Die Bundeswehr treibt es in die Schulen, denn dort sitzen die Soldaten und Soldatinnen der Zukunft. Dabei werden die Methoden immer dreister, und die Schüler bekommen ein Bild von der Bundeswehr, das Hollywood auch nicht besser hätte inszenieren können.
Neu ist es nicht. Die Bundeswehr hat großes Interesse daran, in Schulen zu gehen und dort den Nachwuchs von morgen anzuwerben. Schon 2014 hat die Bundeswehr 29,9 Millionen Euro für die „Nachwuchsförderung“ ausgegeben. 2015 hielt sie 8.100 Vorträge vor insgesamt knapp 140.000 Schülern. Hinzu kamen 3.200 Vorträge durch Jugendoffiziere und Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen oder Seminare. Freilich alles mit geschultem Personal, das besonders für Debatten und Diskussionen ausgebildet wurde. Unerfahrene Jugendliche dürften derlei Rhetorikern kaum gewachsen sein. Doch weit schlimmer als die Tatsache, dass die Bundeswehr in die Schulen geht, ist die Art, wie sie es tut.
Krieg als Planspiel: Mehr als ein Vortrag
Das Helmholtz-Gymnasium Hilden hatte ein ganz besonderes Unterrichtsfach vorbereitet. Für den 25. Januar 2018 waren sogenannte Planspiele für die Schüler der gesamten Jahrgangsstufe Q2 vorgesehen. Verpflichtend, versteht sich, kneifen galt nicht. Wieder waren Jugendoffiziere mit dabei, nur ging es diesmal nicht um einen Vortrag, sondern um ein weitaus echteres Gefühlserlebnis.
In zwei Arbeitsgruppen sollten nach den Planspielen zwei Themen besprochen werden: Der Krieg in Syrien und die Flüchtlingskrise.

Völlig unabhängig davon, wie genau diese Planspiele gestaltet werden sollten, ist es mehr als bedenklich, dass dies unter der Regie von Jugendoffizieren durchgeführt werden sollten. Dass ausgerechnet diese den Versuch unternehmen, die Thematik mit Augenmaß und einer kritischen Grundhaltung zu behandeln, darf mehr als bezweifelt werden. Zudem: Da für alle Schüler Anwesenheitspflicht bestanden hätte (die Planspiele wurden nach erheblichen Protesten bis auf weiteres verschoben), bestand für Jugendliche, die von der Sache nichts hielten, keine Möglichkeit, aus der Nummer herauszukommen, zumindest nicht, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen.
Die Bezirksregierung konnte den Ärger nicht verstehen. Für sie ging es lediglich um das Thema „Friedens- und Sicherheitspolitik“, also alles im Rahmen dessen, was das NRW-Schulministerium vorsieht – in „ausgewogenem Maße“, wie es hieß. Doch wie ausgewogen kann ein Planspiel der Bundeswehr zum Thema Syrienkonflikt sein? Die Frage ist rhetorischer Natur, denn von Ausgewogenheit kann bei der deutschen Haltung zu Syrien weit und breit nicht die Rede sein. Dass nun ausgerechnet die Bundeswehr diese an den Tag legen soll, lässt den Betrachter ratlos zurück.
Doch die Bezirksregierung ging gleich noch einen Schritt weiter. Eine Sprecherin, die die Planspiele klar verteidigte, sagte:
Dazu gehört, dass auch den Organisationen der Friedensbewegung wie der Bundeswehr die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Positionen im Unterricht – unter Einhaltung bestimmter Vorgaben – gegeben werden kann.
Eine sehr interessante Sicht der Dinge, die Bundeswehr gleich als allgemeine Friedensbewegung zu bezeichnen. Daran sollten sich die Teilnehmer der nächsten Demonstration gegen Ramstein oder andere Anlässe einmal ein Beispiel nehmen. Die einzig wahre Friedensbewegung ist die Bundeswehr. Wer es bisher noch nicht wusste, ist jetzt schlauer.
