Die SPD ist führungslos. Das ist die Chance, für die kürzlich von Oskar Lafontaine in Aussicht gestellte Vereinigung von Sozialdemokraten und Linken. #Aufstehen war ein Rohrkrepierer – die SPD ist das Vehikel für eine Linksalternative.
Vor einigen Wochen hat Oskar Lafontaine über einen Zusammenschluss der Sozialdemokratie und der Linkspartei sinniert. Neu sind seine Ansichten dazu nicht, für ihn war die Linkspartei stets ein Behelf, seiner ehemaligen Partei einen außerparteilichen linken Flügel zur Seite zu stellen. Eine Fusion des normativ linken Lagers war dabei zwar nicht erklärtes Ziel, wurde aber auch nicht grundsätzlich zu den Akten gelegt. Gerade jetzt, da die SPD darbt wie nie zuvor in den an Darben nicht armen letzten Jahren, bestehen vielleicht Anreize für ein Zusammengehen.
Man muss nichts übers Knie brechen. Aber ohne eine perspektivische Fusionsbereitschaft wird das linke Lager über Jahre keine Aussichten haben, die politische Deutungshoheit, vulgo: die Macht, an sich zu reißen. Als Stratege kann Lafontaine das Thema zu einer solch günstigen Stunde nicht unkommentiert lassen. Die Linken im Lande sollten sich langsam mit der Perspektive vertraut machen, beide Parteien zu verschmelzen. Tun sie es nicht, ist dies womöglich das Ende ihrer Geschichte.
Feindliche Übernahme – jetzt!
Die Gelegenheit ist günstig. Die SPD startet ein Casting. Wer will, darf sich als Gespann oder mit einer Gruppe für den Vorsitz anmelden. Die etablierten Sozialdemokraten, die die Partei in den letzten Jahren massiv heruntergewirtschaftet haben, lassen die Finger davon. Ob sie sich nicht trauen, endlich eingesehen haben, dass sie keinen Wählerinnen und Wähler mehr ansprechen oder einfach nur taktisch zurückhaltend sind, ist schwer einzuschätzen. Diese Gelegenheit wäre günstig, um jemanden an der Spitze zu etablieren, der sich auf die Ursprünge der Partei, nämlich auf ihre sozialdemokratische Herkunft konzentrierte.
In den letzten Wochen und Monaten sind viele Sozis ausgeschieden, die als Parteivorstand diese Wende hätten bewirken können. Marco Bülow und Nils Heisterhagen sind ausgetreten. Ralph T. Niemeyer ist nach Eintritt schon wieder ausgetreten und versuchte kurzzeitig bei den Kommunisten unterzukommen. Niemeyer hatte vor zwei Jahren genau aus diesem Grund die Partei gewechselt, ging von den Linken zu den Sozialdemokraten, um dabei zu helfen, die alte Tante wieder auf sozialdemokratischen Kurs zu bringen.
Diese Resozialdemokratisierung ist der erste Schritt dazu, das linke Lager wieder zu vereinen und es schlagkräftig zu machen. Der heutige Zustand ist ein Notbehelf, entstanden in einer Zeit, da innerhalb der SPD Verwerfungen stattfanden und linke Impulse versandeten. Diese etablierte Spaltung der Linken ist keine Chance, keine belebende Koexistenz, sondern eine Bürde. Die schwarze Republik bleibt fortbestehen, wenn sich links keine Einheit einstellt.
Spaltung ist ein künstlicher Zustand, der behoben gehört
Schon 2015 wies der Journalist und Autor Albrecht von Lucke in seinem Buch »Die schwarze Republik und das Versagen der Linken« darauf hin, dass die Teilung des linken Lagers ein künstlicher, ja unnatürlicher Zustand sei, der aufgehoben gehört. Er animierte die Linkspartei dazu, sich realpolitischer einzustellen, ihre Stellung als reine Pazifismus- oder Hartz-IV-Partei aufzugeben. Den Sozialdemokraten empfahl er indes, den Agenda-Block nicht einfach nur hinter sich zu lassen, sondern ihn so zu reformieren, dass das Label »sozialdemokratisch« wieder passt. Koalitionen mit der Union sollten die Genossen tunlichst vermeiden.
