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Wer schützt uns vor der Lügenpresse?

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Die erste Frage, wenn man heute etwas kundtut, lautet: Darf man das sagen? Meistens eher nicht, und selbst wenn man das vermeintliche Glück hat, sich auf Satire zu berufen, heißt das noch lange nicht, dass man alles sagen darf, weil Satire alles darf. Darf sie nämlich gar nicht, wie wir am Fall Lisa Eckhart sehen mussten.

Ganz anders die Medien. Die dürfen sagen und schreiben, was immer sie wollen. Und wenn man sie dabei ertappt, dass sie lügen, phrasieren sie von bedauerlichen Einzelfällen. Einzelfälle gibt es tatsächlich. Es sind aber die Medienstücke, die mal nicht lügen.

Trotzdem ist es natürlich eine unerlaubte Verallgemeinerung, wenn man unsere Medien Lügenpresse nennt. Erst recht, wenn das von Angesicht zu Angesicht geschieht, wie es Journalistin Dunja Hayali erfahren musste.

Wenn man sich den Zusammenschnitt von Hayalis Video ansieht, fällt allerdings auf, dass die Journalistin offenbar nicht auf die Demo gegangen ist, um Neues zu erfahren oder sich mit den Argumenten auseinander zu setzen, die ihr dort ins Mikro gesprochen wurden.

1. So fragte eine Demonstrantin Hayali, was denn mit den alten Menschen passiert, die am heftigsten unter der Corona-Politik leiden.
2. Ein anderer sagte, ihm sei aufgefallen, dass ein Großteil der Medien seit Wochen (vor der Demo) einseitig berichtet habe.
3. Ein Demonstrant wies auf die erhöhte Zahl von Suiziden hin.
4. Eine Demonstrantin merkte an, dass sie sich freuen würde, wenn in eine ZDF-Talkshow einmal Gäste von unterschiedlichen Meinungen eingeladen werden würden, etwa Ken Jebsen.
5. Ein Demonstrant raunte: „Was erzählt Ihr denn morgen? Dass wir alle Nazis sind und hier nur 400 Leute waren?“

Auf keinen dieser Punkte ist Hayali eingegangen. Im Gegenteil, der Zusammenschnitt war eine plumpe (krude) Mischung selektiver Wahrnehmung, die nichts, aber auch gar nichts annahm, was Hayali von den Demonstranten als Angebot erhielt.

Und so wundert es auch nicht, dass das Video am Ende ein „Best of“ der lautesten Rufe über die Lügenpresse enthielt. Doch ist das wirklich verwunderlich?

Schon im Vorfeld der Demo in Berlin wurden die Mainstreammedien nicht müde, die Veranstaltung von oben bis unten zu diskreditieren und als einen Aufmarsch von Durchgeknallten, Nazis oder gleich durchgeknallten Nazis zu beschreiben. Hayali war Teil dieser Kampagnen, und als sie auf der Demo auftauchte, war sie verwirrt, dass Ihr kein Kuchen präsentiert oder sie mit Bonbons beworfen wurde.

Die Journalistin, die behauptet, dass Meinungsfreiheit wohl nur für die gelte, die sich auf der Demo bewegten, für sie aber offenbar nicht, hat sich an der Verbreitung von undifferenzierten Einordnungen ebenso beteiligt wie an Lügen über die Teilnehmer. Da marschierten – so Hayali – vorne Nazis und hinten Familien, die zwar die Nazis wohl nicht sehen konnten, aber doch langsam mal wissen müssten, wer auf solchen Demos mitlaufe. Wissen müssten diese Familien das, weil – ein anderer Schluss ist nicht zulässig – sie und der Rest der Mainstreammedien doch lange genug darüber berichtet hätten.
Und so gib uns unsere tägliche Hayali-Wahrheit.

Wir schreiben dann mal los …

Das nun folgende Beispiel für die Lügenpresse ist ein vergleichsweise harmloses. Besser wird es dadurch aber nicht. Die „Zeit“ wollte über die Wattwanderung schreiben, die CSU-Supermann Söder geplant hatte. Der Redakteur wirkte, als habe er Söder bei dessen Abreise mit Blumen empfangen. Er schreibt:

Und weil ein Staatsmann gelegentlich danach schauen muss, was andere Staatsmänner so treiben, ist Markus Söder kurz darauf nach Schleswig-Holstein aufgebrochen, um mit seinem Ministerpräsidentenkollegen Daniel Günther eine Wattwanderung zu unternehmen.

Hübsch formuliert. Schade nur, dass Söder in Wahrheit gar nicht aufgebrochen war, um das Watt mit seinen Füßen zu massakrieren, sondern zu Hause bleiben musste, weil es dort eine „kleine“ Panne mit Corona-Testungen gegeben hatte.

Alles kein Problem, keine große Sache? Ja, sicher, aber wer will sagen, wie viele andere Berichte – und zwar mit deutlich mehr Wirkung und Schlagkraft – ebenfalls schon im Vorfeld verfasst wurden?
Wer jetzt behauptet, dieser Fall sei ein Einzelfall, sollte noch mal die Definition des Wortes Einzelfall nachschlagen.

Registriert oder zugelassen?

Deutlich mehr Wirkung erzielte eine andere Lüge des Mainstreams. Als aus Russland verkündet wurde, einen Impfstoff entwickelt zu haben, der gegen Covid-19 eingesetzt werden könne, schrieben alle fleißig voneinander ab und tönten, Russland habe verantwortungslos gehandelt und einen Impfstoff viel zu früh zugelassen. Die dritte Testphase sei noch gar nicht abgeschlossen, der Wirkstoff daher zweifelhaft bis gefährlich.

Das ist meiner Auffassung nach korrekt. Impfstoffe brauchen viel Zeit, um umfassend getestet zu werden. Wer diese Phase verkürzt, muss sich Kritik gefallen lassen. Doch hinter der berechtigten Kritik der Medienvertreter steckt eine Lüge, die – da lege ich mich fest – bewusst verbreitet wurde.

Russland hatte zu diesem Zeitpunkt den kritisierten Impfstoff nicht zugelassen, sondern lediglich registriert. Da zwischen einer Registrierung und einer Zulassung ein wesentlicher Unterschied besteht, haben die Mainstreammedien durch ihre Lüge eine Diskussion mit entsprechend negativen Bewertungen angefacht.

In Anbetracht der Tatsache, dass das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland ohnehin angegriffen ist – auch und vor allem wegen der gleichen Presse, die über einen angeblich zugelassenen Impfstoff schreibt -, ist die weitere Eskalation durch Medien nicht nur die Folge einer Lüge, sondern eine bewusste Hetze, um feindselige Stimmung zu erzeugen.

17.000 Verschwörungstheoretiker in Berlin?

Eine Lüge, die so offenkundig ist, dass man es kaum für möglich halten kann, ist die über die Teilnehmerzahl an der Berliner Demo am 1. August 2020. Schnell hieß es, dass 17.000 bis 20.000 „Verwirrte“ an der Demo teilnahmen. Auch hier war Abschreiben das oberste Gebot.

Das könnte man sogar noch verzeihen, wenn man berücksichtigt, dass im Zeitalter sozialer Medien das Tempo entscheidend ist, mit dem man eine Meldung verschickt. Doch es kam zu keinem Zeitpunkt zu einer Korrektur der falschen Zahlen (Ausnahmen mögen die Regel bestätigen, ändern aber nichts an dem Gesamtbild, das zuvor entworfen wurde).

Und auch vor, während und nach der Demo wurde deren Zusammensetzung konsequent als die von Nazis, Corona-Leugnern, AfDlern und sonstigen Durchgeknallten beschrieben. Eine Lüge also, denn sogar, wenn man annehmen würde, dass wirklich nur 20.000 Menschen unterwegs waren – was einer dreisten Lüge entspricht -, ist die Herleitung, es handele sich ausnahmslos um die „bösen Figuren“, die immer und immer wieder aus dem Hut gezaubert werden, haltlos und unverschämt.

Die Lügen der Extremisten

Eine der großen Lügen des deutschen Mainstreams ist die Einordnung bestimmter Personengruppen in die extremistische Ecke. Es ist nicht neu, dass diese Einordnung besonders auf Veranstaltungen gegen die Corona-Politik der Bundesregierung vorgenommen wird. Neu an der radikalen Form ist allerdings der Extremismus, mit dem die Medien vorgehen.

Sie unterstellen, dass auf Veranstaltungen gegen die Politik der Bundesregierung nahezu ausnahmslos Extremisten von rechts und links zu finden sind. Es ist schon schlimm genug, diese Begrifflichkeiten völlig unreflektiert und ohne weitere Erklärungen zu verwenden. Schlimmer aber ist der Extremismus, der sich im Agieren der Medien zeigt.

Uwe Backers definiert Extremismus als

politische Diskurse, Programme und Ideologien, die sich implizit oder explizit gegen grundlegende Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfassungsstaaten richten.

Genau diese grundlegenden Werte einer (deliberativen) Demokratie werden vom Mainstream mit Füßen getreten (wenn auch nicht erst seit Corona, so doch seitdem besonders radikal). Denn die

deliberative Demokratie betont öffentliche Diskurse, öffentliche Beratung, die Teilhabe der Bürger an öffentlicher Kommunikation und das Zusammenwirken von Deliberation und Entscheidungsprozess. Der Begriff deliberative Demokratie bezeichnet sowohl demokratietheoretische Konzepte, in denen die öffentliche Beratung zentral ist, als auch deren praktische Umsetzung. Wesentliches Kennzeichen einer deliberativen Demokratie ist der öffentliche Diskurs über alle politischen Themen, der auch als „Deliberation“ bezeichnet wird.

Doch dieser öffentliche Diskurs findet nicht statt bzw. er findet statt in extremistischer Form. Da weder der „gemeine“ Bürger in den aktuellen Diskurs mit einbezogen wird, noch Wissenschaftler, die andere als die allgemein vordefinierte Meinung vertreten, sind die „grundlegenden Werte und Verfahrensregeln demokratischer Verfahrensstaaten“ nicht mehr als ein Lippenbekenntnis ohne weitere Bedeutung.

