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Mein Wochenende mit Jewgenij Prigoschin

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Mein letztes Wochenende war nicht ganz so spannend, wie man sich das in Deutschland vorstellt. Jewgenij Prigoschin, russischer Unternehmer und Chef der Privatarmee Wagner, fühlte sich schlecht behandelt. Er schickte daher seine Jungs in Richtung Moskau – im Panzer versteht sich und nicht nur in einem.

Die Aufregung war vor allem medial. Hätte ich die Glotze nicht angemacht, hätte ich vermutlich gar nichts vom sogenannten Putsch mitbekommen. In Moskau blieb nämlich alles ruhig.Ich habe das in einem Tweet auch so festgehalten und wurde prompt dafür beschimpft – wie das auf Twitter nunmal so ist. Mir wurde unter anderem vorgeworfen, nicht wahrheitsgemäß zu berichten. Das ist natürlich schon einigermaßen erstaunlich. Da sitzt jemand mit seinem Handy in Deutschland mit dem Handy und erklärt mir in Moskau, was in Moskau gerade passiert, was es zu sehen gäbe und wie ich darüber gefälligst zu berichten habe. Nun gut.

Im Fernsehen wurde eine Ansprache Putins angekündigt, die dann auch kam. Putin war ziemlich sauer, er sprach von Verrat. Er forderte die Söldner auf, es sich noch einmal zu überlegen. Sie seien in die Irre geführt worden. Gleichzeitig hob er ihre Verdienste im Kampf hervor.
In ihrer Differenziertheit ist diese Rede ein ganz erstaunliches Dokument und unterscheidet sich von den Ausfällen deutscher Politiker gegen Menschen grundlegend, die die Regierungspolitik kritisieren. Dabei sind in Deutschland die Anlässe für die Beschimpfung der Deutschen von der politischen Kanzel herab deutlich geringer. Weder “Covidioten” noch “Reichsbürger” sind bisher im Panzer Richtung Berlin gefahren. Der Bundeskanzler wird jedenfalls deutlich schneller ausfallend als Putin und um die Fähigkeit zur Differenzierung steht es im politischen Establishment Deutschlands ohnehin schlecht. Jedem, der nicht vollständig auf Regierungslinie ist, wird eine rechte Gesinnung unterstellt. Das ist billig und schäbig. Weiß eigentlich auch jeder.

Öffentlicher Streit

In Deutschland sah man Putin schon stürzen. Die Häme und die Niedertracht war selbst hier in Moskau zu fühlen. Endlich kommt das “System Putin” an sein Ende. Endlich wird er weggeputscht und erhält seine gerechte Strafe – also das, was man in Deutschland für gerecht und angemssen hält. Knast, ewige Verbannung, Sibirien, Tod. Wie sich nun im Nachhinein herausstellte, ging es Prigoschin und den Seinen gar nicht um einen Putsch.

Prigoschin war angepisst. Er hatte andere Vorstellungen davon, wie dieser Krieg zu führen ist, war bereit, mehr ins Risiko zu gehen und dafür unter Umständen schnellere Fortschritte zu erzielen. Das russische Verteidigungsministerium geht mehr auf Sicherheit, möchte die eigenen Soldaten schützen und geht deshalb langsamer vor. Darüber gab es immer wieder Streit. Prigoschin hat diese  Streit regelmäßig in die Öffentlichkeit getragen, obwohl das in Russland nach deutscher Auffassung gar nicht geht, weil Russland eine Diktatur ist, in der es keine Meinungsfreiheit gibt.

Vermutlich hat diese ins Öffentliche getragene Meinungsverschiedenheit die Idee entstehen lassen, die privaten Armeen, die für Russland kämpfen, der Kontrolle des Verteidigungsministeriums zu unterstellen. Die tschetschenischen Kämpfer des Achmat-Bataillons waren die ersten, die den Schritt vollzogen haben. Prigoschin weigerte sich, die Verträge seiner Söldner auf das Verteidigungsministerium zu übertragen.

