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Das beste 2022 aller Zeiten

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Das war es also fast, dieses Jahr 2022. Nach 2020 und 2021 glaubten viele, es könne nicht schlechter kommen. Tja, irren ist menschlich. Aber eines ist klar: 2023 kann es nicht schlimmer kommen. Oder doch? Wie sehen die Mitglieder der neulandrebellen-Redaktion die vergangenen und die kommenden Monate?

Liebe Freunde und Gönner der neulandrebellen, fast haben wir es hinter uns: Das beste 2022 aller Zeiten. Ein Jahr, das prädestiniert dafür war, seine Vorgänger zu überflügeln, besser zu werden als 2020 und 2021. Es ist grandios gescheitert. Wir sind grandios gescheitert. Als Land und Gesellschaft. Obwohl man ja Positives hervorheben sollte: Wenigstens endet dieses Jahr erstmal nicht im Welt- oder gar Atomkrieg. Zwischenzeitlich konnte man anderes annehmen.

Zum Jahresausklang werden die drei Köpfe dieses kleinen Projektes hier nochmal zurückblicken und nach vorne schauen – nicht ohne all jenen zu danken, die uns auf so mannigfache Art und Weise unterstützen: Sei es als Spendengeber, als Influencer unserer Texte und Podcasts oder nur als seelische Unterstützung. Frohe Festtage, wie immer ihr die verbringt und feiert. Bleibt uns gewogen. Und nutzt die Tage, um etwas zur Ruhe zu kommen. Wenn sie uns lassen …

Roberto, ein Mann von Gestern sucht sich selbst

Im Laufe dieses Jahres habe ich eine bittere Erkenntnis gewonnen: Die letzten drei Jahre gingen nicht spurlos an mir vorbei. Ich ahnte das immer, hier und da spürte ich das auch. Aber es traf mich wohl schlimmer als gedacht. Wie genau: Ich werde das vielleicht bei Gelegenheit mal beschreiben. Es wären dann recht intime Einblicke. Dafür muss man bereit sein – noch fehlt mir diese Bereitschaft. Doch vielleicht ist es nicht ganz unwichtig, dass man sich aus der Deckung wagt. Denn wie mir wird es vielen gehen – und wahrscheinlich ist es äußerst beliebt, keine Schwächen zu zeigen, damit der Anschein gewahrt bleibt, auch wirklich noch zu funktionieren.

Letzteres tut immer weniger, habe ich den Eindruck. Meine Erfahrung 2022: Behandlungstermine haben sich weiter nach hinten geschoben, die Post kommt später denn je, die Tram vor meiner Haustür hat den Betrieb für drei Monate eingestellt: Es fehlt an Personal. Arztpraxen, Krankenkassen, Ämter: Es war immer schon schwer jemanden ans Telefon zu bekommen. Mittlerweile ist das aussichtlos, Bandansagen machen klar, dass die, die noch da sind, heillos überfordert sind. Bestellte Pakete sind teilweise über eine Woche auf dem Lieferwagen, bevor er doch mal vorbeifährt. Was geht eigentlich noch? Die Heizung? Ja, bislang schon noch. Medien? Öffentlich-Rechtliches? Justiz? Alles ist kaputt, rien ne va plus.

Noch was habe ich in diesem fast abgelaufenen Jahr bemerkt: Ich verstehe die Welt, eine Mehrzahl der Menschen darin, immer weniger. Lebe ich oder die in einer Parallelwelt? Neulich erzählte mir jemand aus meinem Umfeld, dass an seinem Arbeitsplatz – eine hohe Behörde, die wir alle finanzieren – Anweisung gegeben wurde, nicht mehr vom Ukraine-Krieg zu sprechen, sondern russischer Angriffskrieg auf Ukraine sollte es nun lauten. Nicht auf die Ukraine, denn der Begleiter sei irgendwie auch nicht korrekt. Der Bekannte erklärte mir, wie das gemeint war, verstanden habe ich es nicht. Eine Gesellschaft, die so tickt, die verstehe ich nicht mehr. Und mehr und mehr verweigere ich mich auch eines Verständnisses. Ich bin ein Mann von Gestern, i believe in Yesterday, ich weiß das schon länger. An Jahresenden werde ich immer schrecklich sentimental, da mache ich mir meine Rückständigkeit meist sehr bewusst.

Was kommt? Woher soll ich das wissen. Prognosen abzugeben ist reine Glückssache. Heute mehr denn je. Vielleicht kriegen die Amerikaner ja kalte Füße, machen ihren Frieden mit Putin und die amtierende Bundesregierung folgt der Parole und behauptet, sie hätte sich immer für Verhandlungen eingesetzt. Was? Glaubt ihr nicht? Wer weiß das schon? Diese Welt ist verrückt geworden, alles kann, nichts muss. In diesem Sinne, habt einen warmen Übergang nach 2023. Kalt wird es noch früh genug. Auf so viele potenzielle Arten …

Tom, der Fremdelnde

Ein Land, das innerhalb weniger Jahre dafür sorgt, unzählige seiner kritischen Geister zum Gehen zu bewegen, ist mir suspekt. Zumal dann, wenn es nicht nur tatenlos zusieht, sondern alles dafür tut, dass die Zahl dieser sich verabschiedenden kritischen Geister wächst. Es wäre ein Land, das zu retten wäre, würde es sich bemühen, diese ziehenden Menschen zum Bleiben zu bewegen, sie zu überzeugen, um sie zu werben. Doch es verliert kein Wort über sie, schweigt oder wünscht gar zynisch eine gute Reise.

Ich habe dabei zusehen können, zusehen müssen. Die mir wichtigsten Menschen, der kleine Kreis derer, die mir am nächsten sind, sie sind geblieben. Noch. Und ich bin auch hier, obwohl ich schon einige Länder gedanklich bereist habe mit der Option, mich dorthin zu verabschieden. Aber ich will ja nicht weg, bin hier geboren, aufgewachsen, habe Freude und Leid erlebt.

Doch richtig wohl fühle ich mich hier nicht mehr, ich fremdele mit dem Land, das man Vaterland nennen könnte, Ort der Heimat, zuhause, wie auch immer. Ich fühle mich beobachtet. Wenn ich etwas publiziere, schriftlich, in Form von Podcasts oder Videos. Oft streiten sich zwei Seiten in mir, die eine, die sagt, ich solle vorsichtig sein, nicht zu offen schreiben, was ich denke. Und die andere, die mir mit erhobenem Haupt ins Gesicht sagt, ich solle einen Teufel tun und mir die Schere aus dem Kopf ziehen, die sich durch das Hirn zieht und eine Spur der gedanklichen Unfreiheit hinterlässt.

Es gibt gute und weniger gute Tage, wir alle kennen das. Und ich bin froh, dass die guten die schlechten zahlenmäßig in den Schatten stellen. Doch der Optimismus, der die Schatten erhellt und mich antreibt, hat an Kraft verloren. Hin und wieder beklage ich mich bei ihm, werfe ihm fehlendes Engagement vor, obwohl ich natürlich weiß, dass ich es bin, bei dem ich mich über mich beklage.

Ich bleibe hier. Solange es geht. Ich liebe meine Freunde, ich liebe aber auch meine Sprache. Niemals könnte ich ausdrücken, was ich denke und fühle, wenn ich es in einer anderen als meiner Muttersprache tun müsste. Ich weiß, dass man recht schnell beginnt, in der Sprache zu denken, die man in einer fremden Umgebung sprechen muss, habe es selbst erlebt. Aber in letzter Konsequenz fehlen die letzten, kleinen Wörter der eigenen Sprache, die einen Gedanken vollenden. Das Wort ist für mich das, was anderen die Zahl oder die Formel ist, ich brauche es, liebe es, spiele gern damit, auch gedanklich.

