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Bitte mehr Einzelinterviews, Frau Maischberger!

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Polit-Talkshows laufen nach dem immer gleichen Muster ab. Einige neoliberale Fratzen grinsen bei ihrer Vorstellung in die Kamera, um dann weit auszuholen und ihre Ansichten in die Runde zu streuen. Doch es geht auch anders.

Ausgerechnet das (nicht mehr ganz so) neue Format von Sandra Maischberger hatte in den letzten Wochen einiges zu bieten. Interessant wird es allerdings – wenn überhaupt – erst, wenn die drei Promis – meist Journalisten – ihre Weisheiten zu den „Gewinnern“ oder „Verlierern“ der Woche abgegeben haben. Denn dann kommen die Einzelinterviews.

Polit-Talkshows sind zum Gähnen

Ob Maischberger, Illner, Will, Plasberg oder Lanz – mit kleinen Abstrichen kann man die Polit-Talkshows in Deutschland getrost im Rundordner verschwinden lassen. Die Moderatoren, die es sich im neoliberalen Kapitalismus sehr bequem gemacht haben, riskieren keine kritischen Fragen, Gäste, die sich außerhalb ihrer eigenen Filterblase bewegen, werden entweder ignoriert, diffamiert oder so oft unterbrochen, dass am Ende keine alternative Botschaft zu der in die Sendung gebrachten mehr Platz hat.

Ausnahmen bestätigen zwar die Regel. So ist es durchaus bemerkenswert, dass Michael Lüders gleich zweimal zu Lanz eingeladen worden ist. Das ist aber nicht viel mehr als ein Alibi, vergleichbar mit der Mainstreampresse, die sich hin und wieder erbarmt, über Julian Assanges Lage kritisch zu berichten oder die Rüstungsexporte der Bundesregierung dokumentiert. Wenngleich es also diese Ausnahmen gibt, so verschwinden sie doch im Wust tendenziöser Berichterstattung und können keine Wirkmacht erzeugen.

Bei Polit-Talkshows ist es ähnlich, und man sieht es daran, dass es zwar oft (wenn auch in der letzten Zeit immer seltener) kritische Gäste gibt, diese aber immer in der Minorität sind. Zudem sind die Neoliberalen längst dazu übergegangen, deren Argumente oft nicht zu entkräften, sondern gleich zu ignorieren. Mit freundlicher Unterstützung der Moderatoren.

Kurzum: Polit-Talkshows sind Bullshit, sie taugen noch am ehesten dazu, darüber zu sinnieren, wer den besten PR-Berater hat. Und hin und wieder entblößt sich argumentativ auch mal jemand. Aber das ist ähnlich wirksam wie die Berichte über Assange oder Rüstungsexporte.

Danke, Sandra!

Das (nicht mehr ganz so) neue Format von Maischberger aber ist erfrischend anders. Wobei die Erfrischung ganz sicher nicht Sandra Maischberger zuzuschreiben ist, auch wenn sie erheblichen ungewollten Anteil daran hat.

Ich erinnere an die Sendung vom 12. Februar 2020, in der nach dem Debakel von Thüringen Bodo Ramelow zu Gast war. Maischberger, die inzwischen auf Face-to-Face-Interviews setzt, hat versucht, die Situation in Thüringen Ramelow in die Schuhe zu schieben. In den Mainstreammedien wurde sie dafür gefeiert, sie sei standhaft gewesen und hätte es Ramelow so richtig schwer gemacht.

Leser mögen sich das Interview anschauen, um sich selbst ein Bild zu machen. Aber für mein Empfinden hat Ramelow Maischberger gnadenlos auseinandergenommen.

Dabei geht es mir gar nicht um die Argumente, die Maischberger versucht hat, wirksam zu platzieren (die waren sowieso eher schwach). Mir geht es vielmehr darum, dass Ramelow sich zur Wehr gesetzt hat, und zwar in einer Art und Weise, die den meisten Politikern heute längst fehlt. Ramelow stand natürlich noch unter dem Einfluss der Abstimmung in Thüringen, aber er ließ sich nicht einreden, was Maischberger ihm einzureden versuchte.

Die Hoffnung, dass Journalisten in Polit-Talkshows wirklich kritisch gegenüber der herrschenden Politik sind, kann man getrost aufgeben, von den oben genannten Ausnahmen abgesehen ist da schon lange nichts mehr zu erwarten. Aber es war schön zu sehen, wie Ramelow Maischberger auf ihren „billigen Klamauk“ hingewiesen hat und es sich nicht nehmen ließ, die Art und Weise der Interviewführung anzuprangern.

Selbst bei vielen Linken (die ich zuweilen immer weniger verstehe) machte sich nach dem Auftritt bei Maischberger Kritik breit. In den sozialen Medien wurde Ramelow als peinlich eingeordnet, der nicht souverän mit einer kritischen Journalistin umgehen könne.
Aber gehört zur Souveränität nicht auch, sich nicht von jeder Provokation einschüchtern zu lassen? Gehört zur Souveränität nicht auch, die Lage so zu beschreiben, wie man sie selbst wahrnimmt? Gehört es nicht zur Souveränität dazu, nicht automatisch einen Knicks zu machen, wenn eine Fernsehjournalistin ein unsouveränes Interview führt?

Ach, und: Danke, Kevin!

Erwähnenswert ist auch die Maischberger-Sendung vom 4. Dezember 2019, in der Kevin Kühnert zu Gast war.

Auch hier unternahm Maischberger den Versuch, Kühnert (wie später dann auch Ramelow) bloßzustellen und in eine bestimmte Ecke zu rücken. Kühnert reagierte ebenfalls souverän, und durchaus aggressiv und maßregelnd.

In beiden Fällen wurde das als arrogant interpretiert, aber beide Fälle zeigen, woran es mangelt. An kritischen Gästen aus der (mehr oder weniger) linken Ecke. An Gästen, die sich nicht am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, sondern sich zur Wehr setzen, wenn das Interview eine tendenziöse Richtung nimmt.

Kevin Kühnert hat diese Tendenz erkannt (wahrscheinlich besser, als der noch immer emotional angefasste Bodo Ramelow), er hat darauf reagiert, indem er Maischberger deutlich gemacht hat, dass er ihr Spiel durchschaut.

Im Einzelinterview können kritische Gäste punkten

Sowohl Kevin Kühnert als auch Bodo Ramelow haben gezeigt, dass sich kritische Geister in Polit-Talkshows eben nicht ausnehmen lassen müssen wie die Weihnachtsgänse. Wenn es schon keine Möglichkeit gibt, Polit-Talkshows zu unterbinden (sie sind Teil der Medienpropaganda und daher unverzichtbar für die herrschende Klasse), so ist es doch umso wichtiger, dass sich kritische Geister finden, die die platten Methoden der Meinungsbildung und Manipulation durchschauen und darauf mit Wut und Emotionen reagieren.

Wut und Emotionen kommen nämlich auf der politisch linken Seite kaum noch vor. Weil alle immer ganz sachlich und vernünftig sein wollen.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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