Von Ann Kiba
Es gibt einen noch recht jungen Trend: Hobby Horsing – das Nachahmen des Reitens auf Steckenpferden. Einige bejubeln das, bewegen sich doch die Ausführenden und verletzen dabei keine lebendigen Tiere. Andere finden es einfach lächerlich, fast schon etwas erbärmlich, wenn Kinder und Jugendliche, teilweise sogar Erwachsene auf Steckenpferden über Hürden hüpfen. Wir fragen uns: Gibt es eigentlich nur noch Schwarz und Weiß, nur noch Hü und Hott, oder kann man das Ganze vielleicht auch differenziert betrachten? Diesen Versuch wollen wir einmal starten.
Der Pferde Max: Die Diskussion auf Facebook
Das folgende Video hat – in gekürzter Version – eine gigantische Diskussion auf Facebook ausgelöst:
“Infantilisierung”, hieß es, oder: “Früher gab es Vergreisung, heute fällt man ins Nachschnulleralter zurück. Für mich verlieren Teile unserer Gesellschaft scheinbar jeglichen Verstand …”. Andere Stimmen meinten: “Besser als Krieg spielen” oder “Besser als Pferde zu quälen”. Es scheint nur Hü oder Hott zu geben. Dabei liegt die Wahrheit – wie so oft – irgendwo dazwischen.
Vorteile des Hobby Horsing
Tatsächlich hat Hobby Horsing viele Vorteile: auf unterhaltsame Weise können Kinder und Jugendliche, denen ja oft nachgesagt wird, dass sie nicht mal mehr rückwärts laufen können, in Bewegung kommen oder bleiben. Der Körper wird trainiert, die körperliche Fitness, Koordination und Balance verbessert und zuweilen auch die Fantasie angeregt. Kreativ werden Parcours erstellt, auf denen Bewegungsmuster trainiert werden. Kinder und Jugendliche gehen, laufen, hüpfen und rennen, um verschiedene Elemente des Pferdesports nachzustellen.
Dabei können Interessierte auch an Wettbewerben teilnehmen, um sich mit anderen zu messen. Das eigene Steckenpferd zu gestalten, dürfte den meisten ebenfalls Spaß machen. In vielen Vereinen werden Veranstaltungen und Wettbewerbe im Hobby Horsing mittlerweile auch in Deutschland angeboten.
Nicht zu verachten ist der Kostenfaktor: Das Steckenpferd benötigt keinen Einstellplatz in teuren Ställen, es braucht kein Heu oder anderes Futter – lediglich Materialkosten für ein selbstgebasteltes oder die Kosten für ein fertiges Steckenpferd und für etwaige Parcour-Elemente müssen aufgebracht werden. Somit ist das Hobby Horsing niedrigschwellig zugänglich – zumindest dann, wenn auf Vereine verzichtet wird, die zuweilen auch das Budget wirtschaftlich angeschlagener Familien übersteigen können. Die Vorteile sind also in der Tat zahlreich. Und doch … der Pferde Max im obigen Video hat zu Denken gegeben …
Von beseelten Gegenständen – und anderen Nachteilen
Wie erwähnt, ist Hobby Horsing ein Ganzkörpertraining – Teilnehmer sind immer in Bewegung, trainieren das Herz-Kreislauf-System, müssen ihr Gleichgewicht halten, während sie einbeinig über Hürden hüpfen. Damit wirkt sich dieser Spaßsport ähnlich aus wie Radfahren oder Laufen. Aber: Hobby Horsing hat nichts mit richtigem Reiten zu tun. Denn Muskeln werden dadurch nicht aufgebaut – der Reiz ist einfach zu gering. Wer schon einmal auf einem echten Pferd saß, weiß, welche Muskelgruppen hier beansprucht werden: Man balanciert sich über die Körpermitte aus, dirigiert das Pferd mit Gewicht und Schenkeln und beansprucht seinen kompletten Körper. Muskeln werden gestärkt, aufgebaut und die ganze Körperhaltung verbessert sich enorm.
Ein echtes “Pferdemädel”, das neben dem Reiten auch noch den Stall mistet und mehrere hundert Kilo schwere Heuballen durch die Gegend rollt, gewinnt jedes Armdrücken gegen “echte erwachsene Kerle”, weil der ganze Körper gestählt wird. Insbesondere Rücken, Schultern, Beine und Gesäß sind beim Reiten gefordert. Das An- und Abspannen der Muskeln, das notwendig ist, um verschiedene Gangarten auszubalancieren, unterstützt eine starke Körpermitte, wie es das Hobby Horsing nun mal naturgemäß nicht kann.
Ein weiteres Problem: Nicht jede Familie kann sich – gerade in heutigen Zeiten, wo das sauerverdiente Geld leider eher in Gas- und Stromrechnungen fließt – einen Verein fürs Kind leisten, welches das Hobby Horsing anbietet (was jedoch auch auf konventionelle Reitvereine zutrifft). Also wird das Kind oder der Jugendliche – ähnlich dem Pferde Max aus obigen Video – vielleicht im Garten trainieren. Und dann kommt die soziale Komponente einfach zu kurz: Allein hüpft sich das Kind über seine Hürden, ohne andere Kinder oder Jugendliche um sich zu wissen.
