Wie gefährlich ist eigentlich die Digitalisierung für uns? Zerstört sie Arbeitsplätze und macht die Menschen überflüssig? Es sieht so aus, ist aber zu kurz gegriffen.
Wenn Christian Lindner (FDP) in einem Redebeitrag nicht nach spätestens 45 Sekunden das Wort „Digitalisierung“ ausspricht, ist er entweder krank oder eingeschlafen. Das gilt aber nicht nur für ihn und die FDP, sondern für nahezu alle Parteien, die sich der digitalen Thematik zuordnen. Dabei wird das Bild der millionenfach wegfallenden Arbeitsplätze auf der einen Seite beschrieben, auf der anderen Seite aber auch die Chancen durch neue Berufe, die sich daraus ergeben. Als Allheilmittel wird „Bildung“ in die Mikrofone gerufen, als wäre damit das Problem erledigt.
Das Problem ist aber ein anderes.
Ohnmacht als „bestes“ Argument
Mit der Digitalisierung ist es wie mit dem Neoliberalismus oder den ominösen „Märkten“: Sie werden als Naturgewalten anerkannt, denen die Gesellschaft, die Politik, nichts entgegenzusetzen hat. Märkte müssen immer wieder „beruhigt“ werden, der Neoliberalismus ist die einzige Wirtschaftsform, die denkbar ist, und die Digitalisierung ist da, kommt, geht weiter und macht uns alle zu Sklaven.
Nicht nur Christian Lindner (wenn auch mit einer Ausdauer und Vehemenz, die ihresgleichen suchen) stellt sich gern hin und behauptet, dass die Digitalisierung uns prägt, Jobs vernichtet, das soziale Gefüge nachhaltig verändert. Und nicht nur Lindner proklamiert immer wieder aufs Neue (übrigens unabhängig davon, ob wir es hören wollen oder nicht), dass wir uns dem mit einem völlig neuen Bildungsangebot stellen müssen (darauf gehe ich auf Grund der Komplexität des Themas Bildung hier nicht näher ein, zumal es andere gibt, die das besser können – wahr ist allerdings, dass Bildung in der heutigen Zeit neu gestaltet werden muss). Wenn man genau hinhört, sagt Lindner (und sagen all die anderen, die ins selbe Horn blasen) in erster Linie, dass sie keine Möglichkeit sehen, eine technologische Entwicklung zu steuern. Sie scheint das selbst zu tun, und wir können nur darauf reagieren. Aber das ist eine Umkehrung der zeitlichen Abfolge.
Das Fatale daran: Wir haben es inzwischen in uns aufgenommen, die meisten stellen weder den Neoliberalismus in Frage, noch glauben sie, dass man den „Märkten“ etwas entgegensetzen kann. Das sind halt Dinge, die gewissermaßen über uns stehen, Dinge, denen wir nicht gewachsen sind, mit denen wir aber irgendwie klarkommen müssen.
Noch sind wir nicht übernommen worden
Es ist durchaus denkbar, dass wir irgendwann tatsächlich machtlos, ohnmächtig sind. Künstliche Intelligenz oder die Digitalisierung als Kampfbegriff taugen dazu aber nicht. Mit der Digitalisierung ist ja in der Regel die Übernahme von bestimmten Aufgaben gemeint, etwa das Montieren eines Autos (natürlich geht es weit darüber hinaus, was aber den Rahmen hier sprengen würde). Dass ein Roboter einen VW oder BMW besser und schneller zusammenbauen kann als ein Mensch, ist wahr und indiskutabel. Diskussionswürdig ist eher die Frage, was daraus für die Menschen folgt, die dieses Zusammenbauen vorher übernommen haben. Das ist keine Frage der Robotik, sondern eine politische und gesellschaftliche.
Dass künstliche Intelligenz uns im Schach oder beim Go schlägt, und auch in vielen anderen Bereichen menschliches Handeln übernehmen kann und wird, ist ebenfalls unzweifelhaft.
Das autonome Fahren wird zum Beispiel künftig stetig zunehmen. Ethische Fragen wie die danach, in welcher Situation wer gerettet oder geopfert wird, sind Pseudodebatten, denn bei jedem der täglichen Unfälle, die weltweit passieren, wird diese Entscheidung ebenfalls getroffen. In Bruchteilen von Sekunden, von Menschen. In Zukunft dann wahrscheinlich von künstlicher Intelligenz. Die Frage, die sich stellt, ist allerdings eher die, wie die Unfallrate insgesamt reduziert werden kann. Zum Beispiel durch intelligente Verkehrssysteme, die die Wahrscheinlichkeit von Unfällen grundlegend reduzieren. Der Mensch hat das aus unterschiedlichen Gründen bisher nicht geschafft, und dabei spielen die „Märkte“ oder der Neoliberalismus eine wichtigere Rolle als künstliche Intelligenz.
