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Deutschland, der Friedensnobelpreis und die Atomwaffen: ein verlogenes Verhältnis

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Der Vergleich mag hinken. Aber so wie sich der IS sofort jede noch so durchgeknallte Gewalttat auf die eigen Fahne schreibt, so steht die Bundesregierung gewissermaßen „Gewehr bei Fuß“, wenn es irgendwie um so etwas wie Frieden geht. Oder eben – in diesem Fall – den Friedensnobelpreis. Dazu muss man als Regierung etwas sagen, etwas Schlaues, Angemessenes. Das allerdings ist kräftig in die Hose gegangen. Stattdessen eröffnete es einen Blick auf die deutsche Verlogenheit.

Die „Internationale Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen (ICAN)“ hat mit Recht den Friedensnobelpreis bekommen. Natürlich bedeutet das nicht, dass wir zum Ende des Jahres atomwaffenfrei sind. Und im Januar oder Februar wird wohl auch noch nichts draus. Dennoch ist der Preis ein Signal. Eines, das gern auch die aufnehmen und sich an die Brust heften, die die Forderung nach dem Ende von Atomwaffen … torpedieren, um sprachlich im Bild zu bleiben. Wie etwa die Bundesregierung, die verlogener auf die Preisvergabe nicht hätte reagieren können. Auf der Website der Bundesregierung heißt es:

Die stellvertretende Regierungssprecherin Demmer hat der „Internationalen Kampagne für die Abschaffung von Atomwaffen“ gratuliert. Die Bundesregierung unterstütze das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen. Gespräche und Verhandlungen seien „der einzig richtige Weg, um hierbei voranzugehen“, sagte sie in Berlin.

Einmal mehr reibt man sich verwundert die Augen ob derart dreister Verlogenheit. Weiter heißt es:

Von einigen Staaten würden nukleare Waffen allerdings nach wie vor als ein Mittel militärischer Auseinandersetzungen betrachtet. „Solange dies so ist – und Deutschland und Europa hiervon auch bedroht sind –, besteht die Notwendigkeit zum Erhalt einer nuklearen Abschreckung fort. Diese wird durch die NATO gewährleistet“, so Demmer.

Ja, wenn das so ist. Dann wird auch schnell klar, dass die Bundesregierung Angst hat. Große Angst, ja, fast schon Panik. Vor den atomaren Angriffen, die Deutschland bedrohen. Zum Beispiel von … ja, also, etwa von … na ja, durch die Nordkoreaner vielleicht, über die sprechen ja gerade alle. Das infantil-albern-brandgefährliche Gebaren der beiden betroffenen Staatsoberhäupter spricht allerdings zwingend dafür, alle Atomwaffen abzuschaffen, und zwar ein- für allemal. Zumal von einer einseitigen Bedrohung nicht ausgegangen werden kann. Anders wird ein Schuh draus: Es ist schon fast unmöglich, den derzeitigen US-Präsidenten nicht zu bedrohen. Weil der alleine die Tatsache, dass jemand morgens aus dem Bett steigt, als Bedrohung empfindet und entsprechend reagiert. So lang er das vornehmlich über Twitter tut, geht’s ja noch. Aber dieser Kerl ist eine tickende … Zeitbombe, um erneut im Bild zu bleiben.

Oder Russland, immer gern genommen. Bedroht Russland uns? Putin gibt ja fast stündlich Pressemeldungen heraus, in denen ganz klar formuliert ist, dass Deutschland – oder besser gleich die ganze NATO – akutes Ziel für einen russischen Atomwaffenangriff ist. Obwohl … nein, eher nicht. Die Chinesen? Nein, die auch nicht. Wer könnte uns und die NATO denn noch angreifen? Kanada? Australien? Nein, schlechte Angreifer. Vielleicht Kuba? Ach was, so weit kommen die gar nicht, haben eh keine Atomwaffen. Aber vielleicht der Iran? Israel? Gott bewahre, nein! England? Wegen dieser Brexit-Nummer? Ach nee, unwahrscheinlich. Frankreich gar? Nein, auch nicht, die bedrohen uns eher subtil mit Atomkraftwerken.
Also, wer denn nun?

Ja, niemand! Die größte Bedrohung durch Atomwaffen erleben wir in Deutschland durch die USA. Die haben unter der Führung von Friedensnobelpreisträger Barack Obama (der mit seinem Drohnenkrieg für so viele unschuldige Todesopfer gesorgt hat, dass ein Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde wohl angemessener wäre als ein Preis für Friedensbestrebungen) ihre Atomwaffen kräftig modernisiert und pflegen im romantischen Ramstein eine Station, von der aus auf Knopfdruck und höchst effizient gemordet wird.

Sevim Dagdelen bezeichnet die Verleihung des Friedensnobelpreises an die ICAN als eine „schallende Ohrfeige für die Bundesregierung“ und sie hat recht damit. Aber noch feiner formuliert es Benno Thiel von der „Ostseezeitung“, der die Haltung der Bundesregierung gleich als Realsatire erkennt. Sein kleiner Text ist in einer Minute gelesen und bringt unter der Überschrift „Fortgeschrittene Schizophrenie“ doch alles auf den Punkt, wenn er formuliert:

Die Bundesregierung boykottiert die Verhandlungen der Vereinten Nationen über ein Verbot von Atomwaffen um unsere amerikanischen „Freunde“ nicht zu verärgern und gratuliert gleichzeitig den Atomwaffengegnern von ICAN Deutschland zum Friedensnobelpreis.

Die Entscheidung des Nobelkomitees in Oslo ist eine weitere schallende Ohrfeige für die Bundesregierung. Die Bundesregierung tut nichts zur Abschaffung von Atomwaffen und findet es super toll, dass Obama die alten ungefragt in Deutschland gelagerten Atomwaffen „modernisiert“ hat. Was tut man nicht alles als „Friedensnobelpreisträger“!

Und da ist sie wieder, die „schallende Ohrfeige“! Aber eben nur verbal, nur als schriftliche Kritik, als Vorwurf ob der Unaufrichtigkeit der Bundesregierung. Die wiederum verpasst uns schallende Ohrfeigen am laufenden Band.

Man darf ja eines nicht vergessen: Es ist noch nicht lange her, als die Bundesregierung die Verhandlungen der Vereinten Nationen über ein Atomwaffenverbot boykottiert hat, das immerhin 122 Länder unterschrieben haben.
Aber das muss man wohl verstehen. Schließlich wird Deutschland bedroht, von überall her bedroht. Also von … ja, von wem denn noch gleich? [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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