Aber dieses Spiel, hier in diesem Land, es ist nüchterner geworden, weniger enthusiastisch. Ich spiele es weiter, solange es geht.

Trotz allem.

Gert, einer der Deutschland scheiße findet

Was ich vor einigen Monaten noch nicht behauptet hätte, sage ich jetzt: Für mich lief dieses Jahr eigentlich super. Zu Beginn des Jahres wurde ich ein Teil der neulandrebellen. Ich fühlte mich durch die Anfrage, ob ich nicht Lust hätte, mitzumachen, ein bisschen gebauchpinselt. Das tut von Zeit zu Zeit auch mal gut. Kurz nach meinem Einstieg begann der Ukraine-Krieg. Einen kausalen Zusammenhang kann ich nicht erkennen, aber es gibt in Deutschland bestimmt jemanden, der mir das nachweisen kann.

Deutschland ist ziemlich scheiße, habe ich im Lauf des Jahres festgestellt. Ich war nie ein großer Patriot und nach diesem Jahr bin ich es noch weniger. Das politische, insbesondere das außenpolitische Deutschland ist der letzte Dreck. Verlogen, niederträchtig, ohne jede Moral. Das ist eigentlich die zentrale Erkenntnis, die ich aus diesem Jahr 2022 in die Zukunft mitnehme. Es gibt so etwas wie den deutschen Geist, er ist kleinlich, engstirnig, intolerant, unfrei, ohne jede Würde und überschätzt sich selbst maßlos. Allein die in Penetranz vorgetragenen Idee, Deutschland könne der Welt ein Beispiel sein, bezeugt diese maßlose Selbstüberschätzung. Nicht alle Deutschen sind natürlich so, aber Deutschland als Ganzes, als politisches Gebilde eben schon.

Das Gute ist, dass die deutsche Arroganz Deutschland immer häufiger auf die Füße fällt. Zuletzt hat sich Deutschland mit seinem LGBT- und Diversity-Getue bei der WM in Katar vor der Welt lächerlich gemacht. Verlogen und scheinheilig war das, was da im Namen der Deutschen der Welt vorgeführt wurde.  Deutschland ist in diesem Jahr mit der dümmsten populistischen Aktion in die Fußballgeschichte eingegangen. Den Pokal holt man damit natürlich nicht. Weltmeister der Herzen wird man damit auch nicht. Es kam absolut unsympathisch rüber. Auf jeden Fall hat Deutschland der Welt gezeigt, wie scheiße es ist. Irgendwo aufschlagen und den Gastgeber erstmal belehren und sein Ding durchdrücken wollen. Wir runtergekommen kann ein Land sein? Mir wurde die Verkommenheit Deutschlands in diesem Jahr allerdings schon etwas früher klar.

Nachdem ich das ganz tief erkannt, es mir ganz deutlich vorgeführt worden war, bin ich weggegangen aus Deutschland. Dieser Schritt hat das Jahr zu einem guten gemacht. Ich wohne jetzt in Russland, es ist hier freier, leichter, unbeschwerter. Denkt man gar nicht, wenn man Russland hört, ich weiß. Aber genau das ist eins der zentralen Probleme, die Deutschland hat. Deutschland verfügt über eine völlig dysfunktionale Medienlandschaft, die bei zentralen Themen eigentlich nur desinformiert. Russland ist so ein Thema. Ich rate allen, kommt mal her, schaut es euch an. Ihr werdet überrascht sein, wie das, was ihr hier findet, sich von dem unterscheidet, was man euch in Deutschland über Russland erzählt. Das Jahr 2023 hält für euch unter anderem dafür exakt 365 Tage bereit. Ergreift die Möglichkeiten, die sich euch in 2023 bieten.

Redaktion
Redaktion
Die Redaktion der neulandrebellen setzt sich zusammen aus den beiden Gründern: Tom J. Wellbrock und Roberto J. De Lapuente. Später kam noch Gert Ewen Ungar zur Redaktion hinzu.

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