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Jens Spahn: Gelogen wie gedruckt

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Jens Spahn fällt immer wieder auf, meist unangenehm. Als Gesundheitsminister hangelt er sich von einer spontanen Idee zur nächsten und zeigt dabei nur selten Sachverstand. Im Falle seiner Ergüsse zum Thema Psychotherapie legt Spahn noch eine Schippe drauf. Und lügt, dass sich die Balken biegen.

Am 12. Dezember 2018 kam Jens Spahn mit einer steilen These um die Ecke:

Da wo die meisten Psychotherapeuten zugelassen sind, in den Städten und Regionen, sind die Wartezeiten mit am längsten.

Sprach‘s und zog den Kopf ein. Denn erstens impliziert diese Aussage die Unterstellung, Menschen würden aus purer Lust zum Therapeuten gehen. Nach dem Motto: Cool, so viele Therapeuten in meiner Nähe, da muss ich hin!
Und zweitens entbehrt sie jeglicher Grundlage.

Zunächst widersprach die Bundespsychotherapeutenkammer und behauptete das glatte Gegenteil. Dort, wo es mehr Therapeuten gibt, sind die Wartezeiten kürzer, so die knappe Analyse der Kammer. Auch die Deutsche Psychotherapeuten-Vereinigung widersprach Spahn. Der hatte Freiburg als Beispiel für seine These hinzugezogen, doch entgegen seiner Aussage sind die Wartezeiten dort trotz hoher Therapeutendichte nicht die längsten, sie liegen deutlich unter dem Bundesdurchschnitt.

Nun könnte man denken, dass der Gesundheitsminister seine steile These ja irgendwo herhaben muss. Und landet bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Die habe angeblich eine Studie durchgeführt, und auf die berief sich Jens Spahn. Aber auch hier: Endstation. Es gibt zwar etwas Schriftliches von der Kassenärztlichen Vereinigung, doch Spahns Auswertung teilt man dort nicht und lässt stattdessen wissen:

Dass sich die Nachfrage nach Psychotherapie durch ein höheres Angebot erhöht, bestreiten wir. Das lässt sich aus unseren Abrechnungsdaten auch nicht herleiten.

Letztlich findet sich niemand, der bestätigen kann, was Jens Spahn behauptet hat. Und man muss auch kein Genie sein, um zum Schluss zu kommen, dass seine These – die sich bei näherer Betrachtung als glatte Lüge herausstellt – ziemlich sinnlos ist.

Wirklich schlimm ist das für Jens Spahn nicht. Er kann sich hinstellen und Menschen unterstellen, sie würden nur aus dem Gefühl des Überangebots in Scharen zu Psychotherapeuten laufen, einfach, weil sie es können. Er kann dabei mit Zahlen hantieren, die er sich aus den Fingern gesogen hat, um damit Stimmung zu machen. Er kann parallel dazu auch anregen, vor dem Beginn einer Therapie erst einmal einen „Gutachter“ über den Menschen schauen zu lassen, der sich therapeutische Hilfe wünscht. Wie gesagt, schlimm ist das für Jens Spahn nicht. Schließlich sind schon ganz andere Minister nicht vom Hof gejagt worden, wenn sie offenbar bewusst gelogen haben. Um seines Amtes entledigt zu werden, müssen heute scheinbar schwerere Geschütze aufgefahren werden.
Welche genau das sind? Man weiß es nicht. Es wird ja niemand mehr entlassen oder muss zurücktreten. Daher meine ganz persönliche Anregung:

In Häusern, die mit überdurchschnittlich vielen Politikern belegt sind, wird gelogen, bis der Arzt kommt. Da müsste eigentlich mal ein Gutachter ran.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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