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Der Hauptstadtflughafen – Spiegelbild der deutschen Seele

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Neulich bin ich verreist und habe ein Abenteuer erlebt. Dieses Abenteuer will ich euch nicht vorenthalten. Ich habe es daher hier für euch aufgeschrieben. Das Abenteuer fand allerdings nicht in meinem Zielland statt, sondern hier in Deutschland, in Berlin, am Flughafen.

Ich fliege viel und regelmäßig. Ich wohne in Berlin und  fliege daher meist ab BER. Ich fliege vom vermutlich idiotischsten Flughafen der Welt weg und auch wieder dorthin zurück.

Um zu schildern wie verquer und debil der Berliner Flughafen ist, könnte ich im Grunde von jeder beliebigen Reise erzählen, die ich seit Eröffnung des großspurig “Hauptstadtflughafen” genannten Bauwerks von dort aus unternommen habe. Es lief immer etwas schief. Und es lief immer auf die gleiche, typisch deutsche Weise schief: vollkommen akkurat nämlich. Ich will der Einfachheit halber von meiner letzten Reise berichten. Am vergangenen Freitag flog ich von Berlin nach Moskau.

Ankommen

Um es für eilige Leser kurz zu machen: Ich war zwei Stunden vor Abflug am Flughafen und hätte vor lauter deutscher Gründlichkeit meinen Flug beinahe verpasst. Das kam so: Ich reise in der Regel nur mit Handgepäck. So auch dieses Mal. Es ist unkomplizierter. In Moskau wollte ich das Wochenende verbringen, den Geburtstag meines Freundes Dima gemeinsam mit ihm begehen, dabei etwas freiheitliche Luft atmen, indem ich der deutschen Spießigkeit und seiner repressiven Überregulierung entfliehe. Um das zu tun, musste ich mich durch Architektur gewordene deutsche Regulationswut quälen. Um aus der deutschen Überregulierung und der ziel- und maßlosen deutschen Gründlichkeit zu entkommen, muss man eine zynische Zuspitzung all dieser Klischees über die Deutschen physisch durchschreiten. Diese Fleischwerdung des deutschen Wesens ist der BER.

Das Interieur des BER soll gediegen wirken. Das ist die erkennbare Intention, aber in Zusammenhang mit den Abläufen wirkt es rückständig, aus der Zeit gefallen. Der Name des Flughafens ist Willy Brandt. Architektonisch und organisatorisch aber weht hier der Geist der Adenauer-Ära. Es regiert ein größenwahnsinnig gewordener Kleingeist.

Vor Abflug online einchecken geht bei Reisen nach Russland nicht, denn man muss seinen negativen PCR-Test vorlegen. Warum ich auf dem Rückweg ganz problemlos online einchecken kann, bleibt ein Rätsel. Alle Dokumente rund um Corona und Visum kann man in Russland beim Einstieg kontrollieren lassen. Ganz schnell und einfach.

Einchecken

Als guter Deutscher erscheine ich pünktlich und reihe mich exakt zwei Stunden vor Abflug in die Schlange vor dem Check-In-Schalter ein, der gerade öffnet. Ich warte.
Viel früher kommen, bringt wenig, denn die Schalter machen erst zwei Stunden vor Abflug auf. Ich hatte das schon einmal ausprobiert, war drei Stunden vor Abflug am Flughafen, was aber nur dazu führte, dass ich länger auf die Ausstellung meiner Bordkarte warten musste.
Die Abfertigungsschalter sind in der Haupthalle wie Schuhschachteln aufgestellt. Alles ist viel zu klein und unterproportioniert. “Zu klein und zu wenig” ist das der Architektur des BER zugrunde liegende Prinzip. Was vermutlich minimalistisch und reduziert wirken soll, ist einfach nur dysfunktional. Vor den wenigen Automaten beispielsweise, an denen man Tickets für den Nahverkehr ziehen kann, bilden sich beständig Schlangen. Die Leute warten.

