In der Schweiz wird es diskutiert, Finnland und die Niederlande setzen sich ebenfalls damit auseinander, die Befürworter in der Bevölkerung hierzulande werden längst nicht mehr als Spinner abgetan.
Die Rede ist vom bedingungslosen Grundeinkommen (BGE), an dem sich die Geister scheiden. Für die einen ist es die Rettung vor dem Armut und der Garant für kreative Freiheit. Für die anderen ein übler Versuch, sämtliche Sozialleistungen abzubauen – und damit das soziale Problem zu verschlimmern. Schon im Oktober 2016 hat sich auch der Politikwissenschaftler und Armutsforscher Christoph Butterwegge geäußert. Begeistert ist er nicht vom BGE. Allerdings reicht schon die Tatsache aus, dass Unternehmer wie Götz Werner oder Konzerne wie die Telekom oder Post mit dem BGE liebäugeln, um Skepsis daran aufkommen zu lassen.
Woher nehmen und nicht stehlen?
Da ist zunächst die Frage nach dem Geld, also, woher es eigentlich kommen soll. Interessanterweise waren es vor einiger Zeit ausgerechnet die Befürworter des BGE, die das Thema Finanzierung glatt ablehnten. Auch die Frage, welches der zahlreichen Modelle favorisiert würde, stieß auf wenig Gegenliebe. Entsprechend ergebnislos verlief diesbezüglich der Podcast, den wir damals gemacht haben.
Realistisch betrachtet kommt man aber um die Frage der Finanzierung nun einmal nicht herum. Butterwegge sagt, dass für ein BGE im Jahr rund eine Billion Euro aufgebracht werden müsste. Je nach Höhe des ausgezahlten Einkommens wäre es mehr oder weniger, aber die Hausnummer stimmt. Götz Werner dagegen sieht das Geld gar nicht im Vordergrund, für ihn sind Güter und Dienstleistungen der eigentliche Wert, um den es geht. Hübsch formuliert, aber wenig aussagekräftig.
Etwas konkreter wird der „Krautreporter“ Rico Grimm. Er schreibt:
Es ist finanzierbar. Die deutschen Bürger, die hiesigen Firmen und der Staat erwirtschaften pro Jahr 3.600 Milliarden Euro. Ein Grundeinkommen von, sagen wir einmal, 850 Euro für jeden Bewohner Deutschlands würde 836 Milliarden Euro pro Jahr kosten. Das Geld ist also da. Eine andere Frage ist, wie realistisch es ist.
An der Rechnung stimmt aber etwas nicht. Denn die Unternehmen wollen sich ja eben gerade nicht an der Auszahlung des BGE beteiligen. Sie müssen also aus der Kalkulation herausgenommen werden. Und ein Grundeinkommen von 850,- Euro wäre wohl sogar den härtesten Verfechtern des BGE zu wenig (zumindest hoffe ich das).
Nun könnte man sagen, dass die Finanzierung problemlos möglich wäre, wenn alle andere bürokratischen Monster in den Ruhestand gehen. Doch diese Annahme ist unrealistisch, weil jedes System immer auch Bürokratie und damit Kosten bedeutet. Aber selbst wenn wir einmal unterstellen, dass die Finanzierung möglich ist, gibt es weiteres Problem, und das ist grundsätzlicher Natur. Womit wir bei den Arbeitgebern wären.
BGE: Ein „faires System“?
