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Überwachung – Gott mit Dir, Du Land der Bayern oder: Beweise mir Deine Unschuld!

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Mit dem neuen Innenminister Horst Seehofer könnten harte Zeiten auf uns zukommen. Wenn er es schafft, die bayerische Überwachungspolitik auf den Bund zu übertragen, können aus unauffälligen und unschuldigen Bürgern schon mal Gefährder werden. Mit weitreichenden Folgen. Das ist gewissermaßen der andere „Masterplan“ Horst Seehofers, der jedoch nicht so viel Beachtung erhält wie sein Anliegen, Asylbewerber in Zukunft schneller und effizienter abschieben zu können.

Wenn die brandneue Bildungsministerin sagt, sie habe von der Sache an sich eher wenig Ahnung, oder die Frau fürs Digitale auf Twitter lauter Psychopathen vermutet, dann ist der Satiriker in Sorge. Warum in aller Welt machen die seine Arbeit? Und wovon soll er denn von nun an leben? Klar, dass auch die nächste Stufe der Bundestagsevolution eine Menge Reaktionen hervorruft. Zum Beispiel auf den unsäglichen Jens Spahn, der verbal nur allzu deutlich macht, dass er keine Ahnung von echter Arbeit geschweige denn wirklicher Armut hat. Da wird es dann schon ernster. Aber wenn erst Horst Seehofer kommt und einen „Masterplan“ für Abschiebungen ausruft, dann ist endgültig Schluss mit lustig. Wobei man sich fragen darf, ob dieser Masterplan nicht eher ein populistisches Meisterstück ist, um von Vorhaben abzulenken, die sehr viel konkreter sind.

Eigentlich halte ich nicht viel von der Ablenkungstheorie. Sie hat so etwas Verschwörungstheoretisches. Sie gibt vor, genau zu wissen, dass die wahren Pläne hinter den kommunizierten Plänen stehen. Und die sind meist eher abstrakt, dunkle Mächte, die Zweifelhaftes mit noch zweifelhafteren Kreisen planen oder längst durchgeführt haben. Dennoch mag das hin und wieder stimmen, vielleicht gar nicht so selten. Trotzdem: Die Ablenkungstheorie greift oft weit daneben. Im Falle von Seehofers Masterplan allerdings ist durchaus vorstellbar, dass er ihn in erster Linie benutzt, um von einer breit angelegten Überwachung abzulenken. Über die wird nämlich eher wenig geschrieben und berichtet. Über den Masterplan dagegen zerreißt sich das Land das Maul. Zu Recht, einerseits. Aber andererseits ist ja schon wieder längst ein GroKo-Kampf um die Deutungshoheit in Sachen Geflüchtete, Integration und all den anderen Kram entbrannt. „All den anderen Kram“, weil Seehofers Masterplan vornehmlich dem Versuch gleicht, sich gegen den Partner SPD zu positionieren und gleichzeitig den einen oder anderen AfD-Sympathisanten abzufischen.
In Sachen Überwachung sieht die Sache anders aus, und sehr viel konkreter dazu.

Super, ein Superinnenministerium!