Mali rockt!
Längst allgemein bekannt sein dürfte der YouTube-Spot der Bundeswehr, der den aufregenden Titel „MALI | Bundeswehr Exclusive | Offizieller Kinospot“ trägt.
Oh, mag man da denken, ein Kinospot, wie cool! Und dann folgt auch noch eine richtige Serie, mit Helden, Problemen und Männern und Frauen, die sich dem Guten verschrieben haben.
Schnelle Schnitte, gestochen (oder geschossen?) scharfe Bilder, gern ein bisschen professionell verwackelt, und natürlich eine Atmosphäre, die es in sich hat. Wenn eine Soldatenstimme aus dem Off sagt: „Ich dachte, es wäre schlimm, aber es kam schlimmer“, dann klingt das nicht nach Mord, Totschlag, Blut, Vergewaltigung, Ohnmacht, Hilflosigkeit und grenzenloser Brutalität, sondern nach echt abgefahrenen Erlebnissen. Klar, schon auch heftig, aber insgesamt doch … ja, eben: cool.
Und das ist genau der Punkt!
Am deutschen Wesen …
… wir kennen das, und der Spruch scheint inzwischen fast überstrapaziert zu sein, denn nicht nur ein „Gauckler“ mit dem Amt des Bundespräsidenten sprach von „internationaler Verantwortung“, die Lesart zieht sich durch die gesamte Politik, seit Jahren schon. Natürlich geht es immer um sehr hehre Ziele wie Demokratie, man will Diktatoren oder Despoten ausschalten, Menschenrechte herbeiführen und – jetzt kommt‘s! – für die Freiheit kämpfen. Wo auch immer, aber auf jeden Fall immer.
Und dafür braucht es Nachwuchs. Insbesondere weil ein Großteil der Deutschen gar nicht mehr einsieht, dass Deutschland sich militärisch massiv im Ausland beteiligt. Die Deutschen wollen das einfach nicht. Also muss man in die Trickkiste greifen. Und die funktioniert auf YouTube sehr gut.
Zielgruppe: jung und naiv
Machen wir uns nichts vor: Unseren jungen Menschen kann die Politik nichts mehr bieten. Keine sicheren Jobs, keine Ausbildung mit Perspektive, kein Studium mit Aussicht auf Erfolg, nicht einmal mehr Jobs, die ohne Befristungen oder der nicht enden wollenden Mühle der Zeitarbeit auskommen. Die Rente ist ja sowieso etwas, das junge Menschen kaum noch als Daseinsvorsorge betrachten, sondern als Luxus, den sich andere vielleicht leisten können, sie aber nicht.
Was also tun? Und: wo?
Im Ausland. Sagt die Bundeswehr, und naturgemäß auch die Bundesregierung. Schließlich sind Auslandserfahrungen immer eine gute Sache, und wenn sie dann auch noch der guten Sache dienen, umso besser.
Der Plan dürfte aufgehen. Denn die Fragen, was Deutschland im Ausland zu suchen hat, wie die Konflikte dort entstanden sind, ob womöglich sogar Deutschland einen Anteil daran hat und ob und wie viel die deutsche Rüstungsindustrie daran verdient, diese Fragen verschwimmen und tauchen unter, wenn die Inszenierung nur perfekt genug ist.
Und überhaupt! Spielt das eine Rolle? Wenn dem Jugendlichen ohne Aussicht auf persönliche Sicherheit versprochen wird, die internationale Sicherheit zu garantieren, kann er, kann sie dazu nein sagen? Wohl kaum, denn die eigene Sicherheit liegt den Menschen eben am nächsten. Wie unsicher sie auch sein mag. Und wie viele Menschen dafür auch sterben mögen. Auf YouTube wird das nicht gezeigt. Und in Planspielen in der Schule ist das sehr theoretisch.
Bis es dann praktisch wird. [InfoBox]