„Putin muss weg“

Das ist der Konflikt, der im Hintergrund schwelte. Ausgelöst hat den Marsch auf Moskau die Nachricht, russische Einheiten hätten die Wagner-Truppen beschossen. Ein Video, mit dem das belegt werden sollte, erwies sich jedoch als Fake.

Jedenfalls wusste man es in Deutschland wieder besser. Putin wird jetzt gestürzt. Endlich. Dass Prigoschin nicht gerade ein Faible für die EU hat, war dabei scheißegal. Putin muss weg und was danach kommt, ist uns schnuppe. Das hat was von den “Merkel muss weg”-Rufen bei irgendwelchen Demos. Merkel ist jetzt weg. Und? Hat sich irgendetwas in eine gewünschte Richtung geändert?

Genau so unüberlegt sind die Wünsche, Putin solle endlich vom Thron gestoßen werden. Sie kommen lediglich aus einer anderen politischen Richtung. Die Wahrscheinlichkeit, dass es danach für die EU und den Westen besser wird, dass es danach eine erneute Annäherung gibt, ist verschwindend gering. Das Gegenteil ist zu erwarten. Die einzige Chance darauf wäre ein Umsturz von außen und die Installation einer Marionettenregierung. Dass der Westen so etwas beabsichtigt, ihm die russische Souveränität ein Dorn im Auge ist, hat man in Russland gut verstanden und stellt sich darauf ein. Die Niedertracht des Westens wird hier immer mitgedacht. Das ist nichts, worauf man im Westen stolz sein sollte.

In Moskau bleibt es ruhig

Ich saß weiter in Moskau rum, schaute fern, sah die Bilder von Panzern, die auf dem Weg in Richtung Moskau waren, und es war immer noch alles ruhig. Inzwischen hatte der Bürgermeister von Moskau den Montag zum arbeitsfreien Tag erklärt. Die Moskauer sollten am kommenden Montag zu Hause bleiben. Mir war klar, dass das für mich nur zum Teil zutraf. Das bestätigte sich auch wenig später. Wir arbeiten am Montag, aber von zu Hause aus, war die Nachricht aus der Redaktion. Tom kam auf die Idee, einen Podcast aufzunehmen. Ich sagte ihm, dass in Moskau alles ruhig sei und ich nur das sagen könnte, was hier in den Nachrichten kommt. Er war einverstanden.

Ich hatte inzwischen Lust auf ein Bier, es war aber keins zu Hause. Ich entschloss mich, welches zu kaufen. Auf dem Weg zum Supermarkt war alles wie immer. Keine Panzer, keine Straßensperren, nicht einmal auffällig viel Polizei. Im Fernsehen kam, die Zugangsstraßen im Süden würden vermehrt kontrolliert. Wir nahmen unseren Podcast auf, ich trank dabei ein Bier. Wenig später war das, was in Deutschland “Putsch” genannt wurde, bereits vorbei. Eine dirkete Verbindung zu unserem Podcast besteht dabei nicht.

Der weißrussische Präsident Lukaschenko, in Deutschland wahlweise Machthaber oder Diktator genannt, hatte vermittelt. Wie er später erklärte, hatte er mit Prigoschin telefoniert. Die ersten zehn Minuten hätten sie sich nur angeschrien und gegenseiteig beschimpft. Prigoschin wollte mit Putin sprechen, Lukaschenko hat ihm deutlich gemacht, dass Putin nicht mit ihm sprechen würde, weil das, was Prigoschin getan habe, für Putin Verrat und er, Prigoschin, ein Verräter sei. Anscheinend ist dann bei Prigoschin langsam eingesickert, was er angerichtet hatte.

Ob die Geschichte so stimmt? Keine Ahnung, aber sie passt zum Ablauf. Es war alles ziemlich irrational. Es gab keine konkreten Forderungen und es war klar, dass Prigoschin keinerlei Rückhalt hat. Putin hat dagegen durch den Vorfall an Zuspruch noch gewonnen. Er hat eine Krise friedlich gelöst. In Deutschland sieht man dagegen Putin schwer beschädigt. Aber wen interessiert schon die Meinung deutscher Medien?

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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