Wer braucht denn noch ein Innenministerium? Nein, das reicht nicht, es muss SUPER sein, darunter geht gar nichts! Und in Bayern geht es doch auch. Seehofer hat da so seine ganz eigenen Ideen, die prima funktionieren. In Bayern kann die Polizei faktisch gegen jeden ermitteln, wenn sie der Meinung ist, dass das lohnt. Aber nicht nur das. Wenn sie schon dabei ist, kann sie darüber hinaus die überwachten privaten Daten nicht nur einsehen, sondern auch verändern. Seehoferisch könnte man auch „sinnvoll ergänzen“ dazu sagen. Heraus kommt dann … was auch immer. Aber aus einer von mir verfassten Mail kann dann durchaus eine werden, die mit meinem Inhalt nicht mehr viel oder gar nichts zu tun hat. Datenschutzrechtlich ist das nicht gerade beruhigend, und ein gutes Argument gegen das gute alte Argument, dass man mich ruhig durchleuchten könne, ich habe ja schließlich eh nichts zu verbergen. Denn wenn ich nicht einmal mehr darüber entscheiden kann, was ich so tue und schreibe, weil womöglich ein „Korrektor“ noch mal „drübergeht“ und hier und da Änderungen vornimmt, dann sieht das Ganze so aus: Vielleicht habe ich nichts zu verbergen, ok, aber womöglich gibt es Dinge, die ich zwar nicht zu verantworten habe, für die ich aber verantwortlich gemacht werde, sogar, wenn ich sie gar nicht so geschrieben habe. Seehofer hat kein Problem damit, wenn beispielsweise Mails nachträglich staatlicherseits verändert werden. Das ist, als ob in meinem Lebenslauf als Ausbildungsberuf wahrheitsgemäß „Erzieher“ steht, der Horst daraus aber aus Jux und Dollerei „Dachdecker“ macht. In einer Kindertagesstätte brauche ich mich dann nicht mehr zu bewerben, es sei denn, das Dach ist im Eimer.

Total überzogen, unrealistisch, an den Haaren herbeigezogen?
Na, das wollen wir doch mal sehen …

Bayern für alle!

„Die Sicherheitslage in Bayern ist die beste in Deutschland“. Das meint Horst Seehofer, der neue deutsche Innenminister, pardon: Superinnenminister. Und wenn das so ist, dann liegt es nahe, das bayerische Modell auf die ganze Bundesrepublik auszuweiten. Doch das birgt Tücken in sich, um es einmal zu formulieren, wie es Autobauer und Medien machen würden, wenn sie Betrug als „Tricksereien“ oder „Schummeleien“ bezeichnen. Denn was in Bayern – und womöglich auch bundesweit – passiert, ist nicht nur „tückisch“, sondern gravierend und folgenschwer. Und lässt George Orwell wie einen fantasielosen Groschenromanschreiber erscheinen.
Das Magazin „Monitor“ hat sich der Sache einmal anhand eines ganz praktischen Beispiels gewidmet. Das spielte in Bayern, und wenn es nach Seehofer geht, könnte sich Ähnliches in Zukunft auch woanders in der Bundesrepublik ereignen.

Ricarda studierte auf Lehramt. Die Studentin spielt außerdem gern Theater, und als sie unterwegs zu einer Probe war, wurde sie von der Polizei angehalten und überprüft. Der Grund lag unweit entfernt, wo ein paar Aktivisten einen Polizeieinsatz nachspielten, mit „Knüppeln“ aus Pappe. Die Polizei hatte sich aber ein anderes Bild gemacht und machte sich über die Gruppe von Aktivisten her, zu der sie auch Ricarda zählte. Doch die hatte damit nichts zu tun, wusste nicht einmal von der Aktion.

Konsequenzen hatte der Vorfall dennoch. Statt einer Entschuldigung kam auf Ricarda anderes zu. Sie wurde wochenlang überwacht und als Täterin zur „Bildung bewaffneter Gruppen“ eingestuft. Auch das erwies sich zwar als haltlos, doch ihre Daten wurden – zur Sicherheit? – trotzdem an den Verfassungsschutz weitergeleitet. Was nun wiederum ziemlich suboptimal ist, wenn man auf Lehramt studiert.

Süffisant könnte man sagen, dass Seehofer mit einem wirksamen Mittel gegen derlei Vorkommnisse vorzugehen gedenkt. Nämlich mittels Veränderung des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes, das vorsieht, polizeilich auch ohne „konkrete Gefahr“ vorgehen zu können. Aus dem Bauch heraus, könnte man sagen, was dann mit „drohender Gefahr“ übersetzt wird.