Ohne einen Zusammenschluss, ohne eine Einheitspartei, die sich unter der Fahne der SPD neu formiert, so schrieb von Lucke, könne die schwarze Republik, diese »konservative Revolution« kein Ende finden. Die Hoffnung auf eine Reunion sei demnach kein Frevel, wie das Parteigänger beider Lager teilweise sehen, sondern eine politische Grundvoraussetzung.
Oskar Lafontaine war das immer bewusst. Die Linkspartei war gewissermaßen der ausgelagerte linke Flügel seiner Sozialdemokraten. Eine Art moderner USPD, die nicht ewig Bestand haben konnte. Als Zugkraft hat sie nie die Massen mobilisiert, blieb immer ein wenig, teils stark hinter den Erwartungen zurück. Die Zeiten für linke Alternativen zum neoliberalen Konzept und zum neokonservativen Rollback, waren nie so reif wie in den letzten beiden Jahrzehnten. Während die SPD aber eine falsche Kompromissfähigkeit anbot, hielt sich die Partei der Linken in etwa bei einem Zehntel der abgegebenen Stimmen auf. Da bewegte sich nur dezent was vor oder zurück. Das Zugpferd für eine linke Renaissance kann daher nur die hoffentlich bald genesene SPD sein.
Die SPD ist das einzig Vehikel mit Erfolgsaussichten
Die SPD abhaken, sie endgültig aufgeben? Natürlich kann man diese Reaktion aus dem linken Lager verstehen. All der Spott, der Hohn und die Verkündigung des Abgesangs. Doch im Grunde ist es zum Heulen. Denn ohne Sozialdemokratie wird es keine linke Alternative geben. Auch wenn sich die SPD ständig und nachhaltig unter die 20-Prozent-Hürde katapultiert: Die Linkspartei wird deswegen nicht eins zu eins anschwellen. Sie kann nicht als der alleinige Träger einer neuen linken Perspektive betrachtet werden. Sie braucht die Sozialdemokratie und deren alte Parteistrukturen, Netzwerke und den Habitus des Traditionellen.
Mit jedem Tag, den die SPD in der GroKo vergeudet, wird einem bewusster, wie dringlich wir eine Sozialdemokratie benötigen, die sich ihrer Aufgabe bewusst ist. Die SPD abhaken: Nichts wäre im Augenblick vermessener. Wenn man aufgehört hat, um sozialdemokratische Inhalte und eine sozialdemokratische Organisation zu kämpfen, hat man aufgegeben. Dann ist da keine Alternative mehr. Nur noch eine, die sich so nennt, aber keine darstellt. Dass es momentan nicht mit und auf Dauer nicht ohne die SPD geht: Das ist unser Dilemma.
Es wird daher Zeit, dass sich die Linken als außerparteilicher linker Flügel der SPD begreift. Einer perspektivischen Fusion sollte man sich nicht grundsätzlich verweigern. Ein starkes linkes Lager ist nur so vorstellbar. Den »Narzissmus der kleinen Differenzen« (Sigmund Freud) kann es sich auf keinen Fall weiterhin leisten. Wenn es künftig »einen Großteil ihrer Energie auf Ausgrenzungs- und Abgrenzungsarbeit [verwendet], [diese] recht erfolgreiche Selbstzersetzungarbeit«, wie es Rainer Mausfeld mal auf den Punkt brachte, so wird es sich entbehrlich machen. Dabei ist eine linke Alternative unentbehrlich. Ohne ein zumindest ins Auge gefasstes Zusammengehen, werden sich beide Parteien weiterhin fremdbleiben und ihren historischen Auftrag verpassen.