Die Versprechen, Wachstum sei das Allheilmittel zur Aufrechterhaltung unseres Wohlstandes, ist auf lange Sicht unmöglich einzuhalten. Sagen die Kritiker dauerhaften Wachstums. Schließlich seien die natürlichen Ressourcen irgendwann verbraucht, spätestens zu diesem Zeitpunkt sei das Ende des Wachstums erreicht. Doch das stimmt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht*. Besser macht das die Lage aber auch nicht, insbesondere für Menschen, die im sozialen Bereich arbeiten. Denn die tragen zum Wachstum nur indirekt bei. Doch das größte Problem ist ihre fehlende Produktivität.
Alle scheinen es zu wissen: Wir brauchen mehr Pflegekräfte, müssen in Bildung und Kindergärten investieren, benötigen ein funktionierendes Gesundheitssystem in Krankenhäusern. Doch die Politik tut sich schwer mit konkreten Maßnahmen, und ein Jens Spahn, der letztlich nur ein mehr oder weniger inkompetenter Verwalter seines Amtes ist, das zuvor andere auch nicht in den Griff gekriegt haben, besticht durch wenige, wenig durchdachte und oft spontane Aktionen, oder eher: durch publikumswirksamen Aktionismus.
Die Situation im sozialen Bereich ist seit Jahren brisant. Die Tatsache, dass Pflegekräfte fehlen, Lehrer oft in den Ruhestand gehen, ohne dass ihre Stellen nachbesetzt werden (können) und dass Erzieher immer mehr zur Mangelware werden, beschäftigt Gesellschaft und Politik. Letztere Gruppe gelobt Besserung, mal in der Pflege, so wie derzeit, mal bei den Erziehern und mal bei den Lehrern. Interