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Inhalte überwinden: Der merkwürdige Aufstieg des Martin Schulz

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Glaubt man der allgemeinen Berichterstattung, hat es Martin Schulz (SPD) schon jetzt geschafft, die Sozialdemokraten aus dem Umfragetief zu holen. Revolutionär ist das zwar noch nicht, aber laut „Focus“ hat die SPD einen Schritt von ermittelten 20 auf 23 Prozent gemacht. Alleine der Grund für den öffentlichen Sinneswandel erschließt sich nicht.

Inhaltlich hat Martin Schulz noch nichts Konkretes gesagt, außer, dass er vorhat, Kanzler zu werden. Eine recht gute Basis für einen Kanzlerkandidaten. Aber reicht diese Bekundung wirklich aus, um die SPD insgesamt bei den Wählern wieder (etwas) beliebter zu machen? Offensichtlich schon. Schulz ist der neue Besen, der gut kehren muss, auch wenn ihm dabei bislang kaum jemand hat zusehen können. Als Wähler sollte man jetzt eigentlich in sich gehen und fragen, wie man auf die Idee kommt, dass eine Personalie alleine das eigene Wahlverhalten beeinflussen könnte.

Es ist ja richtig. Wir wählen nur selten Parteien, sondern fühlen uns zu Persönlichkeiten hingezogen, schenken charismatischen Menschen mehr Aufmerksamkeit, betrachten die guten Rhetoriker positiver, sind denen, die polarisieren, meist zugeneigter als den Unauffälligen, Sachlichen und Stillen. Das ist ein Reflex, an dem wir wohl nur bedingt etwas ändern können. Aber ein bisschen mehr Sachlichkeit täte uns gut.

Nach dem jetzigen Stand scheint die Forderung, einen Menschen an seinen Taten zu messen, völlig irrelevant zu sein. Gabriel ist weg, die Erleichterung bei den Genossen groß, und auch die Wähler scheinen das Gefühl zu haben, dass nun ein Wahlkamp auf Augenhöhe beginnen kann, ein Umstand, der unter Gabriel schier unmöglich erschien.

Nur: Erstens sind 23 Prozent in aktuellen Umfragen kein Garant für einen Wahlkamp auf Augenhöhe. Und zweitens verwundert das aktuelle Wählerverhalten doch sehr. Laut t-online findet eine Mehrheit der Deutschen Schulz „glaubwürdiger und sympathischer“ als Merkel. Fügt man hinzu, dass laut t-online 65 Prozent der Befragten allerdings gar keine Ahnung haben, wofür Schulz politisch eigentlich steht, liegt die Frage nahe, woher seine Glaubwürdigkeit kommen soll.

Auch wenn der Vergleich sich im Grunde verbietet, könnte man schon zynisch anmerken, dass die Amerikaner zwar einem Populisten erlagen, der ihnen Sand in die Augen gestreut hat. Dass sie aber erfolgreich die Alternative umgangen haben, nämlich das aggressive Streusalz der Hillary Clinton, das in den Augen deutlich mehr geschmerzt hätte.
Die Deutschen dagegen zeigen im Moment, dass Inhalte – ob populistisch oder sachlich – faktisch keine Rolle spielen. Sie trauen einem Martin Schulz zu, ein guter Kanzler zu sein, ohne dass der in irgendeiner Weise etwas Inhaltliches dazu beigetragen hätte.

Wir alle haben ja noch ein wenig Zeit. Aber im September kann es nicht schaden, seine Kreuz dort zu machen, wo man sich politisch, also inhaltlich, am besten vertreten fühlt. Was die Kandidaten bis dahin an Fakten zu bieten haben, sollte beobachtet werden. Derzeit ist aber nicht abzusehen, dass Martin Schulz der SPD eine politisch neue Richtung geben wird. Wer dann aber eine „Weiter-so-SPD“ wählt, der hat sich selbst Sand in die Augen gestreut. Und eine ordentliche Portion Streusalz noch dazu.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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