Auch wenn der Epidemiologe Klaus Stöhr – ebenso wie viele andere Experten – einen Inzidenzwert von 50 im Winter für komplett illusorisch hält, hat die Ministerpräsidentenkonferenz weiter an ihrer Linie festgehalten. Jetzt sind aber 35 Infektionen pro 100.000 Einwohner der neue Richtwert.
Machen wir uns nichts vor: Diese willkürlichen politischen Entscheidungen haben weder etwas mit Evidenz noch mit Mitgefühl gegenüber den geplagten Bürgern zu tun.
Selbst wenn der Inzidenzwert von 35 erreicht werden sollte – was wohl vor dem Frühling oder gar Sommer undenkbar erscheint -, gibt es wenig Grund zum Frohlocken. Denn sogar, wenn Geschäfte in diesem theoretischen Fall wieder öffnen dürfen, gilt, dass sich auf 20 qm nur ein Kunde aufhalten darf.
Wie das mit einem Mindestabstand von 1,50 Meter vereinbar ist? Fragen Sie lieber nicht.
Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem sich die Politik stolz auf die Fahnen schreibt, durch die Öffnung von Friseursalons die Menschenwürde zu gewährleisten.
Nun muss ich natürlich aufpassen, dass mir nicht der Vorwurf gemacht wird, ich würde das Handwerk des Friseurs abwerten, wenn ich die Öffnung von Salons nicht als ausreichend für die Garantie der Menschenwürde anerkenne. Aber diese Pille schlucke ich mit Vergnügen, denn es wäre zwar zumindest eine Spur Würde enthalten, wenn Friseure statt in den Suizid wieder an den Kundenplatz schreiten dürfen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Doch unter Würde, oder Menschenwürde, stelle ich mir etwas anderes vor.
Die neuerliche Ministerpräsidentenkonferenz wurde am 10. Februar 2021 meiner Wahrnehmung nach kaum beachtet oder kommentiert. Zumindest in der Blase der sozialen Medien, in der ich umherschwirre, war nur wenig zu lesen. Sicher lag das daran, dass kaum noch jemand mit Überraschungen positiver Natur gerechnet hat. Und auf die allgemeine Empörung über unsinnige und repressive Maßnahmen haben scheinbar auch immer weniger Leute Lust. Bringt ja eh nix.
Die Menschen sind pandemiemüde, ja, das stimmt. Aber sie sind es auch sonst.
Heilige Macht, stille Macht
Hört man von den Querdenkern noch etwas? Eher nicht, höchstens, wenn der Begriff als solcher für diffamierende Zwecke benutzt wird. Oder wenn eine „Studie“, die nicht mehr als ein Plauderkreis im Regierungsauftrag war, bewiesen haben will, dass die Demos gegen die Corona-Politik zu einer Ausbreitung von Covid19 beigetragen haben.
Diese „Studie“ ist ein schlechter Witz, aber sie erfüllt ihren Zweck. Wobei man darüber schon wieder sinnieren könnte, denn Demonstrationen finden ohnehin so gut wie gar nicht mehr statt. Aber zur Sicherheit möglichen Widerstand gleich mit einem gepflegten Schlag in den Nacken zunichte zu machen, kann schließlich auch nicht schaden.
Unsere heilige Macht hat übrigens in aller Stille schon zu Beginn der Krise einen genauen Plan gehabt. Von wegen planlos, das war wohl nichts. Auf Seehofers Geheiß hin hieß es adressiert an „die“ Wissenschaft (also an die üblichen Verdächtigen, deren Fressen wir langsam nicht mehr sehen können), man solle ein Modell entwerfen, das „
Maßnahmen präventiver und repressiver Natur
zulasse.
Worst-Case, Großeltern, die wegen ihrer Enkel sterben, Millionen von Toten, Krankenhäuser am Rande des Nervenzusammenbruchs – alles war längst rhetorisch und strategisch vorbereitet. Die tatsächliche Entwicklung der vermeintlichen Pandemie spielte also von Anfang an keine entscheidende Rolle.
Spalten, unterdrücken, leugnen
Es bleibt abzuwarten, was in der Gesellschaft passiert, wenn die Friseure – und nur die Friseure! – Anfang März wieder so etwas Ähnliches wie öffnen dürfen. Wie mögen andere Branchen reagieren? Mit einer Welle der Solidarität? Oder vielleicht doch eher mit einer Welle der Empörung, weil sie noch nicht dran sind?
Beides ist denkbar, und die zweite Option wird der Politik bewusst sein. Kommt es womöglich zu einer weiteren Spaltung der Gesellschaft, wird diese – einmal mehr – von der Politik zu verantworten sein. Doch die wird es leugnen, so wie sie leugnet, dass Ihre Maßnahmen destruktiv sind und zu unzähligem Leid auf unterschiedlichen Ebenen führen. Wir werden regiert von Leugnern!
Die politisch Verantwortlichen kommen nicht mehr raus aus ihrer Praxis der Unterdrückung und der Willkür. Allein das Wort „Evidenz“ scheint ähnlich aus der Wahrnehmung verschwunden zu sein wie die Vorstellung an eine Grillparty mit heftigem Drücken und Herzen.
Über den Inzidenzwert brauchen wir uns aber keine großen Gedanken mehr zu machen (nebenbei bemerkt: Es spricht auch niemand mehr darüber, dass eine Infektion nicht zwingend eine Erkrankung bedeutet, aber was soll’s). Ob er bei 200 liegt oder bei 50 oder bei 35, ist unerheblich. Denn sollte die „Gefahr“ bestehen, dass wir uns der magischen 35 nähern, wird – darauf können gern Wetten abgeschlossen werden – die Grenze einfach noch weiter nach unten verschoben.
So gesehen, liebe Leser, können Sie sich entspannen: Den Wert, der Ihnen wieder ein wenig Würde zurückgibt, gibt es offenbar nicht. Versuchen Sie also gar nicht erst, ihn zu erreichen.
Es lohnt sich nicht.