Russland plant, eine mit Sprengstoff beladene Sojus-Trägerrakete auf Kiew abstürzen zu lassen, behauptet die BILD. Das Boulevardblatt macht damit auf den bedenklichen Zustand des deutschen Journalismus aufmerksam. Über Russland wird in Deutschland nur noch Unsinn verbreitet.
Der deutsche Qualitätsjournalismus lief erneut zur Hochform auf. Vermutlich zeigte der Kalender im Springerhochhaus an, dass es wieder einmal an der Zeit für eine Räuberpistole ist, um die seit Jahren sinkenden Auflage zumindest ein bisschen zu stabilisieren. Über ein Thema musste man nicht lange nachdenken. Aktuell bieten sich zwei Themen an: Gräuelpropaganda über die Hamas oder irgendwas mit Russland. Die BILD-Redaktion entschied sich für „irgendwas mit Russland“ und kein Geringerer als Julian Röpcke wurde damit beauftragt.
Die Geschichte, die er sich ausdachte und mit angeblich abgehörten Telefongesprächen belegt, ist in ihrem desinformierenden Charakter der BILD-Zeitung zweifellos würdig. Sie geht so: Die Mitarbeiter der russischen Raumfahrtagentur Roskosmos und eines Tochterunternehmens überlegen, wie sie sich bei Putin beliebt machen können. Sie kommen dabei auf die Idee, eine mit Sprengstoff beladene Sojus-Trägerrakete auf Kiew herabstürzen zu lassen, um Kiew auszulöschen. Man will es wie einen Unfall aussehen lassen.
Qualitiätsjournalismus in Hochform
Im für die BILD-Zeitung typisch seriösen Ton des deutschen Qualitätsjournalismus wird der Beitrag eingeleitet:
„Die Geschichte klingt nach den finsteren Plänen eines größenwahnsinnigen James-Bond-Bösewichts. Und doch spielt sie sich im echten Russland des Jahres 2023 ab.“
Damit ist auch die Szenerie entworfen, denn alles, was danach kommt, bedient sich der düsteren Klischees Hollywoods über die Sowjetunion während des Kalten Krieges. Hochrangige Offiziere, geheime Absprachen und konspirative Treffen mit dem einzigen Ziel, den Westen zu triezen.
Für Julian Röpcke und die BILD-Zeitung existiert diese Hollywood-Version der Sowjetunion real und vor allem noch immer. Die Sowjetunion heißt jetzt nur Russland, ansonsten ist für die ewig Gestrigen vom Schlage eines Röpcke im Hollywood-Skript zur Weltgeschichte alles gleich geblieben. Hier der freie Westen, dort die bösen russischen Schurken in Uniform und mit stechendem Blick. Dass all das mit der Realität nie etwas zu tun hatte und nach wie vor nicht hat, muss man nicht extra erwähnen.
Röpcke – der ewig Gestrige
Vom „echten Russland des Jahres 2023“ hat Röpcke so viel Ahnung wie ein Drehbuchautor in Hollywood im Jahr 1963 von der Sowjetunion. Mehr als finstere Klischees hat Röpcke daher auch nicht zu bieten, wie seine Beiträge beweisen. Auch der vorliegende Artikel fügt sich da nahtlos ein.
Angeblich liegen der BILD-Zeitung Telefonmitschnitte im zeitlichen Umfang von sieben Minuten vor, die das Vorhaben belegen sollen. Im Januar 2023 soll Putin über den zuvor geheim ausgetüftelten Plan schließlich informiert worden sein. Alle technischen Fragen waren nun geklärt, das Projekt schien machbar: Eine Sojus sollte präpariert werden und auf Kiew stürzen. „Lassen Sie es wie einen Unfall aussehen, Bond.“
Ob Putin dem Plan schließlich zugestimmt hat, ist der BILD-Zeitung nicht bekannt, die sich damit ein journalistisches Schlupfloch offen lässt, falls der nach BILD-Recherchen absolut unwahrscheinliche Fall eintreten sollte, dass doch keine Sojus-Trägerrakete auf Kiew stürzt.
Es ist schon bizarr, was der deutsche Qualitätsjournalismus seinen Konsumenten vorsetzt. Zum einen ist das Ziel Russlands nicht die Vernichtung der Ukraine oder die Auslöschung Kiews. Wäre dies das Ziel, wäre es schon längst passiert und das ganz ohne auf eine mit Sprengstoff beladene Sojus-Trägerrakete zurückgreifen zu müssen. Russland vertritt seine Sicherheitsinteressen. Gibt der Westen das Projekt auf, die Ukraine in die NATO aufzunehmen, ist der Krieg vorbei. Dass der Westen sich darauf nicht einlassen will, zeigt übrigens, wo die wirklich Wahnsinnigen sitzen.
Mit einer Sojus gegen Kiew
Zum anderen verfügt Russland noch immer über die Möglichkeit, jeden beliebigen geografischen Punkt in der Ukraine zu jedem beliebigen Zeitpunkt angreifen zu können. Russland verfügt zudem über die Fähigkeit, jeden weiteren Schritt der Eskalation durch den Westen mitgehen zu können. Der Rückgriff auf eine Sojus-Trägerrakete ist dabei genauso wenig notwendig, wie die russischen Truppen bei der Befreiung von Artjomowsk nicht mit Spaten kämpfen mussten.
Ein Krater von recht begrenztem Durchmesser im Zentrum Kiews durch den Einschlag einer Sojus wäre im Vergleich zu den anderen Russland zur Verfügung stehenden Mitteln vergleichsweise teuer und vor allem wenig effektiv. Eine Sojus ist ein Transportmittel und keine Waffe.
Das Schlimme an Röpckes Artikel ist, dass er auf eine deutsche Leserschaft trifft, die so mit Propaganda und Fake News bombardiert wird, dass viele bereitwillig jeden Unsinn glauben – allen voran vermutlich Röpcke selbst. Deutschland hat sich durch Zensur und Reglement so weit von der Realität abgeschirmt, dass man einem Teil der Deutschen eigentlich alles erzählen kann. Auch die Geschichte von verrückten russischen Forschern, die den wahnsinnigen Plan haben, eine Sojus umzubauen, um damit die Ukraine zu bombardieren. Putin findet das gut.
Obendrein lebt ein relevanter Teil der deutschen Journalisten wie Julian Röpcke in einer von jeder Realität völlig entkoppelten, fiktiven Welt, die nie existiert hat und auch nie existieren wird. Für echten Journalismus und eine breite gesellschaftliche Debatte sind das extrem schlechte Voraussetzungen.