Wenn auf Wahlplakaten zu lesen ist, dass Europa die Antwort sei, fragt man sich nicht nur verwundert, was denn dann aus der „42“ werden soll, die als allgemein gültige Antwort in den Geschichtsbüchern der Galaxis steht, die Anhalter in ihrem Rucksack haben. Man fragt sich darüber hinaus, wenn man sich weiter umschaut, was denn welche Partei so im Angebot hat. Rein programmatisch, meine ich.
Und da ist nicht viel. So richtig einig sind sich alle eigentlich nur darin, dass sie rechte Parteien ganz, ganz doof finden. Und da wird es auch schon schwierig. Immerhin ist die CDU (bzw. die EVP) rechts bis auf die Knochen. Oder eben: konservativ. Das war früher einmal mehr oder weniger identisch, doch heute geht das nicht mehr. Aus Angst, mit der AfD in Verbindung gebracht zu werden, ist irgendwie überhaupt keine Partei mehr rechts.
Wenn Europa die Antwort der Sozialdemokraten ist, wenn laut der Grünen der Mut kommt, weil der Hass geht, und wenn die FDP sich besorgt fragt, was aus Europa werden soll, wenn Deutschland stehen bleibt, dann wissen wir: Da kommt nix weiter.
Inhaltlich unterbieten sich die etablierten Parteien in diesem Wahlkampf gegenseitig. Das ist zwar nicht neu, aber neu in dieser Qualität. Begibt man sich auf die Straße, um Wahlplakate zu lesen (was niemals vor dem Entstehen der PARTEI eine Freude war), stellt man ernüchtert fest, dass die Phrasen heute noch etwas hohler sind, als sie immer schon waren.
Doch ein kleiner Umzug in die virtuelle Welt von „Twitter“ sorgt für kaltes Schaudern. Dort wird gepoltert, geschimpft und getrampelt, bis es eigentlich nur noch den Weg auf die „Stille Treppe“ gibt. Der Außenminister benimmt sich wie ein Junge im Sandkasten, der alle außer sich blöd findet. Andrea Nahles übt sich im lauten Singen mittels Gifs (was ein Segen ist, weil Gifs so herrlich still sind). Und Katarina Barley kommt aus dem Grinsen nicht mehr raus, warum auch immer (vermutlich, weil das Leben für sie ein einziges großes Picknick ist).
Aber irgendwie wissen sie alle, dass diese EU-Wahl eine heiße Kiste ist. Die, die man gemeinhin als Rechtspopulisten bezeichnet, legen die Themen auf den Tisch, die die Leute bewegen. Zum Beispiel die Frage nach den Nationalstaaten. Dem setzen die „Freunde Europas“ entgegen, dass Nationalismus (gerade war doch noch die Rede von Nationalstaaten, aber sei‘s drum) nicht die Lösung sei, Europa aber die Antwort, und außerdem hätten wir Wohlstand und Frieden.
Tja, was soll man dazu sagen?
Man könnte sagen, dass die Griechen, die sich in den letzten Jahren aus lauter Verzweiflung umgebracht haben, Frieden sicher anders definiert hätten. Man könnte auch sagen, dass die weltweiten Kriege, an denen Europa aktiv beteiligt ist, nicht zwingend ein Zeichen von Frieden sind. Man könnte einwenden, dass Wohlstand ein großes Wort ist, das all jene im Regen stehen lässt, die daran nicht mehr teilhaben. Und das werden immer mehr, in ganz Europa. Und man könnte in den Raum stellen, dass der Wunsch jeder Nation nach sozialer Ausgewogenheit zunächst einmal völlig legitim ist. Welcher Hartz-IV-Empfänger oder aufstockender Rentner wird sich groß dafür interessieren, dass Europa die Antwort ist, wenn er doch nur die Frage stellt, wie er über den Monat kommen soll?
Inhalte überwinden. Was die PARTEI einst als provokanten Slogan gewählt hat, wurde längst durch die aktuellen Wahlkämpfer überholt. Da ist nichts, tut mir leid, da ist nur eine große Blase, in der die Wahlkämpfer wie in der Schwerelosigkeit durcheinander purzeln, ohne Krach zu machen (was die Schwerelosigkeit in diesem Fall auf angenehme Weise mit Gifs verbindet), da sind rhetorische Mutmacher, die sich selbst nicht glauben und darauf hoffen, dass die Wähler dümmer sind als sie.
Und dann ist da noch die letzte Maßnahme, quasi zur Sicherheit: Strache. Das Skandal-Video kommt den „Freunden Europas“ natürlich mächtig entgegen, und man lehnt sich inzwischen nicht mehr weit aus dem Fenster, wenn man ob des Zeitpunktes der Veröffentlichung von Wahlmanipulation spricht.
