Die Wahrscheinlichkeit, dass Angela Merkel erneut eine Neujahrsansprache hält (oder eine der vergangenen Jahre aus der Mottenkiste gehoben wird) ist hoch. Bei den Koalitionsverhandlungen scheint aber noch alles in den Sternen zu stehen. Mit Abstand die schlechteste Lösung wäre die Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP.
Kürzlich schrieb ich einen Artikel über meine Annahme, dass die politischen Entscheidungsträger nichts anderes als Figuren eines Theaters sind, dass sie also inzwischen faktisch keine Entscheidungen mehr treffen. Das tun vielmehr Großkonzerne, Stiftungen, Banken und Versicherungen.
In Anbetracht dieser (von mir angenommenen) Tatsache könnte es mir im Grunde egal sein, welche Koalition sich am Ende bildet. Ampel? Jamaika? Womöglich gar noch einmal die GroKo? Da die Figuren in Berlin ohnehin nur noch an ihren gut geschmierten Stühlen kleben und auf den nächsten Geldeingang, die nächste Anweisung und ihre Zeit nach der politischen Karriere warten, spielt die Kombination der Parteifarben also keine große Rolle.
Einerseits.
Strahlende Sieger: die Sozialdemokraten
Das mit Abstand größte Problem der deutschen politischen Landschaft ist die SPD. Wegen ihrer Geschichte. Wegen ihrer Gegenwart. Aber vor allem wegen ihrer Zukunft.
Es gab gute Zeiten der Sozialdemokratie. Die Zeit der Annäherung und Versöhnung mit Russland bzw. der damaligen Sowjetunion, beispielsweise. Gut möglich, sogar wahrscheinlich ist meiner Meinung nach die Vermutung, dass wir heute an einem noch viel brisanteren Punkt stehen würden, wäre da nicht Willy Brandt gewesen, der auf Annäherung statt auf Konfrontation gesetzt hat.
Davon ist freilich nichts mehr übrig, auch in der SPD nicht. Sicher wird es noch gestandene Genossinnen und Genossen geben, die – versteckt in den Untiefen der Parteibasis – den Geist Brandts hochhalten. Doch außer in ihren kleinen Mikrokosmen spielen sie keine Rolle in der SPD. Man muss sich nur Heiko Maas ansehen, der als Außenminister wirkt wie ein Tankstellenräuber, der ein dezentes Parfüm auflegt und glaubt, damit sei er ein Diplomat. Maas’ diplomatische Fähigkeiten sind ähnlich ausgeprägt wie die Möglichkeiten Annegret Kramp-Karrenbauers, eine .44 Magnum sachgerecht zu bedienen.
Doch all das spielt keine Rolle. Nicht nach der Bundestagswahl 2021.
Das endgültige Ende der Sozialdemokratie
Ich sehe die Leser im Geiste vor mir, die schon jetzt tief einatmen und dann mit einem Seufzer folgenden oder einen ähnlichen Satz ausstoßen: „Die Sozialdemokratie ist doch schon lange am Ende. Da macht das jetzt den Kohl auch nicht mehr fett.“
Abgesehen von dem durchaus witzigen Kohl-Vergleich kann man aber noch etwas anderes erwidern: Mag sein, dass es seit den Gräueltaten von Gerhard Schröder mit der SPD stetig bergab ging. Und sicher sind die Jahre der Großen Koalitionen nicht spurlos an der Partei vorbeigezogen. Und ohne Frage ist das Personal der letzten Jahre, Jahrzehnte, unfähig, uneinsichtig und innerlich meilenweit von so etwas wie sozialdemokratischen Werten entfernt.
Doch ein paar kleine Pflänzchen waren da noch zu erkennen, wenn man wohlwollend auf die Details schauen will. Da war Kevin Kühnert mit seiner Sympathie dafür, Wohnungskonzerne zu enteignen. Da war ein Olaf Scholz, der schon lange vor der Bundestagswahl die Erhöhung des Mindestlohns auf (natürlich jämmerliche und viel zu niedrige) 12 Euro forderte. So etwas wie eine Bürgerversicherung entsprang auch einigen Köpfen in der SPD.
