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Letzte Zuckungen eines Imperiums

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Der Westen stemmt sich krampfhaft gegen die sich formierende neue Weltordnung — absurderweise noch immer im Habitus moralischer Überlegenheit.

Deutschland ist zu einer Insel geopolitischer Triebtäter geworden. Um den Imperialismus und die Kriegsbereitschaft zu überdecken, argumentieren die politisch Verantwortlichen mit moralischer Überhöhung. Das hat viel mit Geopolitik, aber nichts mit Diplomatie zu tun.

Vermutlich wissen selbst die kleinsten und unbedeutendsten Länder dieser Erde, wie Geopolitik im Grundsatz funktioniert. Jedes Land hat eigene Interessen, die es durchzusetzen oder zu schützen gilt. Die Rahmenbedingungen sind nur zum Teil beeinflussbar. So ergibt sich aus der Lage eines Landes dessen geopolitische Bedeutung. Eine Insel bringt andere Voraussetzungen mit als ein Land, das keinen Zugang zum Meer hat. Ein Land mit üppigen Rohstoffen verfügt über andere Optionen als eines, das nicht oder kaum mit Rohstoffen gesegnet ist.

Wie alles begann

Ausgangspunkt der Geopolitik waren die Großmachtbestrebungen der Kolonialmächte, zu denen auch Deutschland gehörte. Mit der deutschen Reichsgründung 1871 begann eine imperiale Expansion Deutschlands, die verbunden war mit der Erweiterung des Nationalstaates durch Kolonien in Übersee. Schon damals war Deutschland ein Meister der Propaganda und begründete seinen Expansionsdrang mit Vereinen und Institutionen, heute eher Denkfabriken und NGOs, die das Volk von der Notwendigkeit der kolonialen Expansion überzeugen sollten.

Kernpunkt war damals die Geografie des Landes, die Einfluss auf die soziale Entwicklung nehmen sollte. Später prägte Karl Haushofer in diesem Zusammenhang den Begriff „Lebensraum“, den die Nazis aufgriffen und als Begründung für deren Expansion benutzten.

Der Zweite Weltkrieg war die vorläufige Krönung der deutschen imperialistischen Geopolitik; heute erinnern die Aussagen zahlreicher deutscher Politiker jedoch wieder an die Bestrebungen, Gebiete für die eigenen Interessen einzunehmen.

Grenzenlose Geopolitik

Mit den wachsenden, die Grenzen von Ländern überschreitenden Möglichkeiten änderte sich auch die Bedeutung von Geopolitik. Zudem spielten wirtschaftliche Aspekte eine immer größere Rolle. Schon seit den Ölkrisen der 1970er Jahren wurde deutlich, dass geopolitische Faktoren der internationalen Politik in der Versorgung mit Energie liegen. Aus dem Außen und Innen wurde etwas Grenzübergreifendes, das aus Kommunikation, Verkehr und Gütertransporten bestand.

Dadurch konnten weltweite Vernetzungen entstehen, aber auch Abhängigkeiten, die die Risiken vieler Länder erheblich erhöhten. Der deutsche Soziologe Ulrich Beck prägte in den 1980er Jahren den Begriff der „Risikogesellschaft“, der darauf abzielte, den Gesellschaften neue, unbekannte und unvorhersehbare Risiken zu verdeutlichen. In einer solchen Gesellschaft leben wir auch heute, denn sie meint die grenzenlose und globale Gesellschaft, in der komplexe Vernetzungen nicht mehr ohne Weiteres durch feste Grenzen eingeschränkt werden können.

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Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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