Beim Pferde Max-Video schien es außerdem so zu sein, dass der Junge sein Steckenpferd beseelt: Es trägt den Namen Oreo, hat ein Geschlecht, ist ein “Springpferd”. Ich habe mich noch etwas weiter auf dem Kanal umgesehen und in einem Video unternimmt der Jugendliche für seine Zuschauer eine “Stalltour”. Darin wird deutlich, dass er seinen Steckenpferden bestimmte Eigenschaften zuschreibt: Das eine Steckenpferd ist sanft, das andere energisch, eines eignet sich für Dressur, das andere für Vielseitigkeit oder zum Springen – dabei handelt es sich jedoch immer um Stöcker mit Pferdeköpfen. In einem weiteren Video zeigt der Junge, wie er mit “Abby” einen “Ausritt” macht. Zu Beginn des Videos erwähnt Max, dass er seine Stammstrecke durchs Dorf reite – man stelle sich vor, man lebte in diesem Dorf und sähe diesen einsamen Jungen auf einem Steckenpferd durchs Dorf “reiten” … Wir erfahren später im Video, dass “Abby” bei Wind “brav” ist. Wir sprechen nicht von einem Kleinkind, bei dem das Beseelen von Gegenständen eine typische Phase ist, sondern von einem Jugendlichen. Das mutet fast schon traurig an – und einsam.
Es ist nichts, aber auch wirklich gar nichts dagegen zu sagen, wenn Kinder und Jugendliche oder auch Erwachsene Spaß mit Steckenpferden haben. Natürlich können auch Lektionen des richtigen Reitens geübt werden. Aber ist es nicht irgendwo gefährlich, wenn Kinder und Jugendliche so vereinsamt wirken, dass sie ihre Steckenpferde beseelen? Und wo bleibt hier eigentlich die Verantwortung fürs Tier, für das andere Lebewesen – also für ein echtes Lebewesen aus Fleisch und Blut?
Schafft Hobby Horsing Zugang zum Pferd?
Befürworter des Hobby Horsing argumentieren gerne, dass damit ein Zugang zum Pferd geschaffen wird. Aber ist dem so? Bei sehr kleinen Kindern mag das durchaus der Fall sein – bei Jugendlichen ist diese Argumentation allerdings nicht nachvollziehbar. Es sollte doch im Reitsport nicht darum gehen, ein Steckenpferd zu reiten, sondern um einen echten Kontakt zum Tier. Kinder, die das große Glück haben, mit Pferden (oder Hunden oder Katzen oder anderen Tieren) aufzuwachsen, lernen, Verantwortung zu übernehmen. Dieses Verantwortungsgefühl beinhaltet beim Pferd eine ganze Menge: Das Bewegungstier Pferd möchte so bewegt werden, dass es dem Pferd selbst nicht schadet. Es muss gefüttert werden, der Stall muss gemistet werden. Und: Der Kontakt zum Pferd ist ein ganz besonders berührender. Man muss weg von seiner allzu menschlichen Kommunikation, hin zu einer pferdgerechten Art, sich mit dem Tier auszutauschen, ihm zu verdeutlichen, was wir von ihm möchten, ohne seine Bedürfnisse dabei zu missachten. Ein Kind, was das alles gelernt hat, wird vielleicht mal zu einem verantwortungs-, körperbewussten, gesunden und tierlieben, mit großem Verständnis ausgestatteten Erwachsenen. All das fällt beim Hobby Horsing einfach hinten runter: Das Steckenpferd kann ich im Kinderzimmer in eine Ecke stellen. Mit dem Pony oder Pferd funktioniert das nicht.
Aber Reiten ist doch Missbrauch von Tieren!
Seitdem das Hobby Horsing von Finnland immer mehr nach Deutschland überschwappt, argumentieren Reitgegner, der Spaßsport sei eine echte Alternative zum Reiten. Dem ist aber, wie bereits ausgeführt, mitnichten so! Der Verein PETA pusht in diesem Beitrag das Hobby Horsing, indem die Moralkeule geschwungen wird: “Menschen, die sich für Hobby Horsing entscheiden, wissen, dass es falsch ist, auf Pferden zu reiten”, maßregelt der Verein. Und weiter: Hobby Horsing “vermittelt eine tierfreundliche Moral: Tiere sind keine Sportgeräte und sollten nicht zu Handlungen gezwungen werden, die ihrem natürlichen Verhalten widersprechen.” Dabei ist dem nicht so, denn Hobby Horsing vermittelt gar keine Moral. Man kommt mit lebendigen Tieren ja nicht mal in Berührung – wo also soll diese Moral vermittelt werden?!?
