Blickt man auf die LINKE, kann man eigentlich nur noch den Kopf schütteln, wahlweise auch die Köpfin. Und damit sind wir schon beim ersten Problem einer Partei, die sich stückchenweise selbst zerlegt.
Die LINKE will Regierungsverantwortung. Irgendwie. Wie genau, ist unklar, aber so wie es jetzt ist, kann es nicht weitergehen. Alle anderen Parteien – sieht man einmal von der AfD ab – sind dabei, sich miteinander abzustimmen, passen ihre Wahlprogramme an und natürlich ihre Sprache. Die LINKE hat das auch getan, indem sie mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow zwei neue Köpfe an die Spitze gesetzt hat.
Neue Sprache bedeutet aber nicht zwingend bessere Sprache. Während Wissler zumindest nach außen Auslandseinsätze klar ablehnt, ist Hennig-Wellsow da etwas entspannter, man könnte auch sagen: opportunistischer:
Ich kann mir bestimmte klassische Blauhelmeinsätze vorstellen, wie in Zypern beispielsweise.
Und dann folgt der Satz, der grundsätzlich aufhorchen lassen sollte:
Die Linke muss ein klares Bekenntnis zur Verantwortung abgeben.
Das haben wir schon oft gehört, zum Beispiel von Steinmeier und anderen Friedensverächtern, die lieber Verantwortung sagen, wenn sie Krieg meinen. Zu Susanne Hennig-Wellsow kommen wir aber weiter unten noch einmal.
Die LINKE: Ein bisschen Frieden
Während Wissler nach außen kommuniziert, Auslandseinsätze seien grundsätzlich zu beenden und die NATO ein Kriegsbündnis, war der Bundestagsabgeordnete Matthias Höhn anderer Meinung:
Wir haben in den letzten 20 Jahren keinen einzigen Auslandseinsatz verhindert, indem wir von der Seitenlinie die immer gleiche Fundamentalkritik aufs Spielfeld brüllen.
Seitenlinie? Spielfeld? War da nicht mal was?
Genau, Steinmeier sagte schon 2018 zum Syrien-Konflikt:
Wir können einfach nicht bequem an der Seitenlinie stehen, während die Welt in unserer Nachbarschaft aus den Fugen geraten ist.
Abgesehen von der ähnlichen Wortwahl fragt man sich, was genau Höhn sich vorstellt. Regierungsverantwortung und damit die Möglichkeit, Auslandseinsätze zu verhindern? Eine hübsche, aber ziemlich absurde Idee. Der Abschied von dem, was Höhn herablassend „Fundamentalkritik“ nennt, wäre jedoch die Aufgabe an einer bisher recht klaren Haltung. Trotzdem ist es natürlich konsequent, denn Höhn will „aufs Spielfeld“, und wie es aussieht, ist er dafür auch bereit, Prinzipien, die er selbst als „Fundamentalkritik“ bezeichnet, aufzugeben.
Nun kann man sagen, dass Aussagen wie die von Hennig-Wellsow und Höhn nichts an der Grundausrichtung der Partei ändern. Doch ebenso kann man mit Fug und Recht befürchten, dass damit die Grenze aufgeweicht wird – und in Anbetracht der Vorstellung einer Rolle in einer Koalition mit wem auch immer auch weiter aufgeweicht wird.
Auch Gregor Gysi, Rhetoriker und Showmaster, sieht die Sache mit der NATO und den Auslandseinsätzen nicht so eng:
Zur Nato sagte der frühere Partei- und Fraktionschef, seine Partei halte zwar Militäreinsätze für falsch, habe aber nie den Austritt Deutschlands aus dem Bündnis gefordert. Als Nato-Mitglied könne Deutschland zum „Hauptvermittler“ in Konflikten werden.
Im Themenpapier der LINKEN klingt das allerdings etwas anders:
Die LINKE will die NATO auflösen und durch ein gesamteuropäisches kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands ersetzen, um auf diese Weise die Grundlagen für gemeinsame Sicherheit und somit für einen nachhaltigen Frieden in Europa zu schaffen. Ein erster Schritt hierzu ist der Austritt Deutschlands aus den militärischen Strukturen der NATO, denn schon jetzt wird durch diese auf dem Boden der Bundesrepublik bundesdeutsches Recht gebrochen – allen voran durch die Ermöglichung von völkerrechtswidrigen Drohnenmorden, die die USA über eine Relaisstation auf dem US-Stützpunkt in Ramstein durchführen.
Aber Papier ist geduldig, und es ist zu befürchten, dass die LINKE in Sachen „Verantwortung auf dem Spielfeld“ noch die eine oder andere Wendung hinlegt.
Wobei man ehrlich anmerken muss, dass Höhn mit seiner Kernaussage durchaus recht hat. Die LINKE hat es tatsächlich nicht geschafft, Auslandseinsätze zu verhindern. Die Annahme, sie könne das jedoch „auf dem Spielfeld“ schaffen, zeugt von Naivität oder ausgeprägtem Machtwillen. Letztlich ist es ein systemisches Problem, denn wer es einmal geschafft hat, „Verantwortung“ (in welcher Form auch immer) zu übernehmen, ist als Opposition einem Wertverfall ausgesetzt, der einem Neuwagen gleicht, in den man sich einmal hineinsetzt und feststellen muss, dass damit der Preis um knapp die Hälfte in den Keller gerutscht ist.
Wagenknecht, Lafontaine und die kopflosen Köpfe
Doch die NATO und Auslandseinsätze sind nicht das drängendste Problem der LINKEN. Ob, wie oder warum auch nicht sie auf diesen Feldern positionieren, ist für die potenziellen Wähler wahrscheinlich nicht „kriegsentscheidend“, um im Bild zu bleiben.
Eine LINKE, die bei den Wählern Erfolg haben will, braucht Nähe zu ihnen und ihren Themen. Und sie braucht Charismatiker. Beides fehlt der Partei.
Es war, das muss man so unverblümt sagen, Sahra Wagenknecht (und nur Wagenknecht!), die nicht müde wurde, von Talkshow zu Talkshow, von Interview zu Interview, von Buch zu Buch zu schreiten, um immer wieder auf das größte gesellschaftliche Problem hinzuweisen: die soziale Frage. Kaum ein Thema, bei dem sie nicht früher oder später bei Aspekten der ungerechten Verteilung landete, und immer wieder positionierte sie sich klar und eindeutig. Ihre innerpolitischen Gegner machten ihr das zum Teil zum Vorwurf, viel schlimmer aber empfanden sie, die Identitätspolitiker, Wagenknechts Haltung zur Flüchtlingsfrage oder der Integration.
Nun sind es aber gerade die Menschen, die in sozialen Brennpunkten leben, die sich für genau diese Themen interessieren und Multikulti nicht für ein buntes Volksfest, sondern für eine Gefahr ihres Stücks des immer kleiner werdenden Kuchens halten. Während große Teile der LINKEN diese Sorgen grummelnd als politisch nicht korrekt abtun und bei Wein und Käse über das gemeinsame Haus der Welt für alle Menschen fabulieren, sitzen Familien mit Hartz-IV-Bezug beengt in kleinen Wohnungen, die dank der unbarmherzigen Privatisierung des Wohnungsmarktes faktisch überhaupt nicht mehr bezahlbar sind.
Aber ganz abgesehen von den Inhalten der Partei, sie schießt mit jeder Menge Schrot auf deren Köpfe, die etwas bewegen könnten. Neben Wagenknecht, die regelrechte Schlammschlachten erdulden musste und muss, ist nun auch Oskar Lafontaine in den Fokus der Zeigefinger hebenden Käse-Wein-Genießer geraten.
Der soll nach Meinung der saarländischen LINKEN am besten gleich die Partei verlassen. Von Schlammschlachten ist die Rede, und wenn man sich das kurze Statement der LINKEN in Saarland durchliest, bleibt man ratlos zurück. Offenbar sind das aber Interna, die weder mir, geschweige denn den Wählern klar sind. Und mich – und womöglich auch die Wähler – nicht sonderlich interessieren.
Fakt ist, dass die LINKE jetzt also mit Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow in den Bundestagswahlkampf zieht. Und sich damit die Frage lassen muss, ob sie vorhat, die Fünf-Prozent-Hürde zu knacken oder lieber nicht.
Wissler wirkt farblos, bleibt im Ungefähren und scheint niemandem wehtun zu wollen. Und so unentschlossen wirkt sie auch.
Hennig-Wellsow dagegen glänzt durch Ahnungslosigkeit. Tilo Jung führte die LINKEN-Chefin gnadenlos vor, und er brauchte dafür nicht einmal großartige rhetorische Mittel, mit denen er ohnehin nur übersichtlich ausgestattet ist. Für Susanne Hennig-Wellsow aber reichte es (Ab 01:44:00).
Lisa Fitz sagte mir einmal, dass sie ungefähr 180 Mal ihr Programm lernen müsse, bis sie es auswendig kenne, bis es also wirklich sitzt. Bei Hennig-Wellsow muss man zuweilen eher den Eindruck gewinnen, dass sie das eigene Programm möglicherweise 180 Mal gesucht, aber dann doch irgendwie nicht gefunden hat.
Das ist aber nicht einmal der Punkt. Eine Susanne Hennig-Wellsow wird in 1.000 Jahren nicht in der Lage sein, die Menschen mitzureißen und charismatische Reden zu halten. Janine Wissler wird weniger Zeit benötigen, aber im zwei- bis dreistelligen Zeitfenster liegen wir auch bei ihr.
Nun könnte man einwenden, dass Politik aus der passenden Programmatik besteht, nicht aus einzelnen Persönlichkeiten. Doch bei etwas Licht betrachtet ist das natürlich kompletter Blödsinn. Politische Botschaften werden erhört, wenn sie von den richtigen Leuten transportiert werden. Wissler und Hennig-Wellsow brechen beim Transport dieser Botschaften zusammen, bevor der Schall ihre Worte auch nur in die ungefähre Richtung der Empfänger getragen hat.
Linke Russen und die LINKE
Wie opportun die LINKE geworden ist, sieht man auch an der Haltung zu Russland. Zwar schlägt sie sich nicht ohne Wenn und Aber auf die Seite der USA, den Ost-West-Konflikt ordnet sie aber ähnlich oberflächlich und unreflektiert ein wie etwa Robin Alexander oder Claudia Kade.
Auf der Website der LINKEN ist zu lesen:
In den deutsch-russischen Beziehungen herrscht Eiszeit. Vieles daran erinnert an Zeiten des Kalten Krieges. Wo Abrüstung geboten wäre, dominiert auf beiden Seiten verbale und militärische Aufrüstung. Diplomatie und militärische Zurückhaltung sind ins Abseits geraten. Sanktionen und Gegensanktionen bestimmen das Bild. Eine Neuausrichtung der Beziehungen zwischen Deutschland und Russland, zwischen der EU und Russland ist unverzichtbar. Die Verbesserung der deutsch-russischen Beziehungen liegt im Interesse aller friedliebenden Menschen – nicht allein in Deutschland und Russland.
Das hätte Kramp-Karrenbauer auch nicht schlechter sagen können. Seit Jahrzehnten dehnt die NATO sich in Richtung Russland aus, haben die westlichen Länder aktiv in die Ukraine eingegriffen, jetzt ist zwischendurch mal Weißrussland dran, angebliche „defensive“ Militärübungen sind eine klare Bedrohung, die verbalen Attacken grenzen ohnehin schon an so etwas wie Kriegsschlachten. Russland wird verdächtigt, bezichtigt, mit Behauptungen ohne jeden Beweis konfrontiert. Und das nicht etwa seit ein paar Monaten, weil gerade ein Hardliner aus Union oder SPD medial stark präsent ist. Sondern seit Jahren, und das hetzende Personal reicht von den Grünen, über die FDP und die Große Koalition bis hin zu den Grünen und … ja, und: der LINKEN.
Hier „beiden Seiten“ verbale und militärische Aufrüstung zu unterstellen, ist unaufrichtig, man könnte auch sagen: rückgratlos. Allein ein Blick auf die Rüstungsausgaben Russlands und den USA macht deutlich, wie inkonsequent die LINKE sich hier positioniert. Im Jahr 2020 lag Russland bei knapp 62 Milliarden Dollar, während die USA sich die „Verteidigung“ 778 Milliarden Dollar kosten ließ. Dabei ist die EU noch gar nicht mit einbezogen.
Die Oberflächlichkeit der LINKEN kommt auch hier zum Ausdruck:
Die Politik des russischen Präsidenten Putin sehen wir kritisch, insbesondere mit Blick auf die inneren Verhältnisse, aber auch im Hinblick auf die Rolle Russlands in internationalen Konflikten (Syrien, Ukraine). Einseitigen Parteinahmen und Verurteilungen schließen wir uns nicht an. Aber selbstverständlich folgt auch Russland – wie der Westen – in seiner internationalen Politik wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen.
Hoppla! Russland hat geostrategische Interessen? Wer hätte das gedacht? Nun aber ausgerechnet Syrien und die Ukraine anzuführen, grenzt an bewusste Ahnungslosigkeit, da der Westen hier von Beginn an seine Finger im Spiel und am Abzug hatte. Die konkrete Kritik an den inneren Verhältnissen wäre interessant gewesen, aber sei’s drum.
Sicher, die LINKE will einen Dialog, eine neue Entspannungspolitik, und die Ausdehnung der NATO kritisiert sie ebenfalls. Es wirkt jedoch, als fürchte sie sich vor einer klaren Haltung, insbesondere gegenüber den USA. Dass die LINKE keine „einseitigen Parteinahmen“ einnehmen will, ehrt sie. Das schließt aber konkrete Kritikpunkte an den USA, der NATO und der EU nicht aus, im Gegenteil.
Wokeness und ein Vergleich mit den Grünen
Kommen wir zum letzten Punkt dieses Textes: Wokeness und alles, was sich in diese Schublade stecken lässt. Und dieser Begriff ist bewusst gewählt, denn ein schlimmeres Schubladendenken als Wokeness gibt es derzeit kaum.
Auf Telepolis war ein Satz nachzulesen, der das Drama auf den Punkt bringt:
Einer oder eine, die beispielsweise stutzig wird, wenn die Diskussion um soziale Gerechtigkeit sich nicht mehr vordergründig um Mindestlöhne und Reichensteuern dreht, sondern darum, welche Begriffe und Bezeichnungen armen Menschen am ehesten gerecht werden, ohne herabwürdigend zu klingen. Unterprivilegiert, arm, sozial schwach, bildungsfern.
Der Autor, Teseo La Marca, weiß auch, was für ihn bisher links war:
Links standen für mich diejenigen, die in ihrem Gegenüber jenseits aller Distinktionsmerkmale wie Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Kontostand erst einmal den Menschen sahen. Während Rechte in starren Hierarchien dachten, die sie im besten Fall durch wirtschaftlichen Erfolg und im schlimmsten Fall durch Rasse begründeten, sahen Linke nur unterschiedliche Personen mit gleichen Rechten. Dahinter stand die so triviale wie folgenreiche Einsicht, dass ein Mensch auch Jude oder Afghane, weiblich oder homosexuell, beeinträchtigt oder ungebildet oder auch alles zusammen sein kann, ohne dass dies seinen Wert als Menschen schmälern würde.
Der entscheidende Satz ist jedoch im Zusammenhang mit der LINKEN dieser:
Unterprivilegiert, arm, sozial schwach, bildungsfern.
Wie also bezeichnet man Menschen (man spricht ja kaum noch mit ihnen, sondern meist über sie), denen es schlecht geht? Man will schließlich niemanden verletzen, und die Wokeness-Gemeinde steckt tief drin in der Partei. Von medialen Shitstorms ganz zu schweigen.
Das ganze Problem der Identitätspolitik ist das Benennen eines Problems, ohne an der Lösung interessiert zu sein. Denn wer arm, unterprivilegiert, bildungsfern oder sozial schwach ist, leidet weniger darunter, wie man ihn politisch korrekt bezeichnet, sondern weil es ihm schlecht geht. Wenn ich einen Fußgänger nach einem Unfall mit einem Auto auf der Straße liegen sehe, erwartet der nicht, dass ich ihn frage, ob er „verletzt“ oder „verunglückt“ ist. Er braucht Hilfe, Kleinigkeiten können später geklärt werden, womöglich sogar, ob er Mann, Frau oder Divers ist.
Letztlich erinnert die Entwicklung der LINKEN an die der Grünen, die von einer ökologischen Friedenspartei zu einer opportunen Kriegstruppe geworden ist, die die Benzinpreise erhöhen will, obwohl sie weiß, dass darunter vornehmlich die leiden, die ohnehin nichts haben.
Aber es gibt auch einen gravierenden Unterschied: Die Grünen haben ihr Klientel ziemlich sicher, und sie sind in der Lage, anderen Parteien einige Wähler erst vom und sie dann über den Tisch zu ziehen.
Für die LINKE bleibt nicht mehr viel übrig. Ihre Stammwähler wenden sich vermehrt von ihr ab, neue kommen kaum hinzu. So gesehen versuchen die anderen Parteien, ihre Klientel zu halten, während die LINKE krampfhaft versucht, überhaupt wieder eine zu finden.