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Im Himmel gibt es kein Corona

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Es gibt nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem: den Selbstmord. Und über den denke ich in den letzten Tagen oft nach. Nein, nicht sofort den Notruf alarmieren. Es herrscht keine Gefahr – noch nicht. Aber klar ist mir auch: Nein, ewig geht das so nicht weiter für mich.

Einige Wochen ist es mittlerweile her, da hat der Weltärztepräsident Montgomery angemerkt, dass diese Pandemie nie ende. Wir sollten brav weiter unsere Masken tragen, er sehe das nicht als dramatischen Einschnitt in die Grundrechte an. Zunächst regte ich mich über den Weltherrschaftspräsident auf. Allerdings nur kurz. Der Winter war hart; ich gebe es offen zu, ich habe gelitten. Schwerer als man das zuweilen glaubt, wenn man mich reden hört, mich liest. »Du warst doch immer für einen Spaß zu haben«, werden einige sagen. Ja, war ich. Auch traurig neige ich dem Humor zu. Lachen und weinen kann man nicht als untrennbar einstufen. Bitterer wurde mein Humor allerdings schon. Und zynischer.

Nun ja, jedenfalls verlor ich schnell die Aufregung, nachdem ich das von Montgomery gelesen hatte. Ich dachte über das nach, was uns – die Frau an meiner Seite und mich – vor einigen Monaten beschäftigt hatte. Damals, als es kein anderes Thema mehr gab als Inzidenzen, weitere Eingriffe und Erschwernisse, als ich zum Beispiel las, dass in Teilen Bayerns eine Bartrasur für Vollbartträger verordnet wurde, um FFP2-kompatible Gesichter zu haben. »Stell dir vor«, haben wir uns gegenseitig gefragt, »das geht ewig so weiter, wir sehen nichts mehr von der Welt, tragen immer Maske, lassen uns bevormunden, die Menschen entfremden sich weiter: Was machen wir dann?« Wie wir das für uns beantworteten, darüber ist schwer zu reden.

Wollen wir so leben?

Denn wir wissen ja, dass es »nur ein wirklich ernstes philosophisches Problem [gibt] : den Selbstmord« nämlich, um das Thema mal mit Albert Camus zu beginnen. Sachlich haben wir über ihn gesprochen. Über den Selbstmord – nicht Camus. Ohne akute Not. Beide sind wir nicht suizidgefährdet. Wir traten aber einen Schritt zurück, betrachteten die Situation, die Perspektiven: Wollen wir so leben? Würden wir in so einer Welt im Ausnahmezustand einen Platz finden, den wir gerne ausfüllen? Reicht uns der Rückzug in unsere Privatheit, in das stille Netflix-Biedermeier, Zierkissen auf dem Sofa und eine Lieferando-Bestellung, um zu vergessen, wie es früher war?

Klar, wir vereinsamen auf hohem Niveau. Wir haben uns. Und wir haben in den letzten Monaten gespürt, wie stabil unsere Beziehung tatsächlich ist. Wäre einer von uns ein Corona-Schisshase gewesen, ein Lockdownie, während der andere es lockerer, ja auch kritischer beargwöhnte: Das hier wäre gescheitert. Toleranz in einer Partnerschaft kann nicht alles aushalten. Wir waren uns gegenseitig der jeweils letzte vernünftige Mensch.

Wir sind kein Suizidpärchen. Nicht falsch verstehen. Wir sprachen darüber und waren uns einig: Es kann sein, dass wir in einer Zukunft – nicht heute, nicht morgen – einen gemeinsamen Entschluss fassen würden, wenn die Welt dieser beschissene Platz bleibt. Dabei meinen wir jetzt nicht nur den Luxusumstand, mal ausgehen zu wollen oder einen Urlaub anzutreten. Auch das Zwischenmenschliche bringt uns auf diese Gedanken. Denn wie die Leute sich belauern, sich nicht zu nahe kommen, sich einfügen in die Uniformität oder sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen: So kann man doch auf Dauer nicht leben wollen!

Lebensschutz oder Suizid: Die Würde des Menschen ist mannigfaltig

Wir glauben im Moment, dass wir nicht auf natürlichen Wege aus dem Leben scheiden werden. Das ist der Stand heute. Wir hoffen sehr, dass wir uns täuschen, dass unsere Empfindung nur eine Momentaufnahme ist. Wahrscheinlich treten wir ja nicht in eine bessere Gesellschaft. Aber vielleicht normalisiert sich der menschliche Umgang wieder, kann man wieder Freiheiten erleben. Jedes Jahr aufs Neue machen wir das, was wir seit November erlebt haben, aber nicht mehr mit. Dazu reicht nicht nur unsere Kraft nicht – das ist nicht die Vorstellung von unserem Leben. Wenn es das gewesen sein soll, dann wäre es besser, wenn es das gewesen sein soll mit uns.

