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Ankündigung einer Maßnahme oder: Wozu das alles?

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„Politik ist ein schmutziges Geschäft.“ Dieser kurze Satz ist eine mehr als gelungene Analyse dessen, was wir erleben. Politik ist nichts, was der Bevölkerung zugutekäme, nichts, was perspektivisch angelegt wäre, um die Zustände heute und in Zukunft zu verbessern. Politik ist Rhetorik, Theatralik, Selbstinszenierung und jede Menge geheucheltes Mitgefühl für wen oder was auch immer.

Als ich heute (am 14. September 2020) auf den NachDenkSeiten die „Hinweise des Tages“ las, wurde mir klar, dass ich eine Pause brauche. Dringend.

Feindschaft und Kriegstreiberei

Mein persönliches Drama begann mit dem Ausbruch der Corona-Krise. Ich konnte zunächst nicht glauben, dass tatsächlich quasi ein ganzes Land über mehrere Monate lahmgelegt wird, mit allen wirtschaftlichen, vor allem aber persönlichen Konsequenzen, insbesondere für all jene, die als Risikogruppen gelten. Doch ich sollte mich täuschen, wie ja allgemein bekannt ist

Was folgte, war der Aufbau einer (man könnte sagen:) Längsfront, die das Land durchzog. Der Auftrag dieser Längsfront war die Diskriminierung möglichst aller Menschen, die von der offiziellen Linie abwichen. Das fing beim kritischen Facharzt an und endete bei der Demonstrationsteilnehmerin in Berlin am 1. oder 29. August, die vielleicht ein Kleid mit Blumen trug, ihr Leben lang SPD gewählt hatte und sonntags gern im Wald spazieren geht.

Statt einen sinnvollen und wichtigen Diskurs zu führen, dessen Erkenntnisse für weitere Entscheidungen enorm bedeutungsvoll hätten sein können, wurde jeder, der nicht „auf Linie“ war, diffamiert, beleidigt und in eine Ecke mit Antisemiten, Rechtsradikalen oder eben Verschwörungstheoretikern gestellt. Man könnte es auch überspitzt formulieren und sagen: Kritiker wurden im übertragenen Sinne „an die Wand gestellt“ und so lange mit Beleidigungen und Verurteilungen überzogen, bis auch der Letzte vornehmlich an ihre Schuld glaubte, statt von der guten, alten Unschuldsvermutung auszugehen. Oder gar ihre Sichtweisen ernst nahm oder zumindest respektierte.

Sollte mir jemand die Frage stellen, was wir aus Corona gelernt haben, kann ich nur sagen: Nichts, wovon ich wüsste. Corona hat alles nur schlimmer gemacht.

Der Russe war’s, der Russe war’s!

Apropos schlimmer gemacht – schlimmer als je zuvor ist auch die allseits gelebte Feindseligkeit gegenüber Russland. Auslöser war (diesmal) der „Fall“ Nawalny, der für einen Großteil von Medien und Politik längst aufgeklärt ist. Beweise sind dafür (abermals) nicht nötig, nicht einmal Indizien. Behauptungen, Vorverurteilungen, Lügen und verkürzte Erzählungen reichen völlig aus, um einen tiefen Graben auszuheben, der früher oder später wahrscheinlich zu tief sein wird.

Ich habe kürzlich ein Video gemacht, das sehr kräftezehrend war. Nicht wegen der Arbeit am Video, die macht mir Spaß. Aber die Grundlage bildete eine Ausgabe von „Anne Will“, bei der Wolfgang Ischinger (Münchener Sicherheitskonferenz), Jürgen Trittin (Grüne) und Norbert Röttgen (CDU) zu Gast waren.

Sie dokumentierten, was derzeit nahezu überall zu verfolgen ist: Russland im Allgemeinen und Putin im Besonderen werden zum Reich und Herrscher des Bösen erklärt, für die die schlimmsten und verstörendsten Titulierungen gerade gut genug sind. Damit wird eine weitere Eskalation nicht nur riskiert, sondern bewusst herbeigeführt.

Um wiederum meinen Kritikern gerecht zu werden, könnte ich jetzt beschwichtigend und rechtfertigend schreiben, dass Putin auch nicht gerade der netteste Mensch auf Erden ist. Aber das mache ich bewusst nicht, denn in erster Linie rechne ich dem russischen Präsidenten hoch an, dass bisher sämtliche Provokationen und Kriegshetze von Kriegstreibern des Westens an ihm abgeprallt zu sein scheinen.

Die Leser können wirklich froh sein, dass ich nicht an Putins Stelle bin. Ich habe nämlich keine Ahnung, was ich an seiner Stelle – und zwar schon vor Jahren – getan hätte, um diesem perversen, verachtenden und oberflächlichen Propagandatreiben ein Ende zu setzen. (Vermutlich hätte ich es aber letztlich doch nicht getan.)

