Ich bin hier ja noch am Einrichten. Pawel und ich waren daher am Wochenende ein wenig shoppen. Die Öffnungszeiten sind hier etwas anders geregelt als in Deutschland. Die Ladengeschäfte haben in Russland an sieben Tagen die Woche geöffnet, einige rund um die Uhr. Es war eine Idee von Pawel, ein Einkaufszentrum mit dem Namen Avia-Park zu besuchen. Das Einkaufszentrum liegt gerade zwei Stationen entfernt. Was ich nicht wusste, es ist eins der größten Einkaufszentren Europas. Alles ist groß. In der zentralen Halle erstreckt sich ein Salzwasser-Aquarium über mehrere Etagen. So etwas hatte ich vorher auch noch nie gesehen.
Auf die Idee, an einem Sonntag schoppen zu gehen, sind wir nicht allein gekommen. Ein Strom von Menschen ergießt sich aus der Metro und fließt in Richtung Shopping-Paradies.
Es gibt einen Unterschied zwischen Berlin und Moskau, der sofort ins Auge sticht. In Berlin gibt es auch in guten Lagen umfassenden Leerstand. Das Quartier 206 in der Friedrichstraße in Berlin beispielsweise hat eher was von einer zur Meditaion einladenen Oase der Stille als von luxuriösem Einkaufserlebnis. Das Ladensterben setzte schon vor Corona ein, Corona hat die Entwicklung verstärkt, den Todesstoß hat dann aber die Entscheidung gebracht, die Friedrichstraße zu einer “Pop-Up-Fahradstraße” zu machen. Gedacht war das Projekt für einen Zeitraum von einigen Monaten. Es wurde dann aber verstetigt. Allerdings ohne den improvisierten Charakter der Verkehrsführung zu ändern. Wie so Vieles in Berlin war es gut gemeint, ist aber schlecht gemacht. Die Friedrichstraße sieht seitdem aus wie eine Baustelle. Wenig einladend, alles wirkt billig und vernachlässigt.
Der Leerstand ist dank mehrerer Krisen in Folge und einem städteplanerischen Missgriff enormen Ausmaßes unübersehbar groß. Allerdings ist das Quartier 206 keine Ausnahme. Der Leerstand ist in allen Einkaufslagen Berlins auffallend.
Shopping in Moskau …
In Moskau ist das grundlegend anders. Es gibt im Aviapark auch Leerstand, allerdings deutlich weniger. Ein Laden, der vormals von Adidas betrieben wurde, steht leer, ebenso ein Laden, in dem die japanischen Modekette uni qlo ihre Klamotten anbot. Sie haben den russischen Markt verlassen. Selber Schuld möchte man angesichts des großen Andrangs sagen. Auch der schwedische Möbelkonzern IKEA hat moralisch empört über den Einmarsch Russlands in die Ukraine sein Geschäft in Russland aufgegeben. Das Management der russischen Möbelkette Hoff tanzt vermutlich bis heute glücktrunken vor Freude über den Schritt von IKEA. Hoff profitiert offensichtlich. Die entstandenen Lücken durch den Weggang westlicher Unternehmen werden schnell gefüllt.
Wir wollen Lampen und ein bisschen Schnickschnack kaufen. Es ist alles im Überfluss vorhanden. Sogar Personal, das man ansprechen kann. Ein für deutsche Kunden ungewöhnliches Phönomen. Wir bestellen, was das Zeug hält.
Um die Ecke liegt ein OBI. Wir brauchen ein bisschen Werkzeug. OBI hat den russischen Markt ebenfalls verlassen. Allerdings wurde die Kette von einem russischen Geschäftsmann für den symbolischen Preis von zehn Euro übernommen. Die Marke OBI darf er eigentlich nicht weiter benutzen, doch die drei Buchstaben prangen ganz unverkennbar und groß über dem Eingang, finden sich auf den Werbeplakaten und an den Regalen. Das Personal trägt die OBI-typische Uniform, das Sortiment wirkt bekannt.
… und in Berlin
Im Erdgeschoss des Aviuaparks gibt es einen recht stylischen Laden, der Mobiltelefone, Tablets und technischen Firlefanz anbietet. Das Konzept ist ebenso vertraut wie die ausgestellten Telefone. Unter dem Namen Re:Store werden hier die Produkte von Apple verkauft. Auch Apple hatte den russischen Markt werbewirksam moralisch empört und unter Schnappatmung verlassen, möchte aber anscheinend auf die Einnahmen aus dem Russlandgeschäft doch nicht verzichten. Gleiches gilt für McDonald’s. Es ist auffallend, dass US-amerikanische Unternehmen ihre moralische Empörung deutlich schneller überwinden konnten als deutsche. Sie sind auf dem russischen Markt wieder präsent. Die deutschen Unternehmen lassen sich das Geschäft in transatlantischer Gefolgschaft brav wie die Schafe ruinieren.
Die Selbstsanktionierung westlicher Unternehmen lässt sich wohl nicht durchhalten, ohne massive Einbußen hinunehmen. In Russland lässt sich nach wie vor gut Geld verdienen. Anders sieht es in Deutschland und der EU aus. Dort wirken die Sanktionen mit voller Kraft auf die Wirtschaft, senken die Kaufkraft erheblich und damit auch die Nachfrage.
Tja, Karma is a bitch. Die Heuchelei westlicher Konzerne, die bei einem völkerrechtswidrigen Überfall der USA nie irgendwelche Konsequenzen gezogen haben, die sich jetzt aber zum moralischen Richter über Russland aufschwingen, ernten, was sie gesät haben. Vor allem die deutschen Konzerne haben aufs falsche Pferd gesetzt und der ökonomisch stärkeren Region den Rücken gekehrt. Die durch die hohen Energiepreise ausgelöste Nachfrageschwäche in der EU ist nachhaltig. Die EU steigt ökonomisch ab.
Wir fahren zurück. Die zum Schopping-Center gerhörige Metro-Station CSKA hat übrigens mehr was von Flughafen-Halle als von S-Bahn-Station. Der Eindruck, der von diesem Shopping-Tag bleibt, ist, dass sich die EU und Deutschland ziemlich verkalkuliert haben. Von den Sanktionen ist in Russland kaum etwas zu spüren, während die Rückwirkungen der Sanktionen die Diskussion in Deutschland bestimmt. Die Sanktionen sind gescheitert. Es wäre eigentlich an der Zeit, sich an den Verhandlungstisch zu setzen.