Einzig die Wege sind überproportioniert. Man läuft sich tot auf dem BER. Vermutlich soll das den Eindruck von Größe und Erhabenheit vermitteln. Das war schon im Faschismus ein Trick, zu dem Architekten gerne griffen. Am Hauptstadtflughafen scheitert er grandios. Statt ergriffen und erhaben fühlt man sich lediglich genervt und verarscht.

Sicherheitskontrolle

Nach dem ersten Schlangestehen kommt dann gleich das zweite. Es gibt auf dem in Beton gegossenen Symbol spezifisch deutscher Korruption fünf Sicherheitsschleusen. Es gibt Anzeigetafeln, die die Auslastung der Sicherheitsschleusen anzeigen. Man darf die schönste für sich aussuchen, so viel Freiheit sei den Fluggästen zugestanden. An meinem Reisetag zeigen die Anzeigetafeln, dass von den fünf vorhandenen Sicherheitskontrollen vier maximal ausgelastet sind. Die fünfte ist geschlossen.

Von Mitarbeitern des Flughafens wird die Wartezeit dort für jeden einzelnen Passagier optimiert. Das Maximum an sinnlosem Rumstehen wird herausgeholt. Das funktioniert auf folgende Weise: Man wird zunächst an die längste Schlange gelotst. Von Zeit zu Zeit kommt eine Ordnungskraft vorbei und ordnet die Wartenden neu. Man wird genötigt sich in eine andere Schlange einzuordnen. Wer meint, es wäre eine Serviceleistung, die dazu dient, dass alles schneller geht, täuscht sich. Ich zähle nach, vor mir sind noch fünfundzwanzig Wartende, dann noch achtzehn, dann zwölf, schließlich sind es nur noch sieben Passagiere. Ich bin also gleich dran. Mir wird mit anderen Fluggästen nun befohlen, mich an einer anderen Schlange anzustellen. Ich zähle wieder nach. denn es gibt sonst nichts zu tun. Vor mir sind jetzt wieder zehn Personen die auf Durchlass warten. Ich warte weiter.

Die Mitarbeiter an den Sicherheitsschleusen sind offenbar angehalten, gründlich zu arbeiten, sehr gründlich. Und sie sind zu Freundlichkeit angehalten, Es geht provozierend langsam. Jedes Döschen Creme wird in Augenschein genommen. Es wird dabei gescherzt, ein bisschen berlinert, auch geflirtet. Das Personal ist dabei ausgesprochen gut gelaunt – die Passagiere eher nicht. Während etwas weiter hinten die Ungeduld wächst, scherzen die Kontrollettis vorne mit den Fluggästen, die eigentlich nur eins wollen: schnell alles hinter sich bringen, denn es ist schon spät. Endlich darf ich mein Handgepäck präsentieren, Gürtel ablegen, Handy raus, Geldbeutel auch, ebenso das Notebook. “Nichts vergessen? Taschen leer?” “Nein”, sage ich, “nichts vergessen”. Alles wird begutachtet. Gründlich, akkurat. Ich warte auf den Scan, danach wird noch ein bisschen an mir rumgefummelt, schließlich darf ich durch.

Kettensäge im Handgepäck

Ich habe das große Glück, dass mein Gepäck zu einer routinemäßigen Kontrolle auf Sprengstoff aussortiert wird. Das passiert manchmal und dauert an echten Flughäfen, die mit dem Ziel arbeiten, Passagiere abzufertigen, ungefähr dreißig Sekunden. Der BER hat aber das Ziel, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die Passagiere sind dazu lediglich das Mittel. Alles dreht sich um sich selbst, um Regeln, die Frage, wie sie buchstabengetreu umzusetzen sind, wie Abläufe korrekt zu gestalten sind, damit all diese Regeln nicht nur beachtet, sondern ihre Einhaltung durch das Regime zu 120 Prozent gewährleistet ist. Ich bin mir sicher, es gibt unglaublich viele Arbeitskreise am Flughafen, die sich nur damit beschäftigen, wie man all die Vorschriften noch weiterentwickeln und tiefer implementieren kann. Dass sich die Wartezeiten als Nebenwirkung wegen dieser deutschen Gründlichkeit weiter verlängern, spielt für die Verantwortlichen vermutlich keine Rolle. Sie würden es ja sonst anders handhaben.
Dem untersetzten Herrn vor mir in der Schlange wurde ebenfalls das Handgepäck zur genaueren Kontrolle aussortiert. Sein Gepäckstück ist vor meinem dran. Er führt den Motor einer Kettensäge mit. Das Sägeblatt fehlt. Jetzt schließt sich natürlich aufgeregt die Frage an, darf er das mitführen oder darf er nicht? Man kann die Frage so aus dem Stegreif nicht beantworten, ruft daher nach sachkundiger Unterstützung. Ich warte.

