Unsere derzeitige Bundesregierung ist eine tückische Sache. Einerseits kann man sie kaum noch ernst nehmen, es reicht schon aus, Andrea Nahles sinn- und grundlos grinsen und Durchhalteparolen hinaus trällern zu sehen und zu hören, um zum Schluss zu kommen, dass da jemand den Schuss nicht gehört hat. Mit den meisten anderen Protagonisten sieht es auch nicht anders aus, sie scheinen Politik als Schäufelchen zu verstehen, das es gegen den infantilen Feind zu verteidigen gilt.
Andererseits wird gnadenlos und unerbittlich eine Politik betrieben, die auf Privatisierung setzt, auf Rüstung, auf die sich wie ein Virus ausbreitende Armut durch immer mehr Bevölkerungsgruppen. Und das muss man ernst nehmen. Wie radikal, still und konsequent unsere zwar durch uns gewählten, aber selbsternannten Volksvertreter allerdings auf dem Rücken derer arbeiten, deren Wohl sie mehren sollen, ist so dreist und offenkundig, dass wir sie normalerweise allesamt vom Hof jagen müssten.
Sie brauchen Geld, so viel ist klar. Und sie nehmen es nicht von denen, die über ausreichend Liquidität verfügen. Aus unterschiedlichen Gründen, einer fadenscheiniger als der andere, tun sie das nicht. Sie holen es woanders her. Dort, wo es knapp ist, dort, wo es knapp wird, dort, wo genau diese Knappheit zu Wut, Verzweiflung, Trauer und Aggressionen führt. Dann verlangen sie Solidarität, Solidarität von denen, die sie sich am wenigsten leisten können. Und wenn die Betroffenen genau das sagen, sind sie unfair und egoistisch. Und wenn sie nichts sagen, so wie viele Hartz-IV-Empfänger, ist das umso besser. In der Masse kann man aus denen, die wenig haben, noch genug herausholen, um sie noch stiller werden zu lassen.
Bis es irgendwann knallt.
Kommt klar, Ihr Schmarotzer!
Es geht um die Menschen. Es geht um das Land. Und um Europa geht es natürlich auch, ist ja klar, hören wir täglich. Und da derzeit Neuaufstellungen der ehemaligen Volksparteien besonders en vogue sind, geht es jetzt aber richtig und zum Mitsingen: um die Menschen, um das Land, um Europa. Wobei man ehrlicherweise zwei Bevölkerungsgruppen aussparen muss: Hartz-IV-Empfänger und die Mitte – um die es selbstredend auch geht, fast vergessen, das zu erwähnen.
Wer schon einmal versucht hat, mit 416,- Euro einigermaßen klarzukommen und darüber hinaus dem gesellschaftlichen und kulturellen Leben zu frönen, hat sein Gourmet- und Kulturprogramm den Rahmenbedingungen anpassen müssen, und zwar gewaltig. Denn mehr gibt der aktuelle Regelsatz nicht her, und das, obwohl er eigentlich gar nicht rechtens ist. Denn seit 2011 gelten nicht mehr die bis dahin festgeschriebenen 20 Prozent der einkommensschwächsten Bevölkerungsschicht. Die ergaben einen Regelsatz von 571,- Euro. Doch die Bundesregierung hat aus den 20 Prozent kurzerhand die einkommensschwächsten 15 Prozent gemacht, die zur Berechnung herangezogen werden. Und so kamen die oben erwähnten 416,- Euro zustande. Doch auch die sind noch deutlich zu viel, so scheint es.
Denn die Bundesregierung zieht noch ein paar Posten ab, die sie nicht zu den notwendigen Ausgaben rechnet, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Tabak und Alkohol beispielsweise, was taktisch klug ist, da Hartz-IV-Empfängern ja gern unterstellt wird, sie würden ihre Kohle versaufen und verpaffen. Allerdings zählen offenbar auch Reisen, Gaststättenbesuche und die Benutzung von Verkehrsmitteln nicht zu dem, was der Mensch zum Leben braucht. Und überhaupt, alle Daten brauchen eh nicht hinzugezogen werden, um auszurechnen, was zum Leben nötig ist. Laut Monitor gab die Bundesregierung an, dass nicht „alle zur Verfügung stehenden Daten vollständig verwendet werden“.
Faktisch müssten für die Berechnung des Existenzminimums auch die ca. 40 Prozent Menschen hinzugerechnet werden, die zwar ein Anrecht auf Sozialleistungen hätten, diese aber nicht in Anspruch nehmen. Doch auch die lässt die Bundesregierung durchs Rechennetz fallen.
Das hat laut Monitor zwei Gründe: Zum einen lassen sich durch Hartz-IV-Empfänger und Rentner jährlich 10 Milliarden Euro sparen bzw. werden bereits eingespart. Zum anderen lassen sich so Einbußen bei der Einkommensteuer verhindern. Denn die orientiert sich an den Hartz-IV-Sätzen bzw. der Grundsicherung. Bekäme also jeder Hartz-IV-Empfänger jeden Monat 155,- Euro mehr, würde sich der Freibetrag in der Einkommensteuer um jährlich 1.860,- Euro erhöhen. Für jeden Arbeitnehmer. Doch die Bundesregierung gönnt weder der einen noch der anderen Bevölkerungsgruppe diese Vorteile. Und lässt die Hartz-IV-Empfänger noch weiter nach unten sinken (wobei wir hier noch gar nicht über die unzumutbaren Sanktionen gesprochen haben, die oft nach Lust und Laune verhängt werden). Zusätzlich zu den erwähnten 10 Milliarden Euro kommen durch diese Methode weitere 15 Milliarden hinzu.
25 Milliarden Euro also, die sich der Staat abgreift. Und um was damit zu machen? 43 Milliarden investiert er im Jahr 2019 in die Rüstung. Letztlich bezahlt unter anderem durch die Hartz-IV-Empfänger, denen sicher nicht weniger am Herzen liegt, als die Bundeswehr auszurüsten oder Auslandseinsätze zu finanzieren. Doch genau das tun sie, so wie wir alle auch. Irgendwo muss die Kohle ja herkommen.
Und wenn nicht von uns, von wem dann?
Eine politische Frage, keine des Geldes?
Zurück zum Regelsatz. Wie so oft argumentiert die Bundesregierung so: Es geht nicht ums Geld!
Auf die Frage der Höhe des Regelbedarfs und des soziokulturellen Existenzminimums antwortete die Bundesregierung, dies sei „nicht vorrangig eine Frage des Berechnungsverfahrens – sie muss politisch beantwortet werden.“
Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Wir sprechen hier immerhin über den Regelsatz, die Frage des soziokulturellen Existenzminimums. Und das soll keine Frage des Geldes sein?
Wie sieht denn die „politische Antwort“ aus?
Man kann fehlendes Geld, um ein Minimum an Leben führen zu können, wie es den Standards in Deutschland entspricht, nicht durch eine politische Antwort ersetzen. Man kann schließlich auch nicht in ein Restaurant gehen, sich etwas zu essen bestellen und hinterher sagen, dass man nicht zahlen könne, stattdessen bevorzuge man eine politische Antwort.
Die „politische Antwort“ auf die Frage eines einigermaßen angemessenen Regelsatzes kann nur Geld sein, nicht weniger. Eine politische Antwort ist nichts weiter als leeres Gerede, Rhetorik, Verachtung. Aber es macht ja Sinn, denn die politische Antwort auf die Fragen, die die Menschen bewegen und belasten, ist nun einmal Verachtung.
Verachtung für die Menschen. Für das Land. Und für Europa natürlich auch. [InfoBox]