Mir ist schon viel um die Ohren gehauen worden. Propagandist und Putin-Knecht zählen dabei zu den harmloseren Diffamierungen, die ich ganz regelmäßig über mich lesen muss. Vor allem auf Twitter geht es oft recht heiß her. Aus all den Diffamierungen geht hervor, dass in Deutschland ziemlich irrige Vorstellungen über Russland existieren. Viele Deutsche glauben anscheinend, dass die russische Regierung vollen Durchgriff auf alles und jeden im Land hat. Ein Beispiel das in diesem Zusammenhang gebracht wird, ist eine angebliche umfängliche Kontrolle der Medien in Russland. Das ist gleich in zweierlei Hinsicht falsch.
Es entspricht nicht den aktuellen Tatsachen und ist auch nicht das Ziel der russischen Politik, soweit ich das bisher beurteilen kann. Spätestens seit Corona und noch mehr seit dem 24. Februar 2022 halte ich Russland für deutlich freier als Deutschland. Insbesondere der öffentliche und veröffentlichte Diskurs ist in Russland wesentlich breiter als in Deutschland, wo eine kleine Gruppe durch ein gut geführtes Empörungsmanagement den Korridor des Sagbaren im Vergleich zu Russland unglaublich eng hält. Wer diese Grenze überschreitet, muss mit persönlichen Konsequenzen rechnen. Deutschland ist gerade im Vergleich mit Russland geistig absolut eng.
Die Reihen werden geschlossen
Ein zentraler Bestandteil des Empörungsmanagements in Deutschland ist, das abweichende Meinungen sofort verunglimpft werden. Ich werde dort regelmäßig beschimpft. An Argumenten kommt wenig. Insbesondere die Generation PISA reduziert ihre Argumentation auf wenige Schlagworte wie “Russennazi” und “Russenbot”. Wenn es hoch kommt, werden die fragwürdigen Vorwürfe wiederholt, die man in Deutschland medial um die Ohren gehauen bekommt. “Vergewaltigungen!”, “Vernichtungskrieg!”, “russischer Imperialismus!” – das ist zwar alles Quatsch, aber in Deutschland glaubt man mit der gleichen Inbrunst dran wie manche an die unbefleckte Empfängnis.
Mit der Diskussion um die Lieferung von Leopard-Panzern kam plötzlich ein Ausdruck hinzu, der mir bis dato noch nicht untergekommen war: Vaterlandsverräter. Nicht einmal, sondern gleich mehrfach und inzwischen kann ich sagen, mit einer gewissen Regelmäßigkeit.
Damit ist ein neues Niveau erreicht, denn die Implikationen des Ausdrucks sind weitreichend. Vaterlandsverräter wurden jene genannt, die sich in den dreißiger und vierziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts aus Deutschland ins Ausland abgesetzt haben, weil sie den deutschen Faschismus nicht mittragen wollten. Vaterlandsverräter waren jene, die widersprachen und zur Vernunft mahnten, um so dem deutschen Wahnsinn in dem Moment Einhalt zu gebieten, als er jedes Maß verloren hatte. Vaterlandsverräter sind jene, die aus der Front ausscheren und aus guten und darlegbaren Gründen die Entwicklung nicht gut heißen. Mit dem Ausdruck „Vaterlandsverräter“ verweigert man, diese Gründe zu hören und abzuwägen.
Der Vernunft wird abgeschworen
Vaterlandsverräter hat aus einem deutschen Mund einem Deutschen ins Ohr gesagt einen besonderen Klang, eine besondere Schwere, denn es das Wort stellt einen einzigartigen historischen Bezug her. Die Frage, ob es wieder soweit ist, beantwortet sich damit auch. Die Antwort lautet, “ja, ist wieder soweit”. Der deutsche Geist ist aus der Flasche.
“Vaterlandsverräter” sagt vor allem auch, dass der, der es ausspricht, sich im Krieg fühlt. Ich bin der Vaterlandsverräter und ich habe mein Vaterland an Russland verraten, ist die Auffassung derjenigen, die mich so betiteln. Damit ist auch klar, mit wem sich ein Teil der Deutschen im Krieg glaubt. Ich glaube, in dem Vorwurf drückt sich tatsächlich ein Empfinden aus, das Deutschland mehr und mehr in den Griff nehmen wird. Das Empfinden, dass die Deutschen gegen die Russen zusammenstehen müssen und keiner aus der Reihe ausscheren darf, um den Russen dieses Mal endlich zu besiegen.
Es ist diese tiefe Irrationalität, die erschreckt, denn sie führte noch nie zu etwas Gutem und wird es auch dieses Mal nicht tun. Es geht um Gehorsam und Unterordnung unter ein höheres Ziel: Die Vernichtung der Russen und Russlands. Das mag überinterpretiert erscheinen, aber der gesamte Kontext, in dem der Begriff “Vaterlandsverräter” benutzt wird, deutet in diese Richtung. Eine relevante Zahl von Deutschen befindet sich geistig im Krieg mit dem Erzfeind Russland. Das verheißt alles nichts Gutes. Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. Er ist wieder da, der deutsche Geist. Und mit ihm, sind auch sie zurück: die Vaterlandsverräter.