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GEZ-Gebühren für die ARD? Wieso nicht gleich Provisionen von der Allianz?

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Es muss natürlich nicht die Allianz sein. Jede andere Versicherungsgesellschaft, die Riester-, Rürup-, private Lebens- und Rentenverträge sowie vermeintliche „betriebliche Altersvorsorge“ anbietet, könnte der ARD (oder dem ZDF) ebenfalls üppige Provisionen zahlen. Oder andere „Aufwandsentschädigungen“. Aber beginnen wir doch mit dem Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.

So steht es geschrieben, und zwar auf der Website von „das Erste“ .Grundlage für den Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sei das Grundgesetz:

Danach soll der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit seinen Programmangeboten „zur Information, Bildung, Beratung, Kultur und Unterhaltung einen Beitrag zur Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung“ leisten.

Klingt gut. Und weiter heißt es:

Der Rundfunk soll die freie Meinungsbildung und kulturelle Vielfalt gewährleisten. Durch seine Programme wirkt er zum einen als technisches „Medium“. Durch die Auswahl von Programmen und Themen wirkt er aber auch als „Faktor“, weil diese Themen wiederum die Gesellschaft mit ihren sozialen und kulturellen Bedürfnissen beeinflussen.

Und da wird es schräg, denn mit der Beeinflussung der kulturellen, in diesem speziellen Fall: sozialen Bedürfnisse treibt es die ARD gerade ziemlich bunt, und nicht erst seit gestern. Wir wissen ja alle, dass die gesetzliche Rente ein Problem hat. Eines, das spätestens seit Schröders neoliberalem Kurs ganz erheblich ist, weil ein System, das seinerseits systematisch geschwächt wird, kaum überleben kann. Und so wurde an der gesetzlichen Rente fleißig geschraubt, gedreht, sie wurde einer Art Waterboarding unterzogen, bis sie kaum mehr atmen konnte.

In Anbetracht der schwierigen Rahmenbedingungen steht sie immer noch recht gut da, die gesetzliche Rente, das ist schon aller Ehren wert. Aber Politik, Versicherungen und Finanzdienstleister arbeiten mit Volldampf daran, ihr endgültig die Lebensgrundlage zu entziehen. Der Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wäre nun, die Situation zu beleuchten. Mit der oben zitierten „öffentlichen Meinungsbildung“, natürlich mit der „freien Meinungsbildung“ und schlussendlich der „Information“, die die Menschen brauchen, um sich ein umfassendes Bild zu machen. Doch davon ist sie Lichtjahre entfernt. Und offenbar geht es ihr damit prima.

Laut ARD ist die gesetzliche Rente erledigt

boerse.ard.de malt einmal mehr ein düsteres Bild der gesetzlichen Rente. Um aber zu verstehen, was dahintersteckt, muss man ganz ans Ende des Artikels scrollen, wo zu lesen ist:

Auch wenn die meisten künftigen Rentner die Kernbotschaft des Altersvorsorgeatlas Deutschland nicht gerne hören mögen, so ist sie doch wichtig: Ohne private Altersvorsorge dürften es viele Bevölkerungsgruppen nicht schaffen, ihren Lebensstandard im Alter zu sichern.

Zunächst: das ist richtig. Aber nicht, weil die gesetzliche Rente nicht mehr leistungsfähig genug wäre oder der viel beschworene Demografiefaktor so vernichtend wirkt, sondern weil die gesetzliche Rente (GRV) verkauft wurde. Gegen üppige Provisionen. Der ARD oder deren Mitarbeitern zu unterstellen, sie würden nebenbei Versicherungsgeschäfte machen, wäre zwar gewagt, ist aber gar nicht nötig. Denn eine Werbeanzeige von der „Union Investment“, die innerhalb des Artikels prominent platziert wurde, spricht eine deutliche Sprache. Geht doch!