Zu den drei Sicherheitsfachkräften gesellen sich nach einigen Minuten drei Polizisten. Der Fall wird geschildert. Ich warte.

Man zückt ein Heftchen mit behördlichen Anweisungen und Regelungen, blättert, diskutiert. Ich warte.

Man wendet sich an den untersetzten Herrn. Der versteht allerdings weder Deutsch noch Englisch. Er will nach Moldawien. In der Hoffnung, dadurch den Vorgang etwas zu beschleunigen, versuche ich es auf Russisch. Er versteht mich, ich verstehe ihn, wir verstehen uns. Ich übersetze. Er wollte den Motor mit nach Hause nehmen und dort instandsetzen. “Aha”. Diskussion unter den deutschen Fachkräften. Wir warten.

Es kommen noch weitere Fachkräfte des Sicherheitsgewerbes hinzu, denn der Fall scheint interessant und lehrreich. Inzwischen sind es um die zehn, die immer wieder auf die Tasche deuten, zu dem untersetzten Herrn aus Moldawien blicken, sich dann wieder ihrer Fragestellung und der Lösungsfindung zuwenden. Wir warten.

Schließlich das Ergebnis langen, gemeinsamen Nachdenkens auf hohem deutschen Niveau. Ich soll ihm übersetzen: Er muss den Motor entsorgen. Dazu muss er die Sicherheitsschleuse noch einmal verlassen, den Motor dann in einen Papierkorb werfen und sich dann mit seinem Gepäck noch einmal anstellen. Hinter der Sicherheitsschleuse gibt es anscheinend keine Abfalleimer, zumindest keine behördlich zuständigen. Allen ist klar, sein Flug ist damit futsch. Meiner auch gleich.

Es gibt für solche unklaren Fälle auf allen anderen Flughäfen der Welt die Möglichkeit, sie etwas Abseits zu klären, um den Fluss der Abfertigung anderer Passagiere nicht zu unterbrechen. In Berlin nicht. Dort müssen sie offenkundig direkt vor Ort unter größtmöglichem Personalaufgebot und Einhaltung des oberster Grundsatz gelöst werden: Eins nach dem Anderen. Eile mit Weile.

Passkontrolle

Im perfekt aufgestellten Hürden-Parcours namens BER stand mir jetzt noch ein letztes Hindernis bevor: die Passkontrolle. Die Passkontrolle für Flüge aus dem Schengenraum heraus, befindet sich eine Ebene höher. Dorthin führt eine Rolltreppe. Weil der Bereich vor der Passkontrolle versehentlich etwas klein geraten ist, gibt es vor Betreten der Rolltreppe eine Absperrung, die von zwei Mitarbeitern des Flughafens kontrolliert wird. Ich schaue nach oben zur Passkontrolle. Als EU-Bürger genieße ich das Privileg, von der neuesten Technik Gebrauch machen und die automatisierte Kontrolle passieren zu dürfen. Vor der automatisierten Passkontrolle steht niemand. Alles ist frei. Dessen ungeachtet soll ich mich hier unten in eine ewig lange Schlange einreihen. Die Mitarbeiter des Flughafens lassen tröpfchenweise mal Fluggäste aus dem Schengenraum, mal Fluggäste mit Pässen aus anderen Regionen nach oben. Im Moment sind Pässe aus anderen Regionen dran. Es wird alles streng kontrolliert und konsequent sinnfrei geregelt. Ich warte.