Hier von Extremismus auf Seiten von Demonstranten zu sprechen, zeigt in erster Linie, dass es, geht es nach den Medien, bestimmte Bürger gibt, die am Diskurs (oder besser: an dem, was als solcher bezeichnet wird) teilhaben können, während andere auf einen Platz außerhalb der Gesellschaft, außerhalb der Demokratie verwiesen werden.

Das ist das Gegenteil von Demokratie, das Gegenteil von öffentlichem Diskurs und somit als Gesamtbeschreibung eine Lüge, die der Mainstream verbreitet.

Schwarz auf weiß gelogen

Rufen wir uns noch einmal in Erinnerung, welche Aufgaben die Medien in einer Demokratie eigentlich haben. Und zitieren wir am besten gleich die „Bundeszentrale für politische Bildung“. Die schreibt:

Medien tragen sowohl zur Stabilität des politischen Systems als auch zum stetigen Wandel der Gesellschaft aufgrund aktueller Entwicklungen bei. Dies geschieht, indem Medien über alle wichtigen Bereiche der Gesellschaft, d. h. insbesondere Politik, Wirtschaft sowie Kultur und Soziales
• so vollständig, sachlich und verständlich wie möglich informieren,
• in freier und offener Diskussion zur Meinungsbildung beitragen und
• mit Kritik und Kontrolle durch investigativen (nachforschenden und aufdeckenden) Journalismus begleiten.
Damit nehmen die Medien die Rolle von Vermittlern und Hütern ein.

Was bleibt übrig, wenn man diese schönen Worte mit dem vergleicht, was wir heute erleben? Dass die Medien sich als Hüter verstehen, als Hüter für die Meinung der regierenden Politik, als Hüter von Meinungen, die allgemein als „Wahrheit“ verstanden werden wollen.

Vollständig, sachlich oder verständlich wird dagegen kaum informiert, eine offene Diskussion zur Meinungsbildung findet faktisch nicht statt, und investigativen Journalismus gibt es zwar noch, aber nicht oft, außerdem findet er nur selten die verdiente Aufmerksamkeit.

Die mediale Rolle des Vermittlers dagegen ist heute nur noch blanke Theorie, zumindest wenn man davon absieht, dass Medien gern mal zwischen Politik und Wirtschaft vermitteln und dabei auch gerne das eine oder andere Leckerlie in die eigene Tasche stecken.

„Lügenpresse, Lügenpresse!“

Wohl nie war der Vorwurf der Lügenpresse relevanter als heute. Selbstredend wirkt dieser Text in unangenehmer Form pauschalisierend, doch das ist gewollt. Es ist gewollt, weil die Lüge, das Abschreiben, das staatsnahe Interpretieren des journalistischen Auftrages immer mehr zur allgemein anerkannten Praxis wird. Das Schlimmste daran ist die Tatsache, dass die Medien und Journalisten selbst keinerlei Versuche zu machen scheinen, diesen Konflikt zu benennen oder gar zu lösen.

Deutlich wird das an der Reaktion von Dunja Hayali, die überhaupt nicht verstehen konnte, warum sie in Berlin so angegangen wurde. Selbst der Hinweis eines Teilnehmers, dass die Medien seit Wochen und Monaten gegen die Menschen anschreiben, die sich Gedanken und Sorgen machen, konnte Hayali nicht auf die Idee bringen, dass daran vielleicht etwas dran sein könnte.

Sie und auch Florian Schröder hatten auf den Demos, die sie besucht haben, nichts zu befürchten. Sie wurden herzlich empfangen, auch Dunja Hayali wurde mit lobenden Worten bedacht, weil sie den (vermeintlichen) Dialog suchte und auf die Demo ging, statt nur über sie zu berichten (wobei andere Teilnehmer schon ahnten, wie die Berichterstattung dann aussehen würde).

Und selbst als die Journalisten begannen, die Demonstrationsteilnehmer zu beleidigen und pauschal zu verurteilen (was insbesondere Schröder auf eine üble Weise tat), ging es über Buhrufe oder eben den laut geäußerten Vorwurf „Lügenpresse, Lügenpresse!“ nicht hinaus. Das wäre wahrscheinlich anders gewesen, hätten sie sich auf einer Demo mit Nazis befunden, die angeblich so zahlreich vertreten sein sollten. Tatsächlich kann man die Zahl der Nazis und sonstiger Radikaler getrost vernachlässigen, auch wenn unzählige Medien die Lüge verbreiteten und weiterhin verbreiten.

Im Corona-Zeitalter ist es nicht mehr so, dass man den Vorwurf, die Medien seien Lügenpresse, beweisen müsste. Andersherum wird ein Schuh draus: Der Mainstream ist in der Beweispflicht. Er muss durch Taten zeigen, dass er seinem oben zitierten Auftrag nachkommt.

Davon ist er so weit entfernt wie ein Bankkaufmann, der sich als Virologe aufspielt.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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