Das zumindest findet Telekom-Chef Höttges. Nur warum? Er könnte (und wird) ganz anderes dabei im Sinn haben, als Fairness oder Gerechtigkeit. Denn wie Butterwegge im Interview mit 3SAT anmerkt, gehören für Götz Werner und seine Mitstreiter zum Grundeinkommen auch noch ein paar weitere Maßnahmen:
Denkt man die Grundeinkommenslogik zu Ende, könnten schließlich alle übrigen Sozialleistungen abgeschafft und alle sozialpolitisch motivierten Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen werden. Es gäbe womöglich keinen Schutz vor Kündigungen mehr, sondern bloß noch betriebliche Abfindungsregeln. Flächentarifverträge erscheinen vor diesem Hintergrund genauso entbehrlich wie Mindestlöhne. Auch müssten die Unternehmer nicht mehr viel „oben drauf“ legen, um Arbeitskräfte zu rekrutieren. Denn die Menschen arbeiten ja nicht bloß des Geldes wegen – da haben die Grundeinkommensbefürworter durchaus recht -, sondern auch, um einen Lebenssinn zu finden, sich nützlich zu machen und etwas für die Gesellschaft zu tun. Das bedingungslose Grundeinkommen wäre gewissermaßen ein Kombilohn für alle Bürger, so wie Hartz IV ein Kombilohn für 1,2 Millionen Aufstockerinnen und Aufstocker ist.
Und Buttwerwegge weiter:
Götz Werner, Gründer der dm-Drogeriemarktkette, möchte sämtliche Steuerarten abschaffen, die Großunternehmer wie er zahlen müssen: die Reichensteuer, die Gewerbesteuer und die Körperschaftsteuer, die Einkommensteuer der Kapitalgesellschaften. Refinanzieren möchte Werner das Grundeinkommen durch eine drastische Erhöhung der Mehrwertsteuer, obwohl diese besonders kinderreiche Familien von Geringverdienern und Transferleistungsbeziehern hart trifft, weil sie praktisch ihr gesamtes Einkommen in den Alltagskonsum stecken müssen.
So also läuft der Hase, und das muss man sich bewusst machen. Sollte das bedingungslose Grundeinkommen in dieser oder einer ähnlichen Form durchgesetzt werden, wäre das für die Unternehmer wahrlich ein Segen, geradezu paradiesische Zustände wären die Folge. Der Staat seinerseits könnte (und würde, davon ist auszugehen) argumentieren, dass er seiner Verpflichtung, alle Menschen mit dem Grundeinkommen zu versorgen, nachgekommen ist und sich einen schlanken Fuß machen. Neoliberale würden das den sehnsuchtsvoll herbeigesehnten „schmalen Staat“ nennen. Doch was passiert, wenn der Staat sich immer mehr aus den sozialen und wirtschaftlichen Fragen heraushält, erleben wir ja jetzt schon. Die zahlreichen Privatisierungen der letzten Jahrzehnte haben den Staat „schlanker“, die Gürtel der Bürger aber auch enger gemacht.
Der „dicke“ Staat
Der Staat darf nicht „schlanker“ werden, er muss „dicker“ werden. Die „Märkte“ führen nicht zu Fairness und Gerechtigkeit, der Kapitalismus neigt nun einmal dazu, alles mitzunehmen, was er kriegen kann. Daher ist es natürlich ein Irrglaube, der „Markt“ werde alles bereinigen und dafür sorgen, dass es allen gut geht und der Reichtum gerecht verteilt wird. Und schon gar nicht mit dem BGE. Denn selbst wenn jeder Bürger 1.000,- Euro monatlich zur Verfügung hätte, es würde nicht reichen, und was oben drauf kommt, könnte auch knapp werden, insbesondere wenn der Mindestlohn Geschichte ist und die Gewerkschaften ihre Daseinsberechtigung verloren hätten. Das BGE würde also im wesentlichen dazu führen, dass den Unternehmen auch die letzten Auflagen und Verpflichtungen abgenommen werden würden, der Arbeitsmarkt wäre kein Ort von Freiheit und Kreativität, sondern ein Platz für Lohndumping und kurzfristigen Arbeitsverhältnissen. Das kann sich niemand wünschen.
