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Wir müssen Olaf Scholz dankbar sein!

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Reichlich Haue hat er bekommen, der Olaf Scholz, nachdem er bei Anne Will zu Gast war und einen fragwürdigen, nein: unterirdischen Auftritt hingelegt hat. Auch von mir. Aber wenn ich darüber nachdenke, sollte man diesem Mann eigentlich dankbar sein. Ich erklär‘ das mal kurz. 

Was haben sich nach der Inthronisierung von Martin Schulz kluge Leute die Finger wundgeschrieben. Immer von der schon fast verzweifelten Hoffnung und der zarten Frage getragen, ob die SPD nicht vielleicht doch noch die Kurve kriegen könnte. Die Kurve hin zu so etwas wie einem sozialdemokratischen Profil. Immer, wenn ein SPDler etwas sagte, das in diese Richtung zu gehen schien (was selten genug vorkam), war sie kurz da, diese Aufbruchsstimmung, dieser stiller Reflex, der wie ein letztes Zucken kurz vor dem endgültigen Schließen der Augen eines alten, kranken Mannes wirkte.

Jetzt haben wir Gewissheit, jetzt ist es amtlich. Die SPD ist eine riesige, in Magenta gegossene Blase, die im September platzen und uns von oben bis unten mit ihrem neoliberalen Schlamm besudeln wird.

Martin Schulz startete vielversprechend. Und die Genossen – geplagt von der pathologischen Entwicklung ihrer Partei – stimmten gleich mit 100 Prozent zu, als der Mann mit Bart aus Brüssel anreiste, um ihnen das neue, das endgültige und einzig wahre Seelenheil zu versprechen. Als sich herausstellte, dass es für dieses Seelenheil etwas mehr braucht als „Martin, Martin“-Rufe (nach Aufforderung des Bejubelten, wenn gar nichts half), setzte der Kater ein. Da waren dann schon ein paar Martiprofen 400 nötig, um die Stimmung aufrecht zu halten. Aber auch deren Wirkung verflog. Und so mussten die Genossen mit ein paar Forderungen hier und ein paar dort klarkommen, immer in der Hoffnung: Das kann doch nicht alles gewesen sein, oder?

Oh, doch, es kann! Und dank Olaf Scholz wissen wir das jetzt endgültig. Ist doch so: Martin Schulz lavierte um die Agenda 2010 herum wie eine Hyäne ums tote Tier, das dummerweise noch von einem Tiger bearbeitet wird. Also gute Miene zu bösen Spiel machen, warten und dann sehen, was übrigbleibt. Bei der Hyäne wie bei Schulz lohnt sich das gleichermaßen. Ein paar leckere Brocken schmecken auch recht gut, und in einer Großen Koalition kommt man ebenfalls zurecht. Und die Tatsache, dass es womöglich noch Wähler gibt, die den sozialdemokratischen Unsinn glauben, bringt womöglich die Stimmen, die es für das Rautenregieren ohne Haupthaar braucht.

Aber das war es jetzt. Denn Olaf Scholz hat nicht nur den guten, alten Kampfbegriff der Verschwörungstheorie ausgepackt. Er hat ihn auch noch in einer so lächerlichen Art und Weise benutzt, dass selbst Anne Will (die für derlei Mumpitz eigentlich immer offen ist), verwundert nachfragte. Das ist aber Nebensache.

Im wesentlichen hat Scholz endlich klargemacht, wofür die SPD steht: Für den Neoliberalismus und für die Agenda 2010. Der gute Mann ging ja noch weiter und meinte allen Ernstes, dass die Agenda und ihre Auswirkungen gar keine politische Entscheidung gewesen seien, sondern irgendwie bei uns hereinspazierten. Und da musste die SPD eben Kaffee und Kuchen bereitstellen. Anders ausgedrückt: Der scheinbar einige Zentimeter über seinem Stuhl schwebende Scholz leugnete die Planung, Konstruktion und Umsetzung der Agenda 2010 mal eben.

Das muss man erst mal bringen.

Also, freuen wir uns, wir haben Klarheit, endlich. Und auch die Letzten, die die infantile Hoffnung hegten, bei der SPD gehe noch etwas (ich zähle mich ausdrücklich dazu und bitte darum, meine Formulierung nicht als Beleidigung zu verstehen), wissen jetzt: Da geht gar nichts. Überhaupt nichts.

Ende im Gelände, Schicht im Schacht, und tschüss! [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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