16.1 C
Hamburg

Ein Leben ohne Facebook ist möglich – und ratsam

Published:

Schade, für einen kurzen Moment habe ich gehofft, dass Facebook endgültig hinüber ist. Denn das wäre der Beginn einer besseren Welt gewesen. Die kann es nur ohne Netzwerke geben.

So richtig mitbekommen habe ich Facebooks Abwesenheit erst, als sie fast schon wieder vorüber war. Aufmerksam darauf wurde ich bei Twitter. Da versammelten sich zu dem Zeitpunkt alle, die auf Entzug waren. Viele sorgten sich um ihre Daten. Würden die noch da sein, wenn das Netzwerk wieder online geht? Greift sie vielleicht jemand vorher ab? Diese Sorge ist ihnen vermutlich in den Sinn gekommen, als sie in der Kontrollreihe ihres Lieblingsrestaurants standen, schon mal ihre Impfdaten zwecks Prüfung herauskramten. Datenschutz ist ja schließlich eine wichtige Angelegenheit – und es müssen nicht alle alles über einen wissen.

Für viele Menschen war das ein Einbruch, noch Tage später wollten sie genau wissen, was da schieflief. Journalisten salbaderten, dass man daran gesehen habe, wieviel Macht Facebook bereits besitze. Wobei nicht ganz klar wurde, welche Macht soll da dokumentiert worden sein? Die Macht Milliarden Menschen in die Sinnkrise zu stürzen, wenn man offline ist? Die Macht der Sinnstifter einer Generation zu sein, der es sonst an intermediären Systemen mangelt. Diese Macht wäre dem Konzern jederzeit abzuluchsen. Man muss es nur wollen. Was heißt: Man muss es nur nicht mehr wollen – nämlich bei Facebook seinen Tag zu verbringen, per App dauernd mit dem Netzwerk verbunden zu sein, ständig von dort Rückmeldungen einzuholen.

Gegen Fake News: Nur eine plumpe Abwandlung des ersten Gebotes

Neulich war ich in einer Buchhandlung. Der erste Gang in so einem Laden ist bei mir immer der zu den zeitgenössischen Sachbüchern. Die waren auf einem Tisch angeordnet. Die Hälfte davon handelte von Corona. Wobei auch zwei, drei kritischere Werke darunter zu finden waren. Etwa was von Sucharit Bhakdi und Paul Schreyer. Dazu gab es das Neueste vom Nationalsozialismus, eine Anthologie über das ausschweifende Leben in den Zwanzigern – und etwa ein Viertel der präsentierten Druckerzeugnisse handelte von sozialen Netzwerken und Digitalisierung. Dass Facebook und Konsorten schlecht für die Demokratie seien, konnte man schon auf etlichen Covern erahnen. Vor allem, weil es dort vor Fake News und Falschinformationen nur so wimmele, las man auf den Buchrücken.

Das ist seit mittlerweile Jahren die gängige Kritik der tonangebenden Eliten aus Politik und Presse gegen die Facebookisierung unseres Alltages. Es geht um Fake News – wenn man die irgendwie verbieten, unterdrücken oder abstellen könnte, dann wäre Facebook keine Gefahr mehr für die Demokratie. Dann könnte die Machteliten damit leben, würde dort doch nicht ihre Autorität und ihre Weisheit untergraben.

Dass es dort Falschmeldungen gibt, ist ja klar. Unter anderem verbreiten auch öffentlich-rechtliche Sender oder Ministerien dort Informationen, die nicht immer der Wahrheit entsprechen. Mit Fake News meinen sie aber auch Einträge, die oftmals stark gegen die Ansichten sprechen, die von den genannten Eliten im öffentlichen Raum platziert werden. Bei den verhassten konträren Posts geht es nicht etwa um Wahrheit oder Lüge, sondern darum, dass man keine gegensätzliche Ansicht daneben dulden will. Es geht um die Sauberkeit des vermittelten Weltbildes. Diese Praxis klingt nicht nach sachlichen Umgang mit Argumenten oder gar Wahrheit: Das ist eine plumpe Abwandlung des ersten Gebotes.