Letztlich geht es um Umverteilung. Letztlich geht es darum, die hohen Einkommen an der Versorgung aller zu beteiligen. Nur wenn die Vermögen so verteilt werden, dass jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben ermöglicht wird (und nicht ein Überleben, wie es sich derzeit immer stärker abzeichnet), ist eines der wesentlichsten Probleme unsere Zeit gelöst. Die Stärkung der gesetzlichen Rente gehört dazu, die Erhöhung oder Abschaffung der Beitragsbessungsgrenzen (in der gesetzlichen Renten- und Krankenversicherung), die Einzahlungspflicht für alle. Und natürlich Löhne, von denen man leben kann, ohne aufstocken zu müssen. Alleine die Tatsache, dass Arbeitslose jedes „Jobangebot“ annehmen müssen, selbst wenn es weder ihren Qualifikationen entspricht noch ein gutes Auskommen sichert, ist unerträglich und die Folge eines immer „schlankeren“ Staates. Er verwaltet das vermeintliche „Jobwunder“, das nichts anderes ist als Schönfärberei der Arbeitslosenstatistiken, auf den Köpfen der Betroffenen und bestraft sie für seine eigenen unsinnigen und verachtenden politischen Entscheidungen.
Warum das BGE gar nicht so unrealistisch ist
Bisher galt im Allgemeinen, und auch für Herrn Butterwege: Das BGE wird nicht kommen, es ist ein unrealistisches Gedankenmodell, das sich niemals wird durchsetzen können. Doch man muss schon einen Blick darauf haben, was nach Götz Werner kam und kommt. Denn die großen Unternehmen entdecken die zahlreichen Möglichkeiten des BGE offenbar nach und nach für sich. Derzeit zwar noch vereinzelt, aber es könnte der Beginn einer gefährlichen Entwicklung sein. Je mehr Global-Player das BGE für sich entdecken, desto wahrscheinlicher wird es, dass sie sich dafür aktiv einsetzen. Das ist – Stand jetzt – zwar noch nicht abzusehen, aber durchaus etwas, das man beobachten sollte. Und wenn es in ferner (oder eben nicht so ferner) Zukunft dazu kommen sollte, dass Arbeitgeber an den konkreten Umsetzungen des BGE mitarbeiten, dann: Gute Nacht!
Vom Märchen, dass die Menschen mit dem BGE nicht mehr arbeiten wollen
Die hier geschilderten Argumente reichen für mein Empfinden eigentlich aus, um das BGE nicht auf die persönliche Favoritenliste zu setzen. Ein häufig von den Gegnern vorgebrachtes Argument allerdings soll noch kurz erwähnt werden. Undzwar die Annahme, dass die Menschen nicht mehr arbeiten würden, hätten sie ein BGE. Das ist aus zwei Gründen völlig absurd. Zum einen müssten die Menschen auch mit dem Grundeinkommen arbeiten, zumindest den meisten würde das BGE nämlich nicht reichen, um einen Lebensstandard zu erzielen, der angemessen ist. Zum anderen neigen die meisten Menschen dazu, etwas zu tun, zu arbeiten, schon wegen der Selbstbestätigung, der Kreativität und nicht zuletzt, um nicht der Langeweile zu erliegen. Die „Mit-dem-BGE-würden-alle-nur-noch-faulenzen“-Keule greift also nicht.
Allerdings: Wären mit der Einführung des BGE sämtliche Arbeitnehmerrechte abgeschafft, gebe es ein anderes Problem. Die Arbeitgeber könnten zahlen, wie sie möchten, also auch unterirdisch niedrig. Dem entgegenzuhalten, dass sie dann keine Arbeitnehmer mehr fänden, klingt zwar nett, ist aber unwahrscheinlich. Denn wer zusätzlich zum Grundeinkommen Geld braucht, ist über kurz oder lang eben doch wieder in der Situation, auch Jobs annehmen zu müssen, die er eigentlich nicht machen will, oder zumindest nicht bei zu geringer Bezahlung. Doch ohne Gewerkschaften oder Mindestlohn und ohne staatliche Regeln, wie Arbeit auszusehen hat, um Mindeststandards zu sichern, gibt es keine Hebel mehr, die man benutzen könnte, um Lohndumping zu unterbinden.
Sollte es so kommen, ist Faulheit sicher das letzte Problem, mit dem sich die Menschen beschäftigen werden.
Bild: Pola Rapatt [InfoBox]