Was auch immer Putin ist, was auch immer an ihm zu kritisieren ist, ich lasse es, weil ich froh bin, dass er derjenige ist, der Russlands Politik steuert. Persönlichkeiten wie Donald Trump, Hillary Clinton, Barack Obama oder auch nur Merkel, die Stiefelleckerin amerikanischer Soldatentreter, hätten längst reihenweise rote Knöpfe gedrückt, wären sie in Putins Lage.

Hinweise, die mein Fass zum Überlaufen brachten

Ich lese die Hinweise des Tages auf den NachDenkSeiten nahezu täglich. Mal berühren sie mich mehr, mal weniger, das ist auch eine Frage meiner Tagesform. Heute aber, am 14. September 2020, legten sie mir die Entscheidung nahe, mich für eine Weile vom Publizieren zurückzuziehen. Es war einfach zu traurig, zu ärgerlich, zu desillusionierend, sie zu lesen.

Julian Assange: Der Mann, der Kriegsverbrechen aufgedeckt hat, wird behandelt wie Hannibal Lecter. Er sitzt hinter Glasscheiben im Gerichtssaal, kann sich kaum mit seinen Anwälten absprechen, er müsste längst in einem Krankenhaus liegen, weil er gesundheitlich extrem belastet ist. Er wurde nachweislich gefoltert, ihm droht der frühe Tod oder ein Leben in Gefangenschaft.

Tut irgendjemand etwas dagegen? Insbesondere von unseren ach so demokratie-beseelten Politikern? Nein, im Gegenteil, Assange wird ignoriert, die Ungeheuerlichkeiten, die an ihm praktiziert wurden und werden, werden, so zynisch das klingt: totgeschwiegen.

Die USA und die Flüchtlinge: Durch ihre verachtende und imperiale Politik sind die USA für mindestens 37 Millionen Flüchtlinge verantwortlich, und das ist noch vorsichtig geschätzt, es könnten auch (das ist nicht unrealistisch) 59 Millionen sein.

Tut irgendjemand etwas dagegen? Nein, nicht mal ansatzweise. Widerlinge wie Alice Weidel und ihre zahlreichen Mitstreiter machen die Flüchtlinge selbst für ihr Schicksal verantwortlich, werfen ihnen Gier nach Handys oder Lust auf die Vergewaltigung deutscher Frauen vor. Und unsere „etablierten“ Politiker schwafeln (oder besser: schwurbeln) darüber, wie man das „Flüchtlingsproblem“ in den Griff kriegt. Immer natürlich auf der Grundlage der „Werte“ unserer „amerikanischen Freunde“, die die Knöpfe drücken, damit Körper hilfloser und unschuldiger Menschen explodieren.

Konzerne schütten Dividenden in der Corona-Krise aus: Die 25 profitabelsten Unternehmen der Welt werden in diesem Jahr 378 Milliarden Dollar an ihre Aktionäre ausschütten – mehr als sie 2020 mutmaßlich verdienen werden. Corona-Krise? Wie denn? Wo denn? Nicht dort, wo das goldene Geschirr nicht in die Spülmaschine, sondern in den Müllschlucker kommt, um sich neues zu kaufen.

Tut irgendjemand etwas dagegen? Natürlich nicht! Wir sprechen hier über Konzerne, die sich faktisch im rechtsfreien Raum bewegen. Warum rechtsfrei? Ganz einfach, weil es niemanden gibt, der diesen und weiteren ausbeuterischen Konzernen das Handwerk legen kann. Sie agieren, wie es ihnen gefällt, und die politisch Verantwortlichen ergießen sich in Rhetorik und Selbstdarstellung.

Beschneidung von Kinderrechten in der Corona-Krise: Kinder haben während der Corona-Episode nichts zu lachen. Ausgerechnet die Kinderkommission des Deutschen Bundestages (Kiko) kommt zum Schluss, dass die Kinderrechte in Deutschland seit dem Ausbruch der Corona-Epidemie mit Füßen getreten wurden.

Tut irgendjemand etwas dagegen? Aber ja doch! Im Februar 2021 sollen erste Ideen präsentiert werden, wie man es besser machen könnte. Da sind wir aber gespannt. Fakt ist jedoch zunächst, dass Kinderrechte seit dem Ausbruch der Corona-Krise faktisch keine Rolle gespielt haben. Darüber müssen also erst mal alle nachdenken. Also, erneut: Tut irgendjemand etwas dagegen? Nein, nein, und nochmals nein!

Ohne Akten geht es auch: Krisenmanager, Corona-Hardliner, Seuchen-Söder – wie auch immer, Markus Söder hat in Bayern aufgeräumt, und zwar mächtig. Er hat es durchgezogen und Maßnahmen beschlossen und umgesetzt, wie sonst kaum jemand. Grundrechte? Aber nicht doch, später vielleicht mal wieder! Allerdings hat Söder es versäumt, das Ganze zu dokumentieren, es gibt keine Akten zu seinen Aktionen.