Ralf Stegner (SPD) nutzte die Gunst der Stunde denn auch gleich, um zu zwitschern, dass die AfD sich nicht von der FPÖ distanziert. So ist es richtig, jetzt muss sich distanziert werden, was das Zeug hält. Und alle stimmen mit ein: Jetzt geht es den Rechten an den Karren, jetzt zeigen sie ihr wahres Gesicht, jetzt kann die Wahl beginnen.
Ich befürchte allerdings (aus Sicht der „Europafreunde“), dass die Nummer mit dem Strache-Video gnadenlos nach hinten losgehen wird. Da ist einfach zu viel wirres Zeug dabei:
1. Die Tatsache, dass es bereits 2017 aufgenommen wurde, jetzt aber, kurz von der EU-Wahl, auftaucht, lässt schon die Frage zu: Wem gereicht es zu seinem Vorteil?
2. Die Tatsache, dass hier journalistische Standards mal eben gegen eine skrupellose „Verstehen Sie Spaß“-Nummer ausgetauscht wurden, macht die Sache auch nicht leichter (und rückt den „seriösen“ Journalismus in ein düsteres Licht).
3. Die Tatsache, dass Jan Böhmermann schon vor einem Monat von dem Video wusste, mutet auch etwas bizarr an.
Die Sache mit Böhmermann glaubt Ihr nicht? Dann scrollt Euch mal durch den entsprechenden Artikel von „n-tv“, der seinerseits leicht durcheinandergebracht fragt:
Wusste Böhmermann also von dem Video?
Man könnte zu diesem Schluss kommen, wenn man bedenkt, was der Satiriker vor ca. einem Monat schrieb:
Ich hänge gerade ziemlich zugekokst und Red-Bull-betankt mit ein paar FPÖ-Geschäftsfreunden in einer russischen Oligarchenvilla auf Ibiza rum und verhandele darüber, ob und wie ich die ‚Kronen Zeitung‘ übernehmen kann und die Meinungsmacht in Österreich an mich reißen kann.
Aber vielleicht war Böhmermann auch nur wieder in seiner Zeitmaschine unterwegs und konnte deshalb schon vor vier Wochen so genaue Angaben machen.
Wie auch immer: Das Strache-Video wird die „Freunde Europas“ nicht retten. Solange sie nicht in der Lage und bereit sind, konkrete Punkte zu benennen, die über ihre infantile Liebe zu Europa hinausgehen, werden wohl eher wenige Leute zur Wahl gehen. Und dass die, die rechts(populistisch) wählen wollen, nun brav davon ablassen, weil Strache im Red-Bull-Fieber ein paar Schauspielern auf den Leim gegangen ist, wird die Leute auch nicht davon abhalten, rechts zu wählen.
Abgesehen davon zeichnete sich schon bald nach dem Video ab, dass wohl gefühlte 12 von 10 Leuten daran glauben, dass die Korruptionsbereitschaft bei den „Europa-Freunden“ nicht weniger ausgeprägt ist als bei Strache und seinen kleinen Strolchen.
Aber letztlich können sie nicht anders, die Kandidaten von SPD, CDU, FDP und Grünen. Sie haben nichts zu bieten, sind nicht willens und in der Lage, die soziale Frage im eigenen Land zu beantworten, weil sie vor der Autolobby, der Bankenlobby, der Versicherungslobby, der Pharmalobby und der was-weiß-ich-nicht-noch-alles-Lobby einknicken.
Dafür gehören sie abgestraft, keine Frage.
Eigentlich wäre diese kleine Geschichte hier zu Ende: Die etablierten Parteien schwafeln leeres Zeug, haben keine Eier in der Hose, um die soziale Frage auf den Tisch zu legen und kriegen entsprechend einen Tritt in eben diese Weichteile.
Doch der Hinweis darf nicht fehlen, dass jene Rechtspopulisten keinen Deut besser sind. Ob es nun die AfD in Deutschland ist, die FPÖ in Österreich oder die Parteien anderer europäischer Länder, die sich auf die Fahne geschrieben haben, für die Menschen anzutreten, die unter dem System Europa leiden: Sie sind genauso schlimm bis schlimmer. Denn sie vertreten den Neoliberalismus ebenso vehement, wenn nicht vehementer, wie die etablierten Parteien. Wer sich von AfD & Co. Sand in die Augen streuen lässt, darf sich über die daraus resultierenden Tränen nicht wundern.
Normalerweise würde ich jetzt noch den Verweis auf die Möglichkeit, links zu wählen, ansprechen. Aber erstens ist die Linke alles andere als in guter Form. Und zweitens wäre das – selbst, wenn es anders wäre – für die meisten Wähler auch kein Grund, mal links zu wählen.
Weil die Antwort ja Europa ist.
Was auch immer dieser Schwachsinn bedeuten soll.