Eine Übernahme ist denkbar, aber derzeit noch in weiter Ferne. Denn künstliche Intelligenz und Roboter als deren Folge sind ziemlich dumm. Wenn ein Programm, das Schachweltmeister vom Brett fegen kann, mit einer Partie „Mensch, ärgere Dich nicht“ konfrontiert wird, sieht sie ziemlich alt aus. Es sei denn, sie ist so weit fortgeschritten, dass sie sich die Spielregeln aneignen kann (was ja längst der Fall ist). Spätestens bei der Zubereitung eines Cheeseburgers fällt sie aber in sich zusammen. Oder muss neu und umfassender programmiert werden.
Anders ausgedrückt: Künstliche Intelligenz ist gerade mal so schlau wie wir, und dann in der Folge viel, viel schlauer. Aber sie ist ein Fachidiot, der Anleitung braucht, als Großes Ganzes taugt sie wenig, und das ist auch gut so, denn so kommt sie nicht auf „dumme Gedanken“.
Ein anderes Bild ergibt sich, wenn man von der Vernetzung künstlicher Intelligenz spricht, von einer Maschinenintelligenz, die sich verbindet, lernt, Entscheidungen trifft und zum Kollektiv wird. Eine solche Maschinenintelligenz könnte sich unabhängig von uns entwickeln, könnte tatsächlich zu einer Gefahr werden, die womöglich irgendwann zum Schluss kommt, dass der Mensch ein ziemlicher Idiot ist, der insgesamt eher stört und besser aus dem System entfernt werden müsste.
Aber bleiben wir auf dem Boden: Lindner und seine ohnmächtigen Kollegen meinen wohl eher nicht die Maschinenintelligenz, wenn sie ihre düsteren Bilder an die Wand malen.
Was fehlt: Der Blick auf die gesellschaftliche Verantwortung
Die Digitalisierung ist nicht das Problem. Auch nicht der Neoliberalismus oder die Märkte. Das Problem ist die Umgehensweise damit. Wenn in Gesellschaften, die zunehmend verarmen, sich radikalisieren und ihren Zusammenhalt verlieren, die politische Antwort darauf lautet, dass man die unzufriedenen, ängstlichen und von Existenznot bedrohten Menschen zusätzlich unter Druck setzt, ist das eine Schwäche, eine Unfähigkeit, ein Unwille der Entscheidungsträger.
Wenn die „Märkte“ nicht gebändigt, sondern beruhigt werden, ist das keine sanfte medizinische Behandlungsmethode, sondern eine Bankrotterklärung der Politik. Da wird hingenommen und akzeptiert, dass es Millionen von Menschen immer schlechter geht, solange nur die „Märkte“ keinen Schluckauf kriegen. Man muss sich diese Unfähigkeit und die Weigerung zu agieren, einfach mal auf der Zunge zergehen lassen.
Und wenn die Digitalisierung als ein Monster dargestellt wird, das über uns herfällt wie ein Vulkanausbruch, dann sagt das eine Menge darüber aus, wie willig und fähig die Politik ist, wenn es um die Gestaltung einer neuen Revolution geht, die ungeheure Chancen bietet. Denn die Digitalisierung ist das, was auch der Neoliberalismus und die „Märkte“ sind.
All das ist menschengemacht. Und was der Mensch macht, kann er auch korrigieren, verbessern und, wenn es gar nicht anders geht, aus der Welt schaffen.
Dennoch ist klar, dass es so nicht funktioniert. Was der Mensch erfindet und entwickelt, wird er nicht wieder verschwinden lassen. Der Mensch neigt nun einmal dazu, das zu tun, was er tun kann. Und wenn er dann feststellt, dass es nicht so gut ist, wie er es angenommen hatte, dann korrigiert er es im besten Fall. Doch wir leben nicht in einer Welt des „besten Falls“. Wir leben inzwischen in einer Welt, in der jede Entwicklung als unumkehrbar und nicht korrigierbar gilt.
Deswegen ist die Digitalisierung im Grunde nichts weiter als der Dritte im Bunde der „Märkte“ und des Neoliberalismus. Sie wird uns als eine weitere Naturgewalt verkauft, an der nicht zu rütteln ist. Sie ist ein weiteres Argument für die bewusste Untätigkeit der Politik. Denn sie wäre gestaltbar, wenn der Wille zur Gestaltung vorhanden wäre.
So lange das aber nicht der Fall ist, kann man dem Kind welchen Namen auch immer geben, es läuft immer darauf hinaus, nicht das tun zu müssen, was zu tun wäre.