Das Grundgesetz soll das Klima retten. Nachdem die Grünen den Vorschlag machten, das Klima in die deutsche Übergangsverfassung zu drucken, liebäugelt nun auch Markus Söder mit dieser Maßnahme. Kann man machen – aber ein Blick auf die Verfassungsrealität lässt ahnen, dass das wohl kaum nutzen wird.
Nun hat also auch Markus Söder das Lieblingsthema der Grünen für sich entdeckt. Neu ist das nicht, als er vor Jahren von Seehofer zum Umweltminister von Bayern ernannt wurde – böse Zungen nannten diese Ernennung eine »Kaltstellung« -, hat er gerne am grünen Rand gefischt und bei den Grünen Themen geklaut. Schnell hatte der Mann im Freistaat den Ruf eines Umweltschützers weg. Im konservativen Milieu Süddeutschlands reicht für so eine Einschätzung zuweilen schon, einfach schon den schlechten Einfluss des Menschen auf Natur und Klima nicht zu leugnen. Jetzt hat er es wieder so gehalten: Auch er möchte, dass der Klimaschutz ins Grundgesetz hineinnovelliert wird.
Wenn man den politischen Verantwortlichen so zuhört, könnte man momentan fast zu der Annahme gelangen, dass die klimatischen Veränderungen eine reine Folge einer Verfassungskrise seien. Weil im größten aller Regelbücher nicht kein Kapitel über den pfleglichen Umgang mit der Umwelt zu finden ist, sei quasi alles aus dem Ruder gelaufen. Der Mensch ist halt so einfach zu steuern: Er braucht nur eine Gesetzeskladde.
Alles was im Grundgesetz steht
Das ist natürlich zynisch – »polemisch« wie man das im Duktus des Hochamtes deutscher Politik auch nennt: Im Talkshowstudio. Da wird so ein spielerischer Umgang mit den Inhalten, die dort breitsalbadert werden, nicht sehr geschätzt. Mit der Polemik, dass unser Grundgesetz die Lösung aller Probleme sein könnte, weil man das ja schon am Umgang mit der Menschenwürde oder den Passus vom »sozialen Staat« sehen könne, kommt dort keiner auch nur drei Schritte weiter. Das lässt der Stichwortgeber gar nicht erst zu; es schickt sich nämlich nicht polemisch zu sein in unserer satirischen Politik.
Man muss schon abweichen, sich Alternativen suchen, ja alternative Wahrheiten bemühen, um andere Deutungen und Interpretationen zu lesen. An dieser Stelle also: Willkommen bei uns. Kürzlich hat erst einer von Enteignungen gesprochen. Das war ihm im Anflug eines kühnen und kühnertschen Euphoriegefühles entfleucht. Prompt hatte er die Sittenwächter an der Backe. Und das, obgleich er auf den Spuren des Grundgesetzes euphorisierte. Spielte aber keine Rolle, man las dem kleinen Provokateur die Leviten. Was ich eigentlich sagen will: Das Grundgesetz ist geduldiges Papier. Da stehen Sachen drin, die diese Republik nicht mal tangieren. Es sagt bloß keiner laut.
Ob nun Hartz IV und Totalsanktionierung, ob der Umgang mit sensiblen Daten beim Thema Sicherheitspolitik oder gewisse Aspekte, die die Menschenwürde und Bürgerrechte auf andere Weise betreffen: Aus dem Grundgesetz ergibt sich, dass gewisse Vorgänge in unserem Alltag so nicht verfassungsgemäß sein können. Trotzdem finden wir sie in dem Ausschnitt der Welt, den wir Deutschland nennen. Es gehört zum Sport unserer zeitgenössischen Politik, Gesetze zu erlassen, die vor dem Verfassungsrichter landen und dort beanstandet oder kassiert werden. Oft sind da formulierte Rechtspraktiken darunter, die schon vorher als unhaltbar galten. Gejuckt hat es aber keinen, den was im Grundgesetz steht, das heißt am Ende noch lange nichts.
Die tun was!
