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Selbstkritisches Sintflutorakel

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Ein Gastbeitrag von Dadalus Uggla.

Zwar haben Politik und Wirtschaft für die meisten der heutigen Probleme in unserem Lande erst die Infrastruktur geschaffen.

Doch das traditionelle Vorbild unserer Regierenden, sich statt um die eigenen Angelegenheiten zu kümmern, lieber in nationaler Hybris mit erhobenem Zeigefinger den sauberen Rasen der europäischen Nachbarn und den der Freunde in aller Welt kontrollieren zu wollen, hatte im Laufe der Jahrhunderte (!) auf die staatsbürgerliche Charakterbildung unserer Bevölkerung durchaus seinen Einfluss.

(Wer sich schon einmal intensiver mit z.B. Heinrich Heines, Kurt Tucholskys, Heinrich Manns, Bert Brechts oder Heiner Müllers Werken beschäftigt hat, wird den historischen Kontext leicht durchschauen.
Und auf die unheilvollste Spitze getrieben, steht immer noch die Schreckensherrschaft des Dritten Reiches Pate für diese Philosophie nationaler Insolenz).

So ist eine der Hauptursachen für alle sozialen, gesellschaftlichen und infrastrukturellen Verwerfungen in unserem Lande letztendlich die perfekt darauf konditionierte Mentalität der Bürger, sich ausschließlich über politische Missstände (am Liebsten in anderen Ländern) zu empören, von denen jedoch die eigene Existenz nicht tangiert wird.

Für letzteren Fall wird eine bequeme Gleichgültigkeit aktiviert, die dem eigentlichen Souverän im Lande, nämlich dem Volke strikt verbietet, sich (sogar sehenden Auges in einer Katastrophe, wie z.B. einer Pandemie) selbst gegen den absurdesten Wahnsinn aufzulehnen, den ihm die regierenden Kasten in deren eigenen ökonomischen und machtpolitischen Interessen aufbürden und abverlangen.

Schließlich bedeuten der (schon von Heinrich Mann in seinem ‚Untertan treffend beschriebene) Kadavergehorsam und das Duckmäusertum gegenüber einer manchmal schon fast faschistisch anmutenden Bürokratie mit ihren Schreibtischtätern (zumindest immer noch) einen zuverlässigen Schutz für den Genuss des wochenendlichen Bundesligafußballspieles und der samstagsabendlichen Volksverblödung im großformatigen UHD-Fenster der bewegten Bilder.
Tucholskys berühmter Satz über das Ideal hinter einem Schreibtisch zu sitzen und dem Schicksal vor diesem zu stehen, besitzt somit immer noch eine allumfassende Evidenz.

Die Leidtragenden eines Systems der ‚trainierten Gleichgültigkeit sich selbst gegenüber‘ und damit auch der praktisch protestfreien Akzeptanz einer menschenunwürdigen Agenda 2010, mit dem Ziel der totalen Entwertung der Arbeit, waren schon lange vor Corona Millionen von Menschen mit Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen, Arbeitslose, hunderttausende Kinder und Senioren in Armut. Alle Zahlen diesbezüglich mit ungehemmt steigender Tendenz.

Auch die Zerschlagung von Gesundheits-und Pflegesystemen und deren Umwandlung in ausschließlich profitgesteuerte Privatunternehmen wurde mit demselben uninteressierten Gleichmut hingenommen, wie die systematische Vernachlässigung der Bildung, der Abbau immer mehr künstlerischer Institutionen und der zunehmenden Zensur, bis hin zur Verleugnung eines jahrhundertealten Kulturkanons.

Mit der Pandemie addierten sich nun nochmals Millionen ökonomisch gebeutelte Kleinunternehmer, Künstler, Selbstständige und Mittelständler mit ihren Familien dazu. Menschen in Not, die bis heute in unerschütterlicher Geduld auf versprochene staatliche (und ihnen zu keinem Zeitpunkt wirklich zugedachte) Hilfen warten und seitens der Politik mit immer abenteuerlicheren Ausreden abgespeist werden.

Die Folgen der aktuellen Hochwasserkatastrophe wären durch funktionierende, (aber leider dem üblichen Rotstift zum Opfer gefallene) Vorwarnsysteme in ihren Ausmaßen sehr viel weniger monströs ausgefallen. Wahrscheinlich hätten letztere sogar viele Menschenleben retten können. Doch auch hier wäre als Voraussetzung wieder ein höheres Bewusstsein der Bevölkerung nötig gewesen, unsere ‚Volksvertreter‘ endlich zu dem von ihnen zwar im Wahlkampf stets propagierten, aber selten danach auch vollzogenen verantwortungsvollerem Handeln zu zwingen. Ein politisches Handeln, welches der Sicherheit und dem Wohlergehens der Bevölkerung gilt und das nicht lobbyistischen Überlegungen oder der Austerität des Staates auf dem Rücken der Bevölkerung verpflichtet ist.

(Stichwörter bezüglich der Hochwasserkatastrophe: Seit mehreren Jahrzehnten (!) allerorten angemahnter, aber nie umgesetzter Deichbau, Cell Broadcast statt Warnapps, zügiger Ausbau der digitalen Infrastruktur, Sirenenwartung, Versiegelungsstopp, Ablaufwiesen, Knickpflege, Bebauungsstopp in gefährdeten Gebieten etc.)

Aber so steht zu Erwarten, dass die regierungsseitig angekündigten Hilfen für die Hochwasseropfer dasselbe Lippenbekenntnis darstellen werden, wie schon die ausgebliebenen Coronahilfen davor, mit der politischen Gewissheit, dass sich auch hier wieder die Betroffenen in gewohnt stoischen Fatalismus üben werden.

Nicht unerwähnt bleiben als positive Nachricht dabei natürlich die enormen und kaum hoch genug einzuschätzenden Nachbarschafts-und privaten Hilfen der Bürger untereinander (!) in den betroffenen Hochwassergebieten, welche – entgegen medial gerne so dargestellt – auf keinem politischen Verdienst unserer gummibestiefelten Wahlkampfdarsteller beruhen.

Als Fazit bleibt:

‚Alternativlos‘ muss ein völlig neues politisches System etabliert werden, in dem nicht mehr Wirtschaftslobbyismus und Austerität sondern die Interessen der Bevölkerung die Priorität des politischen Handelns besitzen.
Schaffen wir es als Bürger nicht, die über Generationen (grundlos) antrainierte Angst vor der Obrigkeit zu überwinden und unser, von fachlich unfähigen mit und fast von aller Moral befreiten Wohnungsverwaltern politisch besetztes Haus aufzuräumen, ist mittlerweile nicht nur der soziale und gesellschaftliche Frieden in unmittelbarer Gefahr.

Dann dürften über unseren Oblomowismus in absehbarer Zeit auch die von uns in allen Belangen gerne belehrten europäischen Nachbarn nicht mehr nur lachen sondern uns zu Recht in unserem selbstverschuldeten Unglück bemitleiden. Und die absehbar nächsten Sintfluten und Naturkatastrophen werden immer schwieriger zu bewältigen sein.

(© by Dadalus Uggla, 2021)

Gastautor
Gastautorhttps://staging.neulandrebellen.de/
Der Inhalt dieser Veröffentlichung spiegelt nicht unbedingt die Meinung der neulandrebellen wider. Die Redaktion bedankt sich beim Gastautor für das Überlassen des Textes.

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