Die Dramaturgie der ARD

Die Rente ist nicht sicher, sie ist nur noch ein Häufchen Elend. So die Botschaft der ARD, die mit dem Absatz beginnt:

Keine Angst vor der Rente? Oh doch! Laut dem neuen Vorsorgeatlas Deutschland müssen vor allen die heute 20- bis 34-Jährigen um ihren Lebensstandard im Alter bangen. Wenn, ja wenn sie nicht gegensteuern.

Das Lektorat der ARD sollte eigentlich besser sein als mein eigenes (ich bin da etwas schlampig, zugegeben), und deshalb überrascht es schon, dass statt des korrektem „vor allem“ das falsche „vor allen“ verwendet wurde. Aber sei‘s drum, Zeit ist schließlich Geld.

In jedem Fall ist die Dramaturgie wirksam. Von einer „kalten Dusche“ für die jüngere Generation ist da die Rede. Von nur noch 38,6 Prozent des letzten Bruttolohnes wird geschrieben, die 20- bis 34-Jährige in Zukunft erwarten können. Wenn, ja wenn sie nicht privat vorsorgen. Noch dramatischer dürfte sich diese Meldung auf all jene auswirken, die sowieso schon unterirdisch verdienen, weil die Lohnentwicklung desaströs ist und atypische Arbeitsverhältnisse, Befristungen, Werkverträge und Zeitarbeit nur noch ein Dasein am unteren Rand erlauben. Dass allerdings die Höhe des Einkommens Auswirkungen auf die Höhe der Rente hat, verschweigt die ARD, zumindest was die „normalen Menschen“ angeht. Die Besserverdienenden dagegen erfahren eine fette Portion Mitleid. Denn durch die Beitragsbemessungsgrenze müssten sie erhebliche Einschnitte hinnehmen. Wer also 2.000 Euro netto verdient, muss sogar mit nur 38,5 Prozent statt der 38,6 Prozent für die „Tagelöhner“ auskommen. Denen geht es also sogar noch 0,1 Prozent schlechter. Nicht auszudenken, wie es jemandem geht, der 3.000-, 5.000-, oder gar 10.000,- Euro netto verdient. Das sind ja gravierende Einschnitte!

Das unvollständige Verhältnis von Jung und Alt

Kritiker der gesetzlichen Rente, oder besser: Lobbyisten der privaten Geschäfte mit der Altersarmut bevorzugen einfache Lösungen. Und die gehen so: Immer mehr ältere Menschen stehen immer weniger jungen Menschen gegenüber. Deshalb verschiebt sich der Anteil derer, die einzahlen und der anderen, die Renten empfangen. Kann nicht funktionieren, so der allgemeine Tenor, so auch der Tenor der ARD.
Auf die katastrophalen Löhne der letzten Jahre wurde weiter oben bereits eingegangen. Die werden aber von der ARD nicht berücksichtigt, weshalb auch der Vergleich von Einkommen und Rente absurd ist. Denn klar ist, dass zwar rund 38 Prozent von – beispielsweise – 3.000,- Euro deutlich mehr sind als 38 Prozent von 1.200,- Euro netto. Doch die ARD argumentiert über die Schwächen der GRV und den demografischen Faktor. Tatsächlich ist die gesetzliche Rente nur so stark wie ihre Einzahler, unabhängig von der Beitragsbemessungsgrenze. Zahlen also immer mehr Menschen wenig in die GRV ein, können sie auch weniger herausbekommen. Ein Blick auf die Kehrseite der Beitragsbemessungsgrenze wäre daher sinnvoll und notwendig gewesen. Wer mit seinem Verdienst deutlich unter dieser liegt, kann naturgemäß nicht genug fürs Alter ansparen. Das hat etwas mit Löhnen, nicht mit Demografie zu tun.