Doch was genau kann eine „drohende Gefahr“ sein? Nun, genau genommen alles, wie am Beispiel von Ricarda deutlich wurde. Glaubte sie bisher, als unschuldige Bürgerin nicht ins Visier der Polizei zu geraten, musste sie das Gegenteil erleben. Dennoch kam Ricarda glimpflich davon, denn das neue Polizeiaufgabengesetz sieht Maßnahmen wie Kontopfändungen, die Überwachung der Telekommunikation und sogar Fußfesseln vor. Wie gesagt: ohne konkrete Gefahr, sondern wegen drohender Gefahr, und die lässt sich weit fassen, sehr weit sogar.
Der Gutachter für das Polizeiaufgabengesetz Hartmut Wächtler sagte zu den Vorgängen und Plänen, dass damit die „größte und umfassendste Kontrollkompetenz geschaffen worden ist für eine Polizei in Deutschland seit 1945.“ Bedenkt man, dass anlasslos Computer aufgrund eines unguten Gefühls seitens der Polizei ebenso durchleuchtet und darauf befindliche Daten verändert werden können, und berücksichtigt man, dass auch gegen Personen, die nachweislich nichts verbrochen haben, Aufenthaltsbestimmungen festgelegt werden können (diese sich also nicht mehr frei bewegen dürfen), kann man nur zum Schluss kommen, dass Wächtler recht hat. Was das bayerische Innenministerium freilich ganz anders sieht. Es argumentiert mit dem „Klassiker“ von Totschlagargumenten, wenn es schreibt, dass all das nur dazu diene, „bessere und modernere Eingriffsbefugnisse im Kampf gegen Terrorismus und Kriminalität“ zur Verfügung zu haben. Was dann wohl heißt, dass potenziell jeder Bürger, jede Bürgerin, eher terroristisch und kriminell veranlagt ist als umgekehrt. Eine brisante Logik, die auf unsinnigen Füßen steht.

„Ich hab doch nix zu verbergen.“

Kommen wir zum Schluss zu einem weite
ren „Klassiker“. Der „Ich-hab-doch-nix-zu-verbergen-Argumentation“. Die ist eigentlich lange schon ad absurdum geführt, ein gemütlicher Abend auf dem Sofa mit dem Film „Brasil“ reicht aus, um deutlich zu machen, wie schnell es gehen kann, dass man jemand wird, der man nicht ist. Doch das war ja nur ein Film, oder? Ja, doch im Nachhinein betrachtet untertreibt „Brasil“ sogar noch. Denn im Streifen kam es wenigstens noch zu einem Fehler, der die weiteren Ereignisse bestimmte. Geht es nach Seehofer, sind Fehler nicht mehr nur nicht nötig, sondern nicht einmal möglich. Wenn ein bloßer Verdacht ausreicht, um einen Menschen zu überwachen und mit Sanktionen zu belegen, kann sich die Polizei gepflegt in Unschuld wälzen. Denn über Gefühle lässt sich schlecht streiten, und wenn halt das Gefühl im Raume steht, dass da mit einem Bürger etwas nicht stimmt, dann besteht Handlungsfreiheit.

Wir erinnern uns an den Masterplan Seehofers, über den derzeit so viel geredet wird. Der dreht sich ja an der Oberfläche vornehmlich um schnellere Abschiebeverfahren und posaunt in die Welt hinaus, dass „wir keine rechtsfreien Räume mehr dulden“, wie Seehofer es formuliert. Unter der Oberfläche aber wird in Bayern gerade genau das geschaffen: ein rechtsfreier Raum, wenn es um die Überwachung der Bürger geht.
Aber wozu gibt es schließlich Rhetorik? Nennt man das Verlassen des Rechts und die Schaffung eines breit angelegten rechtsfreien Raums „Polizeiaufgabengesetz“, bewegt man sich im grünen Bereich.

War es nicht Horst Seehofer, der einst von einem „Unrechtsstaat“ sprach? Er kennt sich da ja bestens aus.   [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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