Einen großen Wurf hatte die SPD schon länger nicht mehr. Aber mit der Grundrente – gern auch „Respekt-Rente“ genannt, weil die Sozialdemokraten ja die Nähe zum hart arbeitenden Volk suchen – hat sie es seit Langem mal wieder geschafft, in den Umfragen ein wenig zuzulegen, sogar an den Grünen vorbeizuziehen, die doch eigentlich unangreifbar schienen ob Schwiegertöchterchen Annalena und Schwiegersöhnchen Robert. Das soll was heißen, denn die beiden tragen das Image der politisch Korrekten vor sich her wie ein Geistlicher sein Kruzifix um den Hals. Jetzt aber ist die SPD im Aufwand … pardon: Aufwind. Für den Moment. Und ich bin mir ziemlich unsicher darüber, ob ich das gut finden soll.
Sollte ich wohl besser, wie ich in den letzten Wochen gelernt habe. Denn wenn wir zwar nach wie vor von Lobbyisten verarscht werden, darüber aber Bescheid wissen, ist das – so der Lerneffekt meinerseits – immerhin besser, als wenn wir von Lobbyisten verarscht würden, darüber aber nicht Bescheid wüssten. Das Prinzip „Ist-zwar-nicht-viel-aber-immerhin-beser-als-gar-nichts-nun-mach-mal-nicht-alles-schlecht“ verfolgt mich wie eine lästige Mücke. Auch nach der Rede von Angela Merkel auf der Unsicherheitskonferenz, die hüben wie drüben enthusiastisch gelobt wurde, hieß es schnell: „Na, da hat sie doch vieles gesagt, das richtig ist. Jetzt mach doch ihre Rede nicht so schlecht! Außerdem hat sie sich gegen Trump positioniert, also!“
Ja, ja, ist ja gut. Ist ein erster Schritt, wenn man von den Lobbyisten weiß, ist ein zartes Pflänzchen, wenn Merkel sich für deutsche Autos einsetzt und darauf besteht, dass sie keine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellen. Alles ziemlich revolutionär, erste Schritte halt, tolle Gesten, sieht man mal davon ab, dass unser Rüstungsetat auf einen dreistelligen Milliardenbetrag hinausläuft (gut möglich, dass das sogar Trump noch erlebt) und die Lobbyisten nicht etwa an Einfluss verlieren, sondern seit Jahren gewinnen. Aber ok, ich will das nicht schlechtreden.
Die SPD übrigens auch nicht. Im Grunde. Aber ich kann einfach nicht anders, weil das, was Schahles, Nolz & Co. da jetzt veranstalten, auf mich einfach nicht glaubwürdig wirkt. Die SPD-Spitze versucht nun schon seit Beginn des Eintritts in die Koalitionsatmosphäre, irgendwie zu punkten, dafür zu sorgen, dass wieder mehr Menschen sie liebhaben. Aber es scheiterte immer wieder. Entweder an der klugen Strategie Merkels, die alles, was auch nur einen pfiffigen Ansatz hatte, für sich in Anspruch nehmen konnte, oder daran, dass die SPD Lachpillen zu verabreichen versuchte, die kein Mensch lutschen wollte. Womit auch der Effekt des Lachens ausblieb (außer bei Nahles, wenn sie lustige Lieder sang).
Und jetzt die Grundrente. Und steigende Umfragewerte. Genau genommen ist das eine ganz schlechte Mischung. Weil beides recht gut ankommt bei den Menschen, die sich Verbesserungen wünschen. Die aber nicht sehen, dass es keine Verbesserungen bedeutet. Und ja, ich gebe zu, jetzt bin ich eben doch wieder die Spaßbremse, die eben nicht das „Ist-doch-wenigstens-etwas“ herunter beten mag, sondern sich denkt: Dieselben Leute in der SPD, die bis kurz vor der 5-Prozent-Grenze der nächsten Wahl die Agenda 2010 verteidigt haben, sollen jetzt die sein, die sie „hinter sich lassen“? Dieselben Verantwortlichen, die seit Jahren Sanktionen, Privatisierungen, Rüstungswahnsinn und Hand Jobs für Amazon & Co veranstalten, sind nun geläutert und plötzlich wieder denen zugewandt, die sie seit Jahren in den Abgrund treiben?
Sorry, das kann ich nicht glauben. Und das liegt ausgerechnet an dieser Grundrente, weniger am großen Ganzen. Zum einen, weil ich bei der SPD keinen Blick auf das große Ganze erkennen kann. Zum anderen aber auch, weil die Grundrente das Grundproblem nicht löst: Nämlich, dass eine Grundrente gar nicht nötig sein dürfte. Weil Löhne, die hoch genug sind, um ein auskömmliches Leben zu gewährleisten, auch ausreichen würden, eine entsprechende Rente zu bekommen. Weil eine überzeugte Stärkung der gesetzlichen Rente den privaten Versicherungslobbyisten (ups, da sind sie wieder, die Lobbyisten!) den Garaus machen und den „fleißigen und hart arbeitenden Menschen“ nicht ihre letzten Taler aus der Tasche ziehen würde. Was die SPD jetzt öffentlichkeitswirksam vorschlägt oder fordert, ist für mein Empfinden eine coole PR, aus SPD-Sicht „endlich“ mal eine gelungene. Aber es ist nicht der Griff nach dem eigentlichen Problem. Im Gegenteil, es wird, wenn der kurzfristige Umfrageerfolg anhalten sollte, dazu führen, dass die SPD die Notwendigkeit, größere Ideen auf den Weg zu bringen, gar nicht sieht. Wozu ein großer Kuchen, wenn auch ein bisschen Zuckerbrot reicht?
Mit diesem Personal und mit diesen Ideen, die nichts weiter sind als die Verwaltung von Problemen statt ihrer Beseitigung, überzeugt die SPD zumindest mich nicht.
Und mit einer „Ist-doch-immerhin-schon-etwas“-Philosophie wird sie auch ihre Umfragewerte wohl nicht halten, geschweige denn ausbauen können. Weil die Menschen sich zwar gerne mal zwischendurch etwas Sand in die Augen streuen lassen, ist ja kurzfristig ein gutes Gefühl. Mittel- und langfristig aber wird dieses Marketing nicht funktionieren.
Und ja, von mir aus, dann bin ich eben doch mal wieder eine Spaßbremse. [InfoBox]