Aktuell hat das Grundgesetz aber mal wieder einen Stein im Brett. Es ist chic, es als Präambel für mehr Klimaschutz anzuführen. Ganz gleich, wie man sonst in Kreisen der Politik mit unserer Übergangsverfassung umgeht. Auf diese Weise kann man nämlich eine ganze Weile so tun, als habe man sich der Sache ernsthaft angenommen. Keiner kann den Beteiligten so vorwerfen, dass sie nichts täten. Denn sie sind schwer mit der ganzen Materie beschäftigt. Wenn es dann irgendwann im Grundgesetz steht, geht es sicherlich aufwärts, dann werden die Sommer wieder kühler, die Winter wieder kälter und Berlin drohen in 80 Jahren keine sizilianischen Zustände. Jedenfalls was das Wetter betrifft, die Infrastruktur könnte allerdings ins Mezzogiorno abgleiten.
Dann wird es mal wieder richtig Sommer. Ein Sommer, wie er früher einmal war. So mit Regen zwischendrin und auch mal Kühle – und nicht so trocken und so brennend heiß wie in den letzten Jahr’n. Einfach weil dann alle reinschauen in den GG-Artikel und sagen: »Aha, ich muss weniger mit dem Auto fahren, steht ja indirekt hier drin.« Firmen hören dann auf CO2 zu fabrizieren und Flughäfen machen dann grundgesetzbedingt nur noch drei Tage die Woche auf. Ich weiß, das ist schon wieder Polemik. Aber nur so hält man es aus, wenn man von Menschen regiert wird, die keinerlei Praxisbezug haben.
Ich will das Grundgesetz ja überhaupt gar nicht als völlig sinnlos abtun. Ist es ganz und gar nicht. Im Gegenteil, es ist besser als sein Ruf im Heer der Politikverdrossenen. Ich halte es für die beste Idee, die diese Demokratie zu bieten hat. Es ist aber freilich auch kein Allheilmittel oder die Formel eines Zaubertrankes oder so. Mit dem Grundgesetz alleine kann man keine innere Ordnung herstellen, es dient ohnehin quasi als Erdung für alle anderen Gesetze, die es im Lande so gibt. Wer jetzt mit diesem Klima-ins-Grundgesetz-Vorschlag hausieren geht, macht Symbolpolitik und weiter nichts. Klimaschutz braucht Gesetze und Regeln und nicht Artikel ohne Alltagsverwertbarkeit.
Kinder, Kinder, dieses Klima
Überhaupt glaube ich aber, dass es ist wie bei jener Debatte, nun auch Kinderrechte ins Grundgesetz zu stanzen. Sind die den wirklich notwendig? Dort steht doch schon drin, dass die Würde des Menschen unantastbar sein sollte. Was heißt sollte? Sein muss. Auch wenn das Konzept Würde heißt, meint es nicht den Konjunktiv. Dass hat demnach gleich zu sein. Bis dato war ich der Ansicht, dass Kinder auch Menschen sind und außerdem unter den Begriff »jeder« fallen. Wäre da das »geschützte Kind« nicht doppelt gemoppelt?
Mit dem Klima sehe ich das ganz ähnlich. Ergibt sich aus dem Repertoire, das das Grundgesetz bietet, nicht auch so ein adäquater Klimaschutz? Man kann enteignen, wenn es dem »Wohle der Allgemeinheit« dient. Und: »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« Na, das ist doch schon mal was! Außerdem lässt sich aus den Grundrechten ein Recht auf Unversehrtheit des Subjekts ableiten. Das macht die Sache noch runder. Mit den Rechten der hier lebenden Bevölkerung kann man konkreter am Klimaschutz arbeiten, als mit einem Klima, das in China genauso existiert wie hier.
Aber je länger sich die Debatte ins Grundgesetzliche hinzieht, desto weniger müssen Konzerne und Konsumenten das Gefühl haben, dass die ganze Sache etwas mit ihnen zu tun haben könnte. Es ist ja ein Rechtsproblem und Juristensorge. Indes bin ich dafür, dass wir aus dem, was das Grundgesetz hergibt, einige gesetzliche Maßnahmen und Verbote entwerfen, die dem Klimaschutz dienen. Es ist doch alles da. Das Grundgesetz ist ja kein rechtsfreier Raum. Bevor wir aber anfangen, möchte ich bitte, dass man das Verbot von Scheindebatten ins Grundgesetz aufnimmt. Erst wenn es dort steht, sind wir vor Söder und Kollegen sicher.