Und dann wäre da ja noch die Produktivität. Die wird regelmäßig aus den wohlfeilen Berechnungen herausgelassen. Einerseits wird in großen Tönen die Relevanz der Digitalisierung, der Automatisierung und der smarten Welt an sich gepriesen und/oder als teuflisches Werk an die Wand gemalt. Andererseits hat die Digitalisierung schon seit geraumer Zeit zu einem enormen Zuwachs der Produktivitätsraten geführt. Dass also 10 Fließbandarbeiter einen Rentner „ernähren“ müssen, ist schon lange absurd. Das schaffen auch zwei, womöglich nur noch einer. Der wird nur dummerweise so schlecht bezahlt, dass die effizientere Produktivität zu keinerlei Vorteilen für die Rentner führt. Daran ist die GRV aber ganz sicher nicht schuld.

Private Altersvorsorge: Jetzt wird‘s zynisch

Viele Protagonisten sind sich einig. Gradlinige Berufsbiographien sind out. Vierzig Jahre in ein- und demselben Betrieb, das war einmal. Heute muss man flexibel sein, immer mal wieder den Job wechseln, auch mal in eine andere Stadt ziehen, um neue Perspektiven zu entwickeln. Das bedeutet dann auch, auf Tarifverträge zu verzichten, den lieben Gewerkschaftsvertreter einen guten Mann sein zu lassen und sich wandelbar zu zeigen.
Und es bedeutet, eine Weile auf gutes Geld zu verzichten. Denn das kann ja noch kommen, irgendwie, irgendwo, irgendwann. Oder eben auch nicht, aber immerhin ist man flexibel. Und wenn man schon so dermaßen flexibel ist, dann muss auch noch Zeit (und Geld!) übrig sein, um privat vorzusorgen. Wohlgemerkt, das gilt nicht für die „armen Wichte“, die mehr als das verdienen, das die Beitragsbemessungsgrenze ihnen abringt, sondern für all jene, die von eben dieser Bemessungsgrenze lediglich lesen, aber nicht von ihr betroffen sind.

Und damit wird es zynisch. Wegen des Glücks. Und des Schmieds. Der ja jeder selbst ist.

Dabei wäre es doch so einfach gewesen!

Es wäre gar nicht so schwer gewesen, dem oben zitierten Auftrag, der „Sicherung der Meinungsvielfalt und somit zur öffentlichen Meinungsbildung“ nachzukommen. Ein kleines bisschen Recherche hätte gereicht, um auf zahlreiche Argumente zu stoßen, die die Rentenproblematik von einer anderen Seite beleuchten. Und die Beschäftigung mit Gerd Bosbach, der analytisch präzise und sehr umfassend die Thematik behandelt, wäre auch nicht sehr kompliziert gewesen, man findet den Statistik-Professor mit wenigen Mausklicks nahezu überall im Netz. Überhaupt: Es ist ja nicht so, dass die Möglichkeit der ausgewogenen Berichterstattung etwas wäre, das unüberwindbare Hindernisse darstellt. Das Hindernis scheint vielmehr der fehlende Wille zu sein. Und der kommt wohl kaum aus Fahrlässigkeit oder fehlender Kompetenz zustande, sondern weil der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittlerweile eingenommen worden ist. Von der Politik. Von der Wirtschaft. Von der Versicherungslobby.

Ein anderer Beitrag, in dem Gerd Bosbach – wie gesagt: er ist wahrlich nicht der Einzige, geneigte Leser mögen selbst etwas recherchieren – vorkommt und auf das „Lügen mit Zahlen“ hinweist, braucht nur gut sieben Minuten, um die Lügen und die wahren Interessen aufzuzeigen. Selbst ein Redakteur mit wenig Zeit hätte diese wohl erübrigen können, um daraus folgend einen Artikel zu verfassen, der weniger tendenziös ist.

Das Schöne daran: Der hier empfohlene Beitrag wurde in der ARD gesendet, man hätte also nicht mal die ARD-Faktenchecker bemühen müssen. Aber es gibt eben Fälle, da will man das sowieso nicht.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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