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Lindner-Papier: 18 Seiten neoliberales Geschwurbel

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Ich habe mir das in den deutschen Medien viel diskutierte  sogenannte „Grundsatzpaier“ von Finanzminister Christian Lindner angetan. Um es vorweg zu nehmen: eine Lösung der wirtschaftlichen Probleme bietet das Papier nicht, denn die Analyse der Ursachen ist unvollständig.

Zwar hackt Linder auf Habecks Energiewende rum und findet damit ein Körnchen Wahrheit. Zu den tatsächlichen Ursachen der deutschen Wirtschaftskrise dringt er jedoch nicht durch. Er traut sich vermutlich schlicht nicht, sie anzusprechen, denn damit wäre die Koalition tatsächlich geplatzt. Er müsste mit einem Tabu brechen und über das Sanktionsregime sprechen und es in Frage stellen. So viel Eier in der Hose hat Linder nicht.

Zwar geht es mit der deutschen Wirtschaft schon seit geraumer Zeit bergab. Nach konjunkturellen Krisen kommt zwar ein Aufschwüngchen, das bleibt aber kraftlos und schafft es nicht, die deutsche Wirtschaft auf das Vorkrisenniveau zu heben.

Mit dem Sanktionieren russischer Energieträger aber wurde der völlige Absturz eingeleitet. Das macht eigentlich jede Statistik zu den zentralen Wirtschaftsindikatoren deutlich. Ab Sommer 2022 weisen alle nach unten: Industrieproduktion, Auftragslage, Bauhauptgewerbe, Geschäftserwartung. Die Korrelation ist offensichtlich. Die Sanktionen waren ein schwerer Fehler. Zuzugeben traut sich das in den etablierten Parteien niemand. Daher können sie auch keine Lösung bieten.

Auch Linder bennent den Zusammenhang in seinem Papier nicht. Es bleibt Geschwurbel. Besonders deutlich wird das an der Stelle, an der Lindner in typisch neoliberalem Duktus den Abbau von Regulierungen fordert. Nach neobliberaler Doktrin sind staatliche Regulierungen ein Grundübel mit denen die Wirtschaft an der Entfaltung ihrer Möglichkeiten und Segnungen gehindert wird. Nun möchte Lindner alle möglichen Regulierungen abbauen, aber die wichtigste Regulierung nennt er nicht einmal – das sind die Russlandsanktionen. Sanktionen sind massive staatliche Eingriffe in den Markt.

Wenn man aber das Problem nicht benennt, kann man es auch nicht lösen. Wenn man meint, mit Rückbau von Arbeitnehmerrechten, Bürokratieabbau und dem Rückbau des Sozialstaates könnte man den wirtschaftlichen Schaden kompensieren, den das Sanktionsregime anrichtet, dann hat man die Dimensionen nicht verstanden. Zudem bürdet man den Arbeitnehmern erneut die Last für politisches Versagen auf, würgt die in Deutschland ohnehin schon dauerhaft maue Binnennachfrage weiter ab und treibt die deutsche Wirtschaft tiefer in die Krise.

Alles andere, was sonst noch in dem Papier steht, osziliert zwischen vernachlässigbar und unsinnig. Unsinnig ist beispielsweise das Vorhaben Lindners, investieren zu wollen, ohne dabei Geld auszugeben. Um es deutlich zu sagen: Investieren bedeutet, Geld ausgeben.

Man gibt Geld in der Erwartung aus, dass durch die Investition mehr Geld zurückfließt. Unterlässt man Investitionen, kommt auch kein Geld rein – es gibt dann kein Wachstum. Bürokratieabbau und Steuererleichterungen für Unternehmen sind übrigens keine Investitonen. Was Lindner erzählt ist schlicht Quatsch. 

Unternehmen investieren nur dann, wenn sie die Erwartung haben, dass die Investition den Gewinn steigert. Drückt man durch Kürzungen bei Löhnen und den Sozialausgaben die Kaufkraft, entsteht bei Unternehmen auch nicht die Erwartung, dass sie künftig mehr absetzen werden. Macht man ihnen Steuergeschenke in Form von Steuersenkungen, trägt das daher nichts zum Wachstum bei. In einem solchen Umfeld schütten sie das Ersparte eher als Dividende aus, als es in Anlagen zu investeieren.  Diesen Zusammenhang verstehen Neoliberale wie Lindner allerdings nicht.

Der Kanzlerkandidat der CDU, Friedrich Merz, versteht ihn auch nicht. Der lobt das Lindner-Papier und behauptet, des sei in weiten Teilen bei der CDU abgeschrieben. Voilá, soll nachher keiner sagen, man konnte das doch alles gar nicht wissen. Merz hat die Wähler informiert, was im Fall eines Regierungswechsels auf Deutschland zukommt: Es wird bestenfalls ein bisschen anders scheiße. Grundsätzlich ändern wird sich nichts.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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