8.9 C
Hamburg

Demokratie als Verschwörungstheorie

Published:

Wie ist es um unsere Demokratie bestellt? Funktioniert sie noch? Und die Pressefreiheit? Die Pluralität? Gelten die noch? Galten sie je? Umso genauer man sich die aktuellen Entwicklungen ansieht, desto mehr muss man daran zweifeln.

Ich muss ein wenig ausholen:
Vor einigen Jahren, ich war als Blogger noch ganz frisch und unerfahren, schrieb ich als einen meiner ersten Texte einen Artikel, der sinngemäß (so genau erinnere ich mich nicht mehr) „Merkels Staatsfernsehen“ hieß. Damals versetzte mich jeder neue Kommentar unter meinen Texten in helle Aufregung, immer mit der Befürchtung im Nacken, dass da womöglich etwas Negatives in meine Richtung formuliert wurde. Bei diesem besagten Artikel war das so. Schon nach einer halben Stunde waren so viele empörende Kommentare unter meinem Text, dass ich ihn schließlich vom Netz nahm.
Heute schreibe ich einen neuen Text, der eine andere Überschrift trägt. Mit zwei Unterschieden. Erstens wird dieser Artikel ganz sicher nicht im Nirwana verschwinden. Und zweitens habe ich im Laufe der Jahre gelernt, mit (negativen) Kommentaren gelassener umzugehen. Was gut ist, denn alles andere ist Stress pur. Aber nun zur Sache.

Uli Gack, der Verschwörungstheoretiker

Der aktuellste Fall ist der des Journalisten Uli Gack. Der hatte sich in Sachen Syrien im ZDF nicht so linientreu westlich geäußert, wie das von ihm erwartet wurde. Auch das Mittagsmagazin bekam reichlich Druck, als es mit Günter Meyer sprach, der kurze Zeit später vom Wissenschaftler und Experten zum Putin-Bbgesandten gemacht wurde. Nicht besser erging es „Monitor“, und der Auftritt von Michael Lüders bei Anne Will kann schon fast als Klassiker bezeichnet werden, als Will diesen gleich zu Beginn der Sendung als nicht etwa unabhängigen Experten, sondern miesen Geschäftemacher vorstellte (ab Minute 16.15).

Aber Staatsfernsehen? Damit hatte ich damals – wenn auch in einem anderen Zusammenhang – ebenso wenig recht wie heute. Ich lag daneben, denn der Druck ging nicht etwa von der Bundesregierung aus, und schon gar nicht von der Bundeskanzlerin. In der aktuellen Entwicklung regeln das die Medien untereinander. Wer auch immer sich im journalistischen Dschungel der „Qualitätsmedien“ ein wenig „verläuft“ und Meinungen kundtut, die auch nur den Hauch von Zweifeln an den offiziellen Versionen hegen, der muss mit der Höchststrafe rechnen: dem Vorwurf des Verschwörungstheoretikers, Putin-Verstehers, Assad-Unterstützers und westliche-Werte-Verdrehers. Im Falle von Uli Gack ruderte nach einem Frontalangriff der BILD und des Focus sogar das ZDF zurück und distanzierte sich von den Aussagen, die es selbst in einem Interview dem Journalisten entlockt hatte. Der Shitstorm war übrigens nicht mal einer, denn die gesammelte Kritik brach über Twitter über das ZDF hinein, und die Tatsache, dass die „Experten“ dahinter Julian Reichelt und zwei seiner Mitstreiter waren, lässt tief blicken bezüglich der Pluralität, die hierzulande noch erwünscht ist.

Dass Reichelt und Flachpfeifen ähnlicher Couleur über Twitter einen Sender wie das ZDF in die Enge treiben können, ist übrigens mehr als eine Randnotiz. Es ist der perverse Beleg dafür, wer die allgemeine „Wahrheit“ bestimmt und wie mit „Verrätern“ umgegangen wird. Und es ist der Beweis dafür, dass die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender zu hilflosen Lakaien geworden sind, die sich bloß nicht dem Druck von BILD & Co. ausliefern wollen. Wenn der Druck eines Reichelt und seiner Komplizen schon ausreicht, um eines der Flaggschiffe des öffentlich-rechtlichen Fernsehens in Schieflage zu bringen, ist das ein Armutszeugnis für das ZDF. Wenn aber womöglich – und da betätige ich mich gern als Verschwörungstheoretiker, der die Theorie nicht ausschließt, dass wir es mit einer Verschwörung zu tun haben – noch auf anderen Ebenen Druck gemacht wurde, dann wäre das der Beginn des Endes der Demokratie in diesem Land. Wobei ich dafür gar nicht fragen muss, ob das ZDF, die ARD oder sonst wer zusätzlichen Druck von irgendwo bekommen hat. Ein Blick auf die Ereignisse der letzten Wochen reicht aus.