Tut irgendjemand etwas dagegen? Sicher, der merkwürdige Vorfall soll juristisch geprüft werden. Das kann uns alle nur beruhigen, denn wenn Söder erst einmal in den Fängen der Justiz ist, dann wird es, dann wird es … es wird … in erster Linie eine Ewigkeit dauern. Und in zweiter ganz sicher im Sande verlaufen oder mit einer halben Stunde auf der Stillen Treppe für den kleinen großen Markus enden.

Ein Aufklärer gibt auf: Das ist meinerseits spekulativ, aber ich weiß zumindest, was ich an seiner Stelle machen würde. Fabio de Masi (Die LINKE) wird im kommenden Bundestag nicht mehr sitzen wollen. Er gilt als der Aufklärer von Finanzskandalen, und die „Süddeutsche Zeitung“ schreibt: „Er deckt mal wieder was auf, und die Grünen stauben dazu einen O-Ton in der Tagesschau ab, während sein eigener Laden nicht mitzieht. “Das führt auch zu Kränkungen”, sagt De Masi.

Tut irgendjemand etwas für de Masi? Nein, natürlich nicht. Ich weiß nicht, wie viele Kränkungen er erfahren musste, aber ich ahne, was ihm am meisten zu schaffen machen könnte: Diese Sisyphusarbeit. Man denke nur an Olaf Scholz und seine Verwicklungen im Wirecard-Skandal. An Andreas Scheuer, Ursula von der Leyen und und und. Die Strafen für ihre Verfehlungen liegen nicht etwa auf Richtertischen, sondern sind in Urkunden zu finden, die sie auf die nächste Stufe ihrer politischen Karriere befördern.

Die Liste ließe sich fortsetzen …

Ich könnte weitermachen mit meiner Liste, immer weiter und weiter und weiter. Heraus käme die ernüchternde Erkenntnis, dass sich am Ende nichts ändert. Auch die LINKE, die ohnehin im freien Fall nach unten ist (in der Hoffnung allerdings, es gehe nach oben), deckt immer wieder Skandale auf, formuliert sie scharf und präzise und kann sich freuen, auf den NachDenkSeiten verbreitet zu werden.

Allein, die Wirkung fehlt. Alles, was wir seit Jahren erleben, bleibt ungeahndet, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Erinnert sich jemand daran, wann das letzte Mal ein Politiker zurückgetreten ist oder zurückgetreten wurde? Ich nicht. Stattdessen werden die üblen Gesellen und Gesellinnen befördert, nach Brüssel geschickt oder so lange aus den Medien herausgehalten, bis Skandal X, Y oder UNGELÖST öffentlich keine Rolle mehr spielt.

Um die Abscheu zu dokumentieren, die ich unseren verantwortlichen Politikern entgegenbringe, sei ein letztes Beispiel genannt: die Altersarmut.

Sie ist bereits da, und sie wird weiter über uns herrollen, wird zu massenhaft armen Menschen führen. Und all das, weil die Politik nicht in der Lage und Willens (!) ist, ein System der Altersvorsorge aufzubauen, das Altersarmut verhindert. Die gesetzliche Rente wäre eine ausgezeichnete Grundlage dafür, und auch wenn sie in die Jahre gekommen ist und hier und da „verarztet“ werden muss, ist sie doch das beste Mittel, um für einen gewissen Wohlstand im Alter zu sorgen.

Doch sie wurde angegriffen, verletzt, beleidigt, verunglimpft, als nicht stark genug gebrandmarkt. Dabei ist sie das Beste, was uns passieren konnte, um Altersarmut zu verhindern. Mit dem Drehen an ein paar kleinen Schrauben könnte sie für das sorgen, was ein YouTube-Podcast in seinem Namen trägt: Wohlstand für alle.

Deshalb brauche ich eine Pause

Aus diesen Gründen, und aus noch vielen weiteren, muss ich eine Pause einlegen. Rache ist ein mir unbekanntes Bedürfnis, ich habe noch nie Rachegelüste verspürt (auch wenn das Titelbild so anmuten mag). Aber ich hoffe inständig, dass die, die für die Altersarmut verantwortlich sind und all die anderen Verbrechen begehen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, irgendwann ihren ganz persönlichen Preis zahlen werden. Und dass die unzähligen Opfer entschädigt werden.
Gute Freunde attestieren mir immer mal wieder, ich sei zu sensibel. Und sie haben sicher recht. Aber was soll ich tun, mich greift das, was ich seit vielen Jahren beobachte, einfach an, es belastet mich, und es ist in erster Linie die Tatsache, dass man machen kann, was man will – man kann nichts machen.

Doch, schon. Man kann etwas tun.
Ich zumindest kann eine Pause einlegen.
Und genau das tue ich jetzt.
Lange durchhalten werde ich aber wohl nicht.
Auch das sagen mir regelmäßig gute Freunde.
Ich fürchte, sie haben recht.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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