Erneut sehe ich die Leser vor mir, die behaupten, dass solche Forderungen doch nur gestellt wurden, weil sie sowieso nicht umgesetzt werden konnten (und womöglich bin ich sogar einer dieser Leser).
Sargnagel Olaf Scholz
Doch man muss sich bewusst machen, dass die Ernennung von Olaf Scholz zum Bundeskanzler der Tritt riesiger Springerstiefel auf die oben erwähnten Pflänzchen bedeuten wird.
Die letzten Jahre gab es immer wieder Stimmen in und außerhalb der SPD, die die Rückkehr zu sozialdemokratischen Werten angemahnt haben. Es waren wenige, und sie hatten zugegebenermaßen auch nur wenig Einfluss. Aber es gab sie, und wäre es mit der SPD in dieser Wahl noch weiter bergab gegangen, hätten sie womöglich doch noch irgendeine Wirkung erzielen können. Bei einem einstelligen Wahldesaster wäre es natürlich trotzdem denkbar gewesen, dass alle auf ihren Posten geblieben wären. Aber deutlich weniger Mitglieder im Bundestag, dementsprechend auch weniger Zuneigung (und Zuwendungen) durch Lobbyisten und eine Führungsmannschaft, die immer mehr Halt bei der Basis verliert – all das hätte womöglich (!) schlussendlich zu einer Besserung der inhaltlichen Ausrichtung führen können.
Sollte es aber mit der Ampel-Koalition klappen, ist das das endgültige Ende der SPD. Denn hatten es die mahnenden Stimmen ohnehin bisher schon schwer, viel zu schwer, werden sie im Falle der Kanzlerschaft durch Olaf Scholz bis zum Jüngsten Tag nicht mehr das geringste Gewicht haben.
Der Grund ist denkbar einfach: Die Funktionäre werden sagen können, sagen es ja schon jetzt, dass sie alles richtig gemacht haben, dass sie die klaren Sieger der Wahl sind und dass die Politik der letzten Jahrzehnte doch im Prinzip richtig war. Die Wähler haben es zwar erst jetzt verstanden, aber besser als nie. So dürfte es in zahlreichen Köpfen von Sozialdemokraten gerade aussehen.
Kein Zurück!
Die einzige Chance, die die Sozialdemokratie und die politische Landschaft haben, ist eine Jamaika-Koalition. Nur die Rolle in der Opposition kann die rudimentären Reste an Sozialdemokratie mit etwas Glück und vielleicht entsprechendem Personal noch retten.
Wenn es zur Ampel kommt, wird das an der Politik des Alltags nicht viel ändern. Ampel oder Jamaika – inhaltlich spielt das wirklich keine Rolle. Selbst eine erneute Große Koalition wäre sozusagen dasselbe in Grün, nur ohne die Grünen. Für die SPD, die einen Kanzler namens Olaf Scholz stellt, wäre es aber der Super-GAU, denn wenn sich eine weitgehend beratungsresistente Partei wie die SPD in ihrem Tun im Recht sieht, wird es keinen Weg zurück zu sozialdemokratischen Inhalten geben.
Ich habe ja schon oben geschrieben, dass ich nicht mehr davon ausgehe, dass die politisch Verantwortlichen tatsächlich noch Entscheidungen treffen. Wer das für eine Verschwörungstheorie hält (nein, krude sollte sie auch noch sein!), möge meinen verlinkten Text lesen und sich dazu äußern. Wenn ich komplett falsch liege mit meinen Einschätzungen, bin ich für Hinweise, besser noch: Belege äußerst dankbar.
Diesen Text hier habe ich geschrieben, weil ich versuche, mir selbst noch ein bisschen Hoffnung zu machen. Die Hoffnung wäre, dass eine überzeugte sozialdemokratische SPD womöglich doch noch etwas bewirken könnte. Etwas, das den fatalen eingeschlagenen Weg in eine andere Richtung führen kann.
Ein frommer Wunsch, ich weiß.
Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich im Neoliberalismus zuletzt, während die Wahrheit im Krieg zuerst dran glauben muss.