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Hamburg

Wir wünschen Besinnlichkeit und Besonnenheit

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Frohe Weihnachten, liebe Freunde, liebe Feinde und Hater. Es ist nötiger denn je, sich Auszeiten und besinnliche Stunden zu nehmen. Tun Sie es – es ist nicht verwerflich!

Irgendwann in den Neunzigern hat meine Großmutter im österreichischen Fernsehen eine Szene aus einem russischen Gefangenenlager erhascht, von der sie glaubte, sie beinhalte meinen Großvater, ihren Hans, wie er in Kriegsgefangenschaft war. Zu sehen waren ehemalige Landser, die Weihnachten feierten. Meine Eltern versuchten die Aufnahme aufzutreiben und passten eine Wiederholung der Sendung ab, um sie aufzuzeichnen. Damals gab es noch keine Mediathek, das wissen wohl viele gar nicht mehr.

Da saßen wir nun und guckten Männern zu, wie sie in der Armut der Gefangenschaft einen Baum schmückten, um einen Tisch saßen und sangen. Bescheidene Speisen standen vor ihnen. Die Männer sahen sich alle ziemlich ähnlich, sie sahen aus wie das Foto, das ich von meinem Großvater kannte. Am Ende war er es wohl nicht, was wir nach unzähligem Betrachten uns zu behaupten trauten: Sie hatte sich getäuscht – und war traurig.

Gewissen braucht Pause

Mir gingen die Szenen nie aus dem Kopf. Ich wunderte mich, wie man in einer solchen Situation, weit weg von der Familie, in einem entbehrungsreichem Zustand, noch an Weihnachten denken konnte. Diese Denkweise übertrug sich in späteren Jahren auf die gesellschaftliche Betrachtung: Wie konnte man Weihnachten feiern, in einem Gemeinwesen, in dem es Armut und Entbehrung gab? Oder Ausbeutung und Gewalt? Ja, wie konnte einem der Sinn danach stehen, wenn auf der Welt Krisen schwelten oder Kriege stattfanden?

Heute sehe ich das als Bilderstürmerei. Auf der Welt geschehen parallel stets Gegensätzlichkeiten. Irgendwo ereignet sich immer Unrecht. Muss ich mir mein Glück, diese seltenen Stunden im Leben eines jeden Menschen, wirklich verkneifen? Wem helfe ich dabei? Oder schade ich nicht sogar jemanden? Jedes Gewissen braucht eine Pause, benötigt Erholung. Und wenn einige traute Stunden zum Fest, wie auch immer man das in seinem individuellen Geistesleben interpretieren mag, dabei helfen mögen, für einen Augenblick zu vergessen, zu verdrängen, um gestärkt aus solchen Augenblicken raren Glückes zu kommen, dann ist das doch nicht weltvergessen oder ignorant. Womöglich trifft das Gegenteil zu: Man gewährt sich Stärkung und Ausgeglichenheit.

In diesem Sinne wünsche ich, wünschen wir, jedem der sich heute dazu entschlossen hat, die Härten dieser Welt, die uns täglich beschäftigen, für etliche Stunden zu vergessen, nicht nur ein frohes Fest, sondern gratulieren ihm zu diesem Entschluss. Denn Sie geben sich Raum und zeigen, dass Sie nicht an jenem Fanatismus leiden, den »die Guten« jeden Tag von sich präsentieren. Fanatiker haben nie Pause. Keine Lebensfreude. Sie helfen der Welt kein bisschen, ihre rigide Haltung schadet uns allen. Ein Abend wie heute, das ist die alte Welt, die »die Guten« vergessen machen wollen. Alleine daher gilt es ihn zu bewahren. Wer Traditionen anficht, ficht die Menschen an.

 

Roberto De Lapuente, im Namen der gesamten Redaktion

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Die Redaktion der neulandrebellen setzt sich zusammen aus den beiden Gründern: Tom J. Wellbrock und Roberto J. De Lapuente. Später kam noch Gert Ewen Ungar zur Redaktion hinzu.

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