Ich specke ab!* Nicht, dass ich weniger essen würde. Oder gar gesünder. So weit kommt‘s noch! Aber ich werde meinen Nachrichtenkonsum ändern. Mir nicht mehr mit bloßen Fingern alles einverleiben, was mir vor die Flinte oder den Bildschirm kommt. Nein, damit ist jetzt Schluss, ab jetzt wird selektiert, und ich weiß auch schon, was dabei herauskommt: sehr wenig und extrem viel.
Ausschlaggebend für meinen Entschluss war neben einer gewissen Form der Selbsterkenntnis die Lektüre eines Buches mit dem Namen „Wenn man weiß, wo der Verstand ist, hat der Tag Struktur“ von Alexander Unzicker. Ein lesenswertes Buch, wie ich finde. Dazu wird es mit dem Autor demnächst auch einen Podcast geben.
Irgendwann stieß ich auf die Frage, welche Nachrichten wir täglich so konsumieren. Und wie viele. Zumindest die zweite Frage konnte ich für mich nicht beantworten. Mein Tag beginnt meist mit der Lektüre der „Hinweise des Tages“ auf den NachDenkSeiten. Oft habe ich danach eigentlich schon genug. Krieg, Korruption, Skandale welcher Art auch immer, Politiker, die mal wieder Thesen aufstellen oder Forderungen von sich geben, die aufregen, keine Frage. Ja, das können sie. Julia Klöckner, Ursula von der Leyen, Andrea Nahles, Jens Spahn, Paul Ziemiak oder Horst Seehofer. Dann irgendwas von Angela Merkel (eher selten, sie tut sich mit dem Reden ja schwer), vielleicht etwas Drolliges von Philipp Amthor, und ich denke: Scheiße, wenn der für meine Zukunft zuständig ist, wird das eine kurze Nummer.
Weiter geht‘s in Richtung Facebook. Jetzt kommen Nachrichten von „Welt“, FAZ“, „Zeit“, „taz“, „Süddeutscher Zeitung“ und – als Krönung, weil Facebooks Algorithmen dumm wie Brot sind – der „Bild“ hinzu. Da wird es dann deutlich profaner: Modells, die zunehmen wollen, Frauen, die abnehmen wollen, Unfälle mit Rollschuhen, Berechnungen darüber, wie gesund Diesel im Grunde doch ist, Abhandlungen von Mario Barth, die das belegen, der Beweis, dass Elektroautos bei Dackeln Depressionen auslösen können, Experten, die die Gefährlichkeit von Fachleuten thematisieren oder Fachleute, die behaupten, dass Experten keine Ahnung haben, Fachexperten, Expertisen, weiße Riesen, schwarze Löcher, grüne Oasen, graue Bereiche, blaue Teenager, rote Sozialdemokraten, braune Nationalisten, lauter Farbloses eben. Im Prinzip bin ich längst überfordert, satt und doch hungrig. Hungrig nach Informationen, nach Meldungen, Nachrichten, die mich weiterbringen, doch da ist nichts. Nicht ein Grundrauschen ohne Hintergrundgeräusch.
Ich will das nicht mehr. Alexander Unzicker stellt die Frage, welche Nachrichten, die wir täglich konsumieren, eigentlich bedeutend sind, also Auswirkungen haben, von denen wir etwas spüren. Oder die uns gedanklich zumindest nachhaltig beschäftigen. Ich sehe davon immer weniger. Stattdessen Shitstorms, Stürme der Entrüstung, weil jemand etwas Provozierendes oder besonders Dummes sagt (gern als Variation von beidem), Stürme im Wasserglas, Stürme vor Küsten, Stürme der Liebe oder Stürme, die Namen haben, „Kevin“, „Paul“ oder „Werner“, seit einiger Zeit aber auch – Gleichberechtigung ist ja auch wichtig – „Saskia“, „Paula“ oder „Chantalle“.
Ich denke darüber nach, ob ich jetzt Gender-Sternchen oder das Binnen-i verwenden muss, ob Toiletten für das dritte Geschlecht eine neu Ära der Demokratie einleiten, ob Weinköniginnen zwingend Nullen beim Twittern sein müssen, ob Glasflaschen besser als Plastikflaschen sind und ob die Ankündigungen der Bundesregierung, jetzt endlich mit dem Bundesregieren anzufangen, glaubwürdig sind oder durchdacht werden müssen.
Ich komme zum Schluss: Nee, lass mal, ist alles schon tausendfach durchgekaut worden, führte aber zu keinen Erkenntnissen. Stattdessen wählen die Leute bei der nächsten Landtagswahl oder gar Bundestagswahl wieder SPD, CDU, Grüne und FDP.
Und dann erkenne ich den Zusammenhang, schlage die Hände über dem Kopf zusammen und denke: Ja, herrjeh, was soll‘s! Selbst die Mainstreammedien decken fast täglich ungeheure Zustände auf (wenngleich sie diesbezüglich schon lange nicht mehr die Spendierhosen anhaben), schreiben über Skandale und Rechtsbrüche, und die alternativen Medien kommen mit Informationen über Kriegsverbrechen und Korruption um die Ecke. Es nützt alles nichts. Von den schon angesprochenen Stürmen der Entrüstung abgesehen, ist da nichts, was mir den Eindruck vermitteln könnte, dass wir, das Wahlvieh, auch nur das geringste Interesse daran haben, etwas zu ändern, und sei es nur durch unser Kreuzchen, das wir alle vier Jahre auf einen Zettel kritzeln. Und aus lauter Rache wählen wir sie immer wieder, damit die Stühle, auf denen sie sitzen, nicht abkühlen.
Ich reduziere mich künftig auf ein Minimum an Nachrichten. Und auf ein Minimum dessen, was Kommentatoren in den sozialen Medien dazu absondern. Das schließt mich natürlich mit ein. Ich werde meine Texte oder Podcasts weiterhin publizieren, täte ich das auch nicht mehr, was bliebe mir noch, es ist meine Leidenschaft.
Aber einen großen Teil dessen, was Leiden schafft, werde ich reduzieren, immer mit der Fragestellung: Hat das, was ich jetzt lese oder höre, mehr als eine Stunde Bedeutung für mich? Wenn nicht, gestalte ich meine nächsten 60 Minuten besser anders.
Anders, besser.
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* Sorry, Roberto, mein Freund, aber nach Deinem wundervollen Text Dick im Geschäft musste dieser Seitenhieb einfach sein.