Facebook, der Allzermalmer

Facebook ist aber auf so vielen Ebenen mehr ein Gefährder, ein Veröder des Gemeinsinns und des Zusammenlebens, ein Zerstörer und Allzermalmer der Diskussionskultur und ein Gleichschalter dessen, was zu denken und zu fühlen ist, dass es selbst ohne Fake News – aus welchen Kanälen sie auch immer stammen – nicht eben demokratischer würde. Dieses Netzwerk hat tatsächlich Macht, es fernsteuert Menschen und Debatten, gibt ihnen per Algorithmus Prioritäten vor, erzeugt den Irrglauben, dass gesellschaftliches Leben bedeutet, zu jeder Tages- und Nachtzeit kommunizieren zu müssen und suggeriert damit den Irrglaube, auf bequeme Couchkartoffelart ein Kosmopolit zu sein.

Insbesondere Facebook produziert eine Gleichschaltung dessen, was wir denken und fühlen, was wir für wichtig oder unwichtig erachten sollten. Zwar wird dort Individualität und Diversität gefeiert, aber nur in einem sehr beschränkten Kontext. Der Meinungskorridor ist schmal. Cancel Culture hat Konjunktur. Shitstorms sind gewollt, wenn es die trifft, die ihn verdienen. Die Wut auf die Anderen: Das fördert den Zusammenhalt der vermeintlich Guten. Kein Wunder, dass die Politik jeder Tendenz nachspüren möchte, die dieses gewachsene Gefüge aus Biederkeit und Wokeness gefährdet: Denn dieses Facebook ist ein dienliches Instrument, um Bürger gefügig zu machen – oder zu halten. Es prägt das Sozialverhalten und setzt Schwerpunkte. Und es macht es für die Politik einfach, jene Themen aufzugreifen, die vermeintlich die Bürger umtreiben. Selten zuvor war es so leicht, Bürgernähe zu simulieren.

Man muss nur mal beobachten, wie sich die Abläufe in unserer Mediokratie herauskristallisiert haben. Was heute heiß in den Netzwerken diskutiert wird, findet zunächst das Gehör von einigen politischen Nerds, die systematisch das aufgreifen, was dort in den Trends ist. Diese Nerds sondern dann dazu etwas ab – mit einigen Stunden Verzögerung finden solche Themen dann Einzug in die Zeitungen und ins Fernsehen, animieren dann auch schwerere Kaliber aus der Politik zu einem Statement. Die sozialen Medien sind mittlerweile quasi für das Agenda Setting verantwortlich, sie geben vor, was als wichtig zu erachten ist.

Das Facebook, das sie meinen

Dass das mit großem Interesse seitens der Politik zu tun hat, reden sich die User bloß ein: In Wirklichkeit werden sie für blöd verkauft, sie geben den Mandatsträgern lediglich vor, was sie von ihnen gerne hören wollen – und die lassen es dann eben hören. Dass da einer mit politischem Auftrag besonders hellhörig, ein besonderer Kümmerer wäre, trifft nicht zu: Es sind Sprachautomaten, die besonders gut in Aufmerksamkeitsökonomie geschult sind, die sich hier einklinken und Komplimente und Zuspruch fischen.

Das Facebook, das sie meinen, ist ein Ort, wo eine Art Einklang zwischen Big Politics und Big Business simuliert wird, eine inoffizielle Verkündigungsplattform, auf der man möglichst wenig Störfeuer, wenig Zwischenrufe, schon gar keine gänzlich differenten Betrachtungsweisen vorgesetzt bekommen soll. Dort wird der Bürger der Zukunft pädagogisiert und sozialisiert, dort wird er zum medial abgerichteten Followerbürger – der anders als die Bürger Chinas nicht mit striktem Rating zu einem annehmbaren Sozialverhalten getriezt wird, sondern den man dahingehend verfolgungsüberzeugt, bis er das denkt und fühlt, was der Algorithmus ihm regelmäßig vorsetzt und ausgesucht hat. Die Netzwerke errichten demgemäß eine fürsorgliche Belagerung.

Eine bessere Welt ist über solche Netzwerke nicht denkbar. Sie haben es sich in dem ohnehin maroden politischen System eingenistet und sich dort ein systemrelevantes Plätzchen eingerichtet – dabei haben sie das neoliberal zersetzte, politisch korrupte System der Zeit vor den Netzwerken nochmal nach unten gezogen. Sie haben es weiter ausgehöhlt. Weiter neoliberalisiert. Nochmals korrumpiert – und sich zur politischen Größe gemausert. Wenn diese Welt nochmals menschlicher werden soll, dann nicht in Anwesenheit solcher Netzwerke. Denn sie entmenschlichen: Das ist ihre Funktionsweise. Wir müssen uns übrigens die letzten anderthalb Jahre anders vorstellen, hätte es diese Netzwerke nicht gegeben: Darüber demnächst mehr.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

Related articles

spot_img

Recent articles

spot_img