfert wird, die daran ein Schweinegeld verdienen, finde ich ziemlich schlüssig. Und kaum diskutabel.
Eine kleine Anzahl Menschen opfert auch den sozialen Frieden, den Weltfrieden, Gleichberechtigung, bezahlbares Wohnen, auskömmliche Renten und vieles mehr. Was also ist an diesem Satz falsch?
Es gab weitere Kommentare von jenen, die ich bisher – mein Fehler, sorry! – eigentlich als die Systemkritiker schlechthin ausgemacht hatte. Die aber offenbar das System nur ändern oder weghaben wollen, wenn die passenden Leute mitmarschieren (er hat marschieren gesagt, er hat marschieren gesagt!). Und Greta scheint da nicht die erste, nicht mal die letzte Wahl zu sein.
Tja, und nun?
Ich schließe hiermit – zumindest öffentlich – das Thema Greta Thunberg ab. Zumindest, wenn es um die gnadenlosen Kritiker geht, die ihr alles nur erdenklich Schlechte unterstellen.
Für mich, das möchte ich aber betonen, ist Greta Thunberg eine starke und sehr konsequente junge Frau, die für die Sache, die sie am meisten bewegt, einsteht. Sie tut das allen Widerständen zum Trotz, und gerade das macht sie für mich glaubwürdig.