Demokratie auf dem absteigenden Ast

Denn wie ist es um eine Demokratie bestellt, die kriegerische Äußerungen kundtut und Maßnahmen in die Wege leitet, ohne das gesicherte Beweise vorliegen? Sowohl im Fall Skripal als auch im Falle des Giftgasangriffes in Syrien legte sich die Bundesregierung fest, völlig losgelöst von der Faktenlage. Wahrscheinlichkeiten (wohlgemerkt: eigens empfundene) und Plausibilitäten (wohlgemerkt: eigens hergeleitete) reichen inzwischen aus, um diplomatische Verwerfungen genauso in Kauf zu nehmen wie den Abwurf von Bomben. Völkerrecht? Nein, heute nicht. Beweispflicht? Nächste Woche vielleicht. Und die Meinung der Bevölkerung? Um die kümmern wir uns, wenn mal wieder ein paar Kreuze auf Wahlzetteln gemacht werden sollen, dann allerdings auch nur in verstärkter rührender Rhetorik.

Ich weiß, dass die Annahme, die Demokratie befinde sich in einem Auflösungsprozess, gewagt ist (auch wenn mir andere vorwerfen werden, wir hätten sie schon vor Jahren verlassen). Aber je länger ich mir das Treiben ansehe, desto weniger andere Schlüsse erscheinen mir realistisch. In einer Demokratie gibt es eine mediale Pluralität, es gibt die Möglichkeit, unterschiedliche Meinungen nicht nur zu äußern, sondern – besonders seitens der öffentlich-rechtlichen Medien – sogar aktiv zu forcieren. Um ein vollständigeres Bild zu vermitteln, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, sich anhand verschiedener Perspektiven und Ansichten ein eigenes Bild zu machen. Das ist ein wesentlicher Bestandteil einer Demokratie.
Wenn jedoch jeder Versuch, ein differenziertes Bild zu erstellen, mit übelster Propaganda torpediert wird, gerät die Demokratie ins Bröckeln, ist die Pluralität dem Zerfall geweiht. Genau das erleben wir aber, und zwar schon länger, aktuell jedoch in noch extremerer Form.

Zudem: Demokratie achtet das Völkerrecht. Doch im Falle Syriens ist das faktisch nicht der Fall. Wer sich auf Hörensagen, Vermutungen und Unterstellungen beruft und daraus ableitet, dass Völkerrechtsbrüche legitim oder gar notwendig seien, hat das Recht verwirkt, sich als Demokrat bezeichnen zu können. Demokratie macht es sich nicht leicht und be- und verurteilt nicht andere Länder für Taten, die nicht bewiesen sind, insbesondere wenn eklatant ist, dass die Sachlage kompliziert und nicht eindeutig zu beurteilen ist.
Demokratie setzt auf Diplomatie. Daher kann es nicht demokratisch sein, aufgrund von Vermutungen und Behauptungen andere Länder zu sanktionieren oder Diplomaten auszuweisen. Wer so agiert, hat ebenfalls das Recht verwirkt, sich als Demokrat bezeichnen zu können.

Und: Demokratie achtet den Willen des Volkes. Das deutsche Volk wünscht sich weder Konfrontation noch Krieg. Demokratie versucht nicht, eine Kriegsbereitschaft oder gar einen Kriegswillen bei der eigenen Bevölkerung zu suggerieren, während diese sich Entspannung, Annäherung und Verständigung wünscht. Demokratie baut keine Feindbilder auf, sondern Gemeinsamkeiten. Wer in hetzerischer Art und Weise Konfrontation und Aggression schürt, ohne auf die Belange und die Befindlichkeiten der Bevölkerung einzugehen oder auch nur darauf zu achten, der hat einmal mehr das Recht verwirkt, sich als Demokrat bezeichnen zu können.

Wo sind wir?

Betrachtet man die Entwicklung insgesamt, bleibt nur ein Schluss möglich: Derzeit entfernen wir uns in einem beängstigenden Tempo von demokratischen Werten und Überzeugungen. Und auch wenn es überspitzt und provokativ erscheinen mag, muss man zum Schluss kommen, dass demokratische Grundsätze vermehrt und immer häufiger mit Füßen getreten werden. Auf der Basis dessen, was hier passiert, wird es ein langer Weg sein, um zurück zur Demokratie zu finden. Und vermutlich wird das mit den Volksvertretern, die wir im Moment haben, nicht möglich sein.
Weil sie keine Demokraten sind.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img