Wettlauf zum  Gate

Ich warte, aber nur einen kurzen Moment. Es ist mir jetzt echt zu blöd. Ich umgehe die Schlange und tue etwas, was ich selten tue: Ich setze mich über Anordnungen hinweg. Ich öffne eins der Absperrbänder, gehe hindurch, betrete die Rolltreppe. Hinter mir Rufe: “Sir, Sir, you must not …” “Leck mich doch”, denke ich. Die Mitarbeiterin vom Sicherheitsdienst folgt mir. Allerdings nutzt sie die Treppe. Ich bin schneller. Sie ruft mich zurück. Ich soll mich wieder in die Reihe stellen. Ich reagiere nicht, denke aber etwas in Richtung “wie blöd kann jemand sein?”. Das Szenario ist völlig absurd. Ich lege meinen Pass auf das Lesegerät, die Schranke öffnet sich, ich trete in die Schleuse. Die Schranke schließt sich hinter mir. Ich höre noch ihre Rufe. Die Schranke vor mir öffnet sich, erleichtert lasse ich Deutschland hinter mir. Was für ein Land!

Noch einmal ein langer Weg, ein letzter Kurzmarathon zu meinem Gate. Letzter Aufruf. Ich erreiche meinen Flieger in die Freiheit mit letzter Kraft, erschöpft, verärgert aber mit der Aussicht auf ein Wochenende unter normalen Menschen.

Resümee: Der BER ist eine einzige Hürde

Dieser Flughafen ist der letzte Scheiß. Er dreht sich ausschließlich um sich selbst. Der Gedanke, dass diejenigen, die am Flughafen ankommen, nicht in erster Linie willkürliche Regeln und Anweisungen befolgen, sondern ein Flugzeug erreichen wollen, scheint den Verantwortlichen völlig fremd, lachhaft geradezu. Alles am BER ist Hürde. Nichts funktioniert reibungslos, nichts dient dem eigentlichen Zweck eines Flughafens: dem zügigen Durchschleusen von Passagieren.

Dass es auch anders geht, zeigt dann mein Rückflug vom Flughafen Scheremetowo in Moskau. Am Vortag kann ich online Einchecken. Mit dem Online-Ticket gehe ich direkt durch den Zoll zur Sicherheitskontrolle. Vor mir sind drei Personen, an der Passkontrolle ebenso. Es dauert insgesamt keine zehn Minuten, wofür man in Berlin beinahe zwei Stunden benötigt. Auch bei der Einreise nach Russland lief alles zügig, wie eigentlich immer. Trotz dieser Tatsachen bin ich mir sicher, glauben viele Mitarbeiter des BER in mittlerer und höherer Funktion, an eine deutsche Überlegenheit und leben im Glauben, mit ihrer Arbeit der Welt ein leuchtendes Beispiel für deutsche Effizienz und deutsches Organisationstalent zu geben.

Es geht anders. Wenn man denn will. In Deutschland will man nicht. Der BER mit all seiner Willkür scheint mir ein Spiegelbild der deutschen Gesellschaft. Repressive Regeln, fadenscheinige Begründungen für Willkür und absurde Maßnahmen, eine geistlose Spar- und Verknappungsmentalität. So wie der BER organisiert ist, sind wir durch die Corona-Pandemie gegangen, so organisiert Deutschland seine Wirtschafts-. und Außenpolitik. Der BER ist Sinnbild für Deutschland als Staat, der an sich selbst scheitert, weil er den Zweck von Staatlichkeit aus dem Blick verloren hat: Seinen Bürgern eine Existenz in Freiheit und Sicherheit zu ermöglichen. Wie auch am BER sind in Deutschland inzwischen Regeln, Verordnungen, deren Befolgung zum absurden Selbstzweck geworden. Alles ist schwer in diesem Land. Diese Schwere wird dann besonders intensiv fühlbar, wenn man ab und zu das Land verlässt und sieht, wie es woanders läuft: mit großer lebensfreudiger Leichtigkeit.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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