Wie oben bereits ausgearbeitet, ist das Gegenteil der Fall: Kinder und Jugendliche, die in Kontakt mit diesen faszinierenden Tieren kommen, können eben dies lernen. Sie können auch lernen, dass Reiten eine Kunst ist, die langsam aufgebaut und trainiert werden muss. Denn wenn man richtig reitet – das heißt: Im Sinne des Tieres – entstehen dem Pferd keine Verletzungen; das Gegenteil ist der Fall. Wenn Kinder und Jugendliche die Möglichkeit haben, mit Pferden in Kontakt zu kommen, können sie auch lernen, dass Reiten nicht alles ist, was im Umgang mit Pferden zählt: Bodenarbeit, Spaziergänge oder einfach mal nur putzen und knuddeln gehören genauso dazu. All das gibt es beim Hobby Horsing nun mal nicht.
Mehr Aufklärung und Pro-Pferd-Denken
Es ist keine Lösung, konventionelles Reiten durch das Springen auf Steckenpferden zu ersetzen – dabei lernt doch niemand was. Es bräuchte vielmehr eine neue Herangehensweise an das Thema Pferd: Natürlich haben Tierschutzvereine wie PETA absolut Recht, wenn sie erklären, dass Tiere keine Sportgeräte sind. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung FN darf gerne lautstark kritisiert werden! Da werden Hilfsmittel gestattet, die tatsächlich nicht pferdgerecht sind – Ausbinder beispielsweise pressen den Pferdekopf in eine unnatürliche Position. Sinnvoller wäre es zweifelsfrei, dem Tier beim Training an der Longe beizubringen, wie entspannend es sein kann, den Kopf tief zu halten.
Auch die Tatsache, dass 2,5- bis 3-jährige Pferde als reif genug angesehen werden, um angeritten zu werden, öffnet dem Missbrauch dieser stolzen Tiere Tür und Tor. In einem PDF über das Anreiten von Jungtieren argumentiert die FN dazu: “Ein ausgewachsenes Pferd ist meistens kräftiger und häufig auch willensstärker, so dass sich das Anreiten im Alter von 3½ oder 4 Jahren für beide Seiten oftmals schwieriger gestaltet.” Natürlich ist es richtig, dass das Anreiten älterer Pferde schwieriger sein kann, allerdings besteht bei Jungpferden, die im Alter von 2,5 bis 3 Jahren angeritten werden, tatsächlich eine hohe Verschleißgefahr.
Kleiner Exkurs: Der Körperbau des Pferdes
Pferde sind eigentlich tatsächlich nicht dafür gedacht, geritten zu werden: Ihr Körperbau steht dem entgegen. Das Pferd ist ein Lauftier, welches in der Fortbewegung je ein Hinterbein in den Boden drückt und somit den Körper nach vorne schiebt. In der Folge verschiebt sich der Körperschwerpunkt nach vorn, sodass das Vorschieben eines Vorderbeins verhindern muss, dass das Pferd “auf die Nase fällt”. Der Wirbelsäule des Pferdes kommt dabei eine tragende Rolle zu: als Bindeglied zwischen Vor- und Hinterhand hat sie die Funktion, den Schub der Hinterhand aktiv nach vorn zu leiten.
Setzt sich nun ein Mensch auf den Rücken des Pferdes, kommt es aus der Balance: der Schwerpunkt verschiebt sich. In der Folge kann das Pferd, um wieder in Balance zu kommen, den Rücken durchhängen lassen. Überdehnung und Ermüdung können in Schmerzen, bei weiterer unguter Belastung auch in Erkrankungen münden. Um die Schmerzen zu vermeiden, fallen die Pferde unter dem Reitergewicht regelrecht auseinander: Die Vorhand wird nach vorn, die Hinterhand nach hinten ausgestellt – gesund ist das nicht.
Jedoch kann der Mensch aktiv helfen: Das Pferd muss befähigt werden, in der Hinterhand vermehrt Last aufzunehmen. Die Wirbelsäule als Bindeglied zwischen Vor- und Rückhand kommt “in Schwung”, entlastet die Vorhand und das Reiten muss so nicht schädlich sein. Eigentlich ist es paradox: Das Pferd muss korrekt geritten werden, um die Muskeln aufzubauen, die es braucht, um den Reiter zu tragen. Pferdgerechtes Longieren, wie es vielfach angeboten wird (mitunter von Babette Teschen), unterstützt diesen Aufbau.
Hobby Horsing oder Reiten: beides ist okay
Immer wieder begegnen einem undifferenzierte Aussagen á la: “Reiten ist Tierquälerei!” oder “Hobby Horsing ist albern!” Wie schön wäre es, das Ganze mal differenziert zu betrachten? Hobby Horsing ist völlig in Ordnung – solange es nicht in sozialer Isolation endet. Reiten ist auch völlig in Ordnung – solange es pro Pferd geschieht. Wenn Vereinigungen wie die FN deutlich mehr pro Pferd und nicht pro Profit agieren würden, gäbe es auch im großen Turniersport weniger arme Pferdeseelen, die darunter leiden müssten, geritten zu werden. Grundsätzlich aber gibt es eben nicht nur Hü oder Hott, sondern noch etliche Graustufen dazwischen. Es wäre wünschenswert, wenn diese mehr ins Tageslicht treten könnten.