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Artjomowsk

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Die Schlacht um die Stadt Artjomowsk, die auf ukrainisch Bachmut heißt, ist sowohl hier in Russland als auch in Deutschland nahezu täglich in den Nachrichten. In Deutschland ebbt der Nachrichtenfluss in den letzten Tagen jedoch deutlich ab, denn die Stadt wird nach und nach von russischen Truppen eingenommen, respektive befreit – je nachdem, wie man es sieht. Die russischen Agenturen und Sender haben ein ganzes Heer von Reportern vor Ort. Die Berichterstattung ist daher ausführlicher. Hier in Russland bekommt man viele Bilder zu sehen und diese Bilder sind schrecklich.

Die Stadt ist faktisch zerstört. Es herrscht Häuserkampf. Jeder Häuserblock, jedes Haus wird einzeln eingenommen, jede Wohnung wird gestürmt, die ukrainischen Einheiten werden entweder vertrieben, gefangen genommen oder getötet. Es ist ein quälend langsamer Prozess. Quälend langsam, für beide Seiten unendlich leidvoll und in seinem Ergebnis absehbar: Artjomowsk fällt.

Vor einigen Monaten nahmen die Truppen der privaten Söldner-Organisation Wagner, die für und im Auftrag Russlands kämpft, die ersten Vororte ein. Sie rückten langsam vor. Einige Zeit später kämpften sie am Stadtrand. Nach und nach rückten sie in die Stadt ein. Es gab zwischendurch die Meldung, in der Ukraine werde diskutiert, ob die Stadt gehalten werden soll. Eigentlich sei sie gar nicht so wichtig. Für einen Moment dachte ich, es gäbe ein Einsehen, man spielt die strategische Bedeutung herunter, versucht das Gesicht zu wahren und rettet die eigenen Soldaten. Selensky wollte es dann anders. Die Stadt sollte gehalten werden. Bis zum letzten Mann. Selensky ordnete damit ein völlig sinnloses Sterben an.

Artjomowsk fällt

Die Wagner-Truppen rückten weiter vor, nahmen das Stadtzentrum ein. Die ukrainischen Truppen zogen sich weiter zurück. Auf ihrem Rückzug sprengen sie Wohnhäuser und zivile Infrastruktur, legen tödliche Fallen, um den Vormarsch der Wagner-Truppen zu verlangsamen. Diese berichten zudem davon, die ukrainischen Seite würde ihre Toten einfach in den Straßen liegen lassen. Im russischen Fernsehen werden die entsprechenden Bilder dazu verpixelt, in Deutschland zeigt man sie nicht. Berichtet wird auch ganz regelmäßig von Drogenfunden. Die ukrainischen Soldaten sind auf Amphetamine gesetzt, die ihre Leistungsfähigkeit erhöhen, ihr Schmerzempfinden und ihr Schlafbedürfnis reduzieren.

Inzwischen ist die Stadt zu 90 Prozent eingenommen. Der Kampf geht weiter, die Nachrichten dazu werden weiter geliefert – zumindest in Russland. Es sind unglaublich depremierende Nachrichten, in denen sich das ganze Elend dieses Krieges ausdrückt. Die Ukraine verliert, denn sie ist unterlegen. Sie verliert und darf dennoch nicht aufgeben, darf nicht verhandeln, sondern muss das Leben ihrer Soldaten opfern.

In den russischen Medien kommen täglich Frontberichte. Jeder Tag bringt eine neue Liste, aus der hervorgeht, wie viel Gerät zerstört wurde, wie viele ukrainischen Soldaten getötet wurden. Es sind jeden Tag hunderte, die den Tod finden. Die Zahl der Opfer auf russischer Seite erfährt man nicht. Dass es weniger sind ist plausibel, Russland ist militärisch offenkundig überlegen, sonst gäbe es keinen Fortschritt. Was es aber in Russland dennoch gibt, sind Berichte und Dokumentationen über beispielsweise Rehabilationszentren in denen ehemalige russische Soldaten an den Umgang mit ihren Prothesen gewöhnt werden. Es geht viel um abgerissene Gliedmaßen, um die gesellschaftliche Wiedereingliederung von Invaliden und um ihre finanzielle Unterstützung durch den Staat. Es geht um moderne Prothesentechnik, um psychologische Begleitung und Betreuung, um Selbsthilfegruppen. All das ist extrem schrecklich.

Deutsche Waffenlieferungen retten Leben

Es wurde in Deutschland viel über Waffenlieferungen geredet. Über ihre Notwendigkeit. Man müsse die Ukraine unterstützen, schließlich sei sie grundlos überfallen worden und würde auch die deutschen Werte verteidigen. Die Lieferung von Waffen würde Leben retten. Das sagte auch die deutsche Außenministerin in einem Interview im September des vergangenen Jahres.

“Unsere Waffenlieferungen helfen offensichtlich sehr deutlich, Menschenleben zu retten. Also sollte sich eine menschenrechtsgeleitete Außenpolitik ständig fragen, wie wir durch weitere Lieferungen helfen können, noch mehr Dörfer zu befreien und damit Leben zu retten.”

Vielleicht kann man jetzt für einen Moment überlegen, wie viele Menschenleben dort in Artjomowsk durch deutsche Waffen gerettet wurden? Gibt es dazu Zahlen, eine griffige Statistik?

Vor dem Hintergrund der Berichte hier in Russland wirkt die offizielle deutsche Position tief zynisch. Ich bin mir auch sicher, wenn sich der Rauch des Krieges über dem Schlachtfeld verzogen hat, wird die Ukraine nur wenig Dankbarkeit gegenüber Deutschland zeigen. Für  Deutschland und seine Werte wurde eine ganze Generation von Männern in den Tod geschickt. Die deutsche Solidarität mit der Ukraine ist vergiftet. Die deutsche Waffenlieferungen führen zur völligen Zerstörung der Ukraine. Sie retten kein Leben, sondern bringen Tod und Elend. Nirgendwo wird das so deutlich sichtbar und greifbar wie in Artjomowsk.

Deutscher Abnutzungskrieg

Worüber man in Deutschland ebenfalls nicht, in Russland aber ausführlich berichtet, sind die Dokumente der zunehmenden Zwangsrekrutierungen in der Ukraine. Unter anderem wegen Artjomowsk gehen der Ukraine die Soldaten aus. Die Rekurtierungspraxis wird allem Anschein nach immer brutaler und immer wahlloser. Es wird einfach jeder einberufen, der irgendwie greifbar ist.

Das deutet auch darauf hin, dass die Zahlen aus Russland so ganz falsch nicht sein können. Jeden Tag ein paar hundert, macht nach zehn Tagen ein paar tausend und nach hundert Tagen ein paar zehntausend tote Soldaten. Wer  vor diesem Hintergrund glaubt, die Ukraine würde auch nach Ende des Krieges dem Westen, der EU und Deutschland für ihre Unterstützung in Form von Waffenlieferungen weiterhin dankbar sein, sollte noch einmal einen Moment nachdenken. Es gibt für die Annahme nicht einen einzigen auch nur annähernd plausiblen Grund. Die Geschichte, die man in der Ukraine über Deutschland erzählen wird, ist, dass Deutschland die Ukraine für die eigenen politischen Zwecke in grausamer und zynischer Weise verheizt hat. Und die Geschichte, die man in Russland angesichts der Entwicklung schon jetzt über Deutschland erzählt – die erschließt sich, denke ich, von selbst.

In Artjomowsk wird die ganze Sinnlosigkeit und der ganze Zynismus der westlichen Ukraine-Politik unmittelbar erfahrbar. Artjomowsk ist verloren, die Stadt wird in den nächsten Tagen, vielleicht Wochen durch russische Truppen befreit oder eingenommen, je nach dem, wie man es sieht. Man hätte mit einem geordneten Rückzug, einer Übergabe der Stadt an Russland tausende ukrainischen Tote verhindern können. Selensky hat sich dagegen entschieden – ziemlich sicher auf westliches Geheiß. Die Stadt ist daher auch Zeichen dafür, dass es Kräfte gibt, die einen langen, verlustreichen Abnutzungskrieg wollen. Deutsche Politik gehört da ganz offenkundig dazu.

Gert-Ewen Ungar
Gert-Ewen Ungar
Gert Ewen Ungar legte sich kurz nach dem Abi sein Anagramm zu. Er und seine Freunde versprachen sich damals bei einem Kasten Bier, ihre Anagramme immer für kreative Arbeiten zu verwenden. Dass sein Anagramm jemals mehr als zehn Leuten bekannt werden würde, war damals nicht abzusehen und überrascht ihn noch heute. Das es dazu kam, lag an seinem Blog logon-echon.com. Mit seinen Berichten über seine Reisen nach Russland stiegen die Zugriffszahlen und es entwickelte sich eine Zusammenarbeit mit RT DE. Anfang 2022 stieß er zu den neulandrebellen und berichtet über Russland, über Politik, über alles Mögliche.

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