Natürlich verherrlichen wir den potenziellen Abgang in einer Zukunft nicht. Wenn man darüber nachdenkt, macht das einem Angst. Und wie will man es anstellen? Wie gelingt es schmerzfrei? Das sind ganz praktische Fragen. Wir sind ja beide nicht depressiv, uns treibt ja nichts aus reiner Lebensmüdigkeit zu solchen traurigen Gedanken. Das Leben wäre uns immer lieber als der Tod. Die gesamte Misere halten wir für eine Frage der Menschenwürde. Unserer Menschenwürde. Man kann sie, wie die Lebensschützer der letzten anderthalb Jahre, als Haltung auffassen, die das Überleben ins Zentrum des Handelns stellt. Überlebst du noch oder lebst du schon? Würde ist für uns eine Frage des Lebens, des savoir vivre, des Verstehens des Lebens.

Überlebensmodelle akzeptieren wir für eine kurze Zeit. Aber dauerhaft muss sich etwas anderes etablieren. Wir waren Fans der Serie »The Walking Dead«, waren aber auch immer der Ansicht, dass wir in so einen Szenario nicht lange leben wollten. Nur immer das Überleben zu sichern: Da ist doch keine Menschenwürde mehr im Spiel. Das ist unwürdig. Die Corona-Politik geriert sich als Überlebenspolitik und nutzt auch eine Rhetorik, die darauf abzielt, das hehre Motiv der Lebensrettung in den Mittelpunkt zu stellen. Wenn wir das noch weitere Jahre ertragen müssen, bleibt uns womöglich keine Wahl, weil wir uns in keiner Welt alt werden sehen, in der das Normalität sein soll.

Wer den Tod fürchtet, wird nie wie ein lebenstüchtiger Mensch handeln

Nein, wirklich, macht euch keine Sorgen. Jetzt, da die Testpflicht wegfiel, gehen wir sogar wieder aus. In der Frankfurter Innenstadt fiel endlich die Maskenpflicht. Wir hatten sie selten beachtet, aber immer mit unters Kinn geklemmte Maske in Habachtstellung durch die Straßen zu laufen, sich nach links und rechts umguckend, ob nicht irgendein Abschnittsbevollmächtigter um die Ecke biegt, der uns ein Strafgeld aufbrummen darf, war auch nicht für unsere Gesundheit förderlich. Wir hätten das Ding ja einfach tragen können? An der frischen Luft? In einer verwaisten Innenstadt? Ehrlich jetzt?

Das ist es ja, wir haben Abstand gewahrt vor dieser ganzen Kopflosigkeit, haben uns unseren Kopf bewahrt. Das ist nicht gesund. Das hat uns zu leidenden Außenseitern gemacht. Und uns auf diesen Gedanken des eigenen Endes gebracht. Dabei fiel uns auf, dass wir den Tod jetzt nicht gerade mit offenen Armen empfangen würden. Aber dass Leben ein bisschen Risiko ist, dass es das sein muss, um Leben sein zu können, das galt für uns von Anfang an als klare Angelegenheit. Wer den Tod fürchtet, der wird nie wie ein lebenstüchtiger Mensch handeln können. Diesen markigen Spruch würde ich mir gerne ans Revers heften. Er stammt aber von Seneca. Der Mann kannte sich aus mit Selbstmord. So schied er aus der Welt.

Überhaupt ist diese römische Haltung, ohne sie jetzt verklären zu wollen, eine ganz andere Interaktionsgrundlage mit der Welt. Die alten Knaben neigten dem Stoizismus zu, eine philosophischen Richtung, die durch Gelassenheit und Determinismus gekennzeichnet war. Nun sind wir beide keine klassischen Stoiker, aber im Alltag leben wir schon Anflüge dieser Haltung. Vielleicht kommt es daher, dass wir uns über ein selbstgemachtes Ende Gedanken machen, wenn die Welt so bleibt wie jetzt. An einen Himmel, wie es die Überschrift dieses Textes kundtut, glauben wir allerdings nicht. Dass es im Himmel kein Corona gibt, hat offenbar ein kleines Kind neulich gesagt. Eine Zeitung berichtete darüber. Todessehnsüchte: Sie scheinen weitverbreitet. Danke, Merkel.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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