Im ersten Teil ging es um die Frage, ob der Terrorismus tatsächlich in der Lage ist, unsere Gesellschaft ernsthaft zu gefährden und ob ein Kampf der Kulturen überhaupt sinnvoll sein kann. Darüber hinaus wurde hinterfragt, warum die Angst vor dem Terror größer ist als die vor dem Tod durch Verkehrsunfälle, Diabetes oder Luftverschmutzung.
Der zweite Teil beschäftigt sich mit der Reaktion der Politik auf Terror und mit einem womöglich besseren Agieren, um dem Terror den Wind aus den Segeln zu nehmen.
Bellen gegen beißen
Wahrscheinlich haben Sie schon einmal gesehen, wie auf der Straße zwei an der Leine geführte Hunde aufeinander losgehen wollten. Gegen die guten Worte ihres Herrchens oder Frauchens sind diese Hunde konsequent immun, sie folgen ausschließlich dem Impuls, ihre Widersacher in die Schranken zu weisen. Wenn Herrchen oder Frauchen ob der eigenen Machtlosigkeit bzw. des Ungehorsams ihrer Vierbeiner nun ihrerseits wütend wird, ist das Geschrei groß. Plötzlich bellen die Hunde und brüllen die Menschen. Das hat fatale Auswirkungen, denn die Hunde nehmen die lauten Maßregelungsversuche ihrer Dosenöffner als Unterstützung ihres eigenen Tuns wahr. Der Mensch mag durchaus nachvollziehbaren Ärger empfinden, weil sein Vierbeiner so einen Aufstand um nichts macht, die Fellnase dagegen sieht das naturgemäß anders und brauchte nur noch diese zusätzliche „Motivation“, hervorgerufen vom Menschen, um erst recht so laut und heftig wie möglich am Rad zu drehen.
Und nun kommt die Frage: Was hat die Beschreibung einer solchen Situation mit Politik und Terrorismus zu tun?
Die Antwort: Politiker reagieren auf Terrorangriffe ebenso wie das eben beschriebene Frauchen oder Herrchen. Sie fangen an zu brüllen (teils im übertragenen, teils im wahrsten Sinne des Wortes), malen Szenarien an die Wand, die viel schlimmer und viel größer sind als das, was geschehen ist (als ob es nicht auch so schon schlimm genug wäre!), sie stellen ganze Religionen und Menschengruppen in Frage, fordern lautstark schärfere Gesetze und führen Debatten darüber, dass alles, wofür wir stehen, in Gefahr sei. Wir selbst sind – um bei dem oben beschriebenen Vergleich zu bleiben – dann quasi die Hunde, die nicht etwa beschwichtigt oder gar beruhigt werden, sondern jetzt mit dem Gekläffe erst richtig loslegen. In solchen Momenten ist es uns dann auch erst einmal egal, wenn wir wegen des Terrors schärfer überwacht werden sollen, belauscht und abgehört werden oder gleich ganze Polizeigesetze geändert werden, zu unserem Nachteil. Selbst den logisch nicht zu begründenden Einmarsch in andere Länder finden wir ok, weil dort womöglich die Terroristen herkommen, denen wir den ganzen Schlamassel zu verdanken haben.
Kurzfristig wirkt das Gefühl, dass diese Maßnahmen ja nun einmal sein müssen. Schließlich hat gerade ein Terrorangriff stattgefunden, da sind die beschriebenen Konsequenzen das Mindeste. Meinen wir häufig.
Dumm nur: all das wird nichts bringen, außer dass unsere eigene Unzufriedenheit gegenüber sinnlosen Maßnahmen zunimmt und somit auch die Unzufriedenheit insgesamt. Und letztlich auch die Angst vor weiterem Terror, denn was versucht wurde, hat ja nicht funktioniert. Politisch kann man kaum effizienter scheitern, denn a) wurde der Terror durch diese Inszenierung nicht erfolgreich bekämpft, und b) wurden die Freiheitsrechte eingeschränkt, ohne dass es eine Gegenleistung dafür gegeben hätte.
Terror aus dem Nichts – die ohnmächtige Gesellschaft
Terror macht etwas, das Politikern schwer zu schaffen macht. Er untergräbt den Anspruch darauf, politisch weitgehend ohne Gewalt agieren zu können. Polizeigewalt auf Demonstrationen lässt sich medial leicht rechtfertigen, weil der Gegenseite der Vorwurf gemacht wird, diese provoziert zu haben (was zuweilen sogar stimmen mag). Gewalt durch Sanktionen etwa, wie sie bei Hartz-IV Alltag sind, lässt sich der Öffentlichkeit meist – mit Unterstützung wohlwollender Medien und einer starken Wirtschaftslobby – als notwendiges Übel verkaufen, um „Sozialmissbrauch“ zu verhindern. Für nahezu jede Form der staatlichen Gewalt sind Rechtfertigungen und Erklärungen parat, die sich mittels einer breit angelegten Öffentlichkeitsarbeit gut verkaufen lassen.
Terror dagegen kommt unvorhergesehen daher, er lässt sich nicht erahnen oder planen. Wenn in einem konventionellen Krieg ein bestimmtes Gebiet erobert werden soll, sind sich die kriegführenden Parteien „einig“, dass es sich hierbei um das Objekt der Begierde handelt. Das macht die Planung einfacher. Der Terror aber kommt plötzlich und an Orten, an denen man mit ihm nicht rechnet. Somit ist die Politik, die ganze Gesellschaft, zunächst einmal gezwungenermaßen in einer passiven Rolle. Sie ist dazu verdammt, das Drama passieren zu lassen, bevor sie auf ein Erlebnis reagieren kann, das längst stattgefunden hat und nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Diese Hilflosigkeit macht wütend. Und sie führt zu Ankündigungen, die versprechen, derlei Taten in Zukunft nicht mehr zuzulassen. Versprechungen, die faktisch unmöglich einzuhalten sind.
Das oben beschriebene Phänomen, dass Politiker nach Terroranschlägen besonders laut kläffen, ohne (den Terrorismus) wirklich beißen zu können, erhöht die Ohnmacht, aber auch die Möglichkeit, politische Maßnahmen durchsetzen zu können, die ohne den Terror gar nicht notwendig gewesen wären. Somit erzielt der Terror, wenn dies geschieht, den einzig möglichen „Nutzen“. Er ist nicht in der Lage, sich auf einem konventionellen Schlachtfeld mit seinem Gegner zu messen. Dieser Gegner ist viel zu groß und mächtig, und ganz nüchtern betrachtet sind die Opfer eines terroristischen Amokläufers oder Lkw-Fahrers, auf die gesamte Gesellschaft bezogen, komplett unwirksam. Man mag jetzt kritisieren, dass jedes Opfer eines Terrorangriffs eines zu viel ist, was natürlich stimmt. Aber die Politik beschränkt sich ja nicht darauf, den Angehörigen der Opfer ihr Beileid auszusprechen (so wie sie es auch im Falle von Vulkanausbrüchen oder Tsunamis macht, gegen die sie nicht minder machtlos ist)), sie verspricht vielmehr, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird, oder zumindest soll. Daher dann also politische Maßnahmen, die nicht nur nichts (gegen den Terror) bringen, sondern die Lage im eigenen Land eskalieren lassen. Nebenbei – und zur Freude entsprechender Interessengruppen – werden die Ausgaben für Terrorabwehr massiv erhöht, während die Anliegen der Menschen – Arbeit, Wohnraum, Gesundheit, Bildung, Infrastruktur – sträflich vernachlässigt werden. Doch der Grund dafür liegt ja auf der Hand: der Kampf gegen den Terror.
Krieg als Folge des Terrors oder Terror als Folge des Krieges?
Terror ist der Versuch, Nadelstiche zu setzen, oder auch: einen Krieg zu gewinnen, ohne die entsprechenden Mittel zur Verfügung zu haben. Selbst die Opfer von 9/11 sind zahlenmäßig nicht ansatzweise mit denen zu vergleichen, die konventionelle Kriege gefordert haben und weiterhin fordern. Die Opfer, die den Kampf (oder: Krieg) gegen den Terror zur Folge hatten, fallen schon eher ins Gewicht. Wegen des Terrors wurden und werden ja nicht nur Gesetze in den betroffenen Ländern verschärft. Es gab nach 9/11 (man könnte auch provozierend sagen: bereits davor) den ganz klaren Plan, in Länder einzufallen, um (angeblich) den Terror zu bekämpfen. Das hat, außer zu unzähligen zivilen Opfern und noch mehr Menschen auf der Flucht, zu keinerlei Besserung geführt. Wenn der Terror im eigenen Land stattfindet und man nicht weiß, wo und wann und in welcher Form dies geschieht, kann man parallel dazu zwei, vier oder 12 Länder überfallen, an der Unvorhersehbarkeit des Terrors wird das nichts ändern. Wohl aber an der Intensität, denn andere Länder anzugreifen, führt zu Opfern, zu Leid und letztlich zu Rachegelüsten. Nicht immer mündet dieses Gefühl in Terror, aber eben doch oft genug.
Wenn es wirklich gefährlich wird
Wenn wir davon ausgehen, dass der Terror in seiner derzeitigen Form nur überschaubaren Schaden anrichten kann, müssen wir uns fragen, was einen maximalen Schaden anrichten könnte. Und das ist Terror auf der Grundlage von atomaren, biologischen und Gefahren durch das Internet, also: Cyber-Terror. Sollten Terroristen in die Lage kommen, Cyber-Terror, Atom-Terror oder Bio-Terror umfassend zu realisieren, stehen wir einem ganz anderen Problem gegenüber. Denn dann sind es nicht mehr die beschriebenen Nadelstiche, mit denen wir konfrontiert sind, sondern flächendeckende Angriffe, die gänzlich andere Konsequenzen haben.
Unauffällige Maßnahmen gegen den Terror sind gefordert
Der Terrorismus, mit dem wir es seit Jahren zu tun haben, hat also nur eingeschränkte Möglichkeiten, uns wirklich tief in unserem Inneren zu treffen. Bisher jedenfalls ist nicht bekannt, dass Terror es geschafft hätte, ein Land wie Deutschland, Frankreich, Italien oder Großbritannien von Grund auf zu verändern. Wir leben unser Leben weiter, und selbst die Angst vor dem Terror beschränkt sich auf die Zeiten direkt nach Anschlägen. Sobald die Erinnerungen verblassen, und das geht schnell, widmen wir uns wieder unserem Alltag, dem Leben, unseren Sorgen, Träumen und Wünschen, die sich faktisch nicht verändert haben. Die massive Angst mag in den ersten Tagen nach einem Anschlag vorhanden sein (wenn auch eher abstrakt, denn seien Sie ehrlich: Wann haben Sie das letzte [oder erste] Mal daran gedacht, dass ein Terroranschlag Ihr Leben auslöschen könnte?). Dann ebbt sie aber wieder ab und wird eher durch ständige Talkshows, Medienberichte, Interviews und Statements befeuert, sodass ein gewisser Effekt bleibt.
Terror ist das Ergebnis einer expansiven, aggressiven und imperialen Politik, und weil das so ist, wird durch die Politik Ursache und Wirkung bewusst verschleiert. Das mag dem eigenen Image mehr oder weniger guttun. Doch letztlich geht es darum, sich gegen die Folgen der eigenen verfehlten Politik zur Wehr zu setzen, und das kann nicht gelingen, indem laut gebellt und gebissen wird, weil dies Opfer in einer Größenordnung zur Folge hat, die genau diese gelebte Praxis zu verantworten hat.
Wenn der Terror die Konsequenz der eigenen politischen Verantwortung ist (und das ist er zweifelsohne), dann wäre es das Mindeste, Angst und Panik nicht weiter anzuheizen. Doch genau das geschieht, und es geschieht unter maximalem rhetorischem, politischem und medialem Aufwand. Um das eigene Gewissen reinzuwaschen, mag das eine geeignete Methode sein. Das erhöhte Aufkommen von Terror verhindert das aber nicht.
Notwendig wären vielmehr Maßnahmen, die ohne große Öffentlichkeit auskommen (einmal ganz abgesehen davon, dass eine Politik, die Terror nicht weiter beflügelt, die mit Abstand beste Maßnahme wäre). Maßnahmen also, die nicht das eigene Ego, nicht die eigene Rechtfertigung, nicht die nächste Wahl in den Vordergrund stellen, sondern den Effekt der Gegenwehr. Öffentliche Auftritte und die Verbreitung von Angst unter den Menschen taugen dazu herzlich wenig. Nötig wären also Aktionen und Recherchen im Hintergrund, die möglichst professionell und still ablaufen.
Doch es ist schwer vorstellbar, dass dies passiert. Immer wieder liest man davon, dass Täter bereits beobachtet wurden oder – fast schon ein Klassiker – „polizeibekannt“ gewesen seien, bevor sie ihre Taten verübten. Man kann schwer beurteilen, was im Hintergrund schiefgelaufen ist, aber man kann gut beurteilen, was es im Vordergrund ist: aktionistische Politiker und Medien, die den Hals nicht voll genug bekommen können und über jeden Unsinn berichten, als hätten sie den Urknall entschlüsselt.
Der Terror braucht die Öffentlichkeit, weil ihm im Rahmen seiner eingeschränkten Möglichkeiten der praktizierten Gewalt nicht viel mehr übrigbleibt, um effektiv zu sein. Dass er diese Öffentlichkeit bekommt, hat er der Politik und den Medien zu verdanken. Da er viel mehr zurzeit nicht erreichen kann, hat er alles erreicht, was er konnte.
Man darf allerdings bei all diesen Aspekten nicht die Frage vergessen, was zuerst da war: der Terror oder die Politik, die ihn geschaffen hat?
Diese Frage ist allerdings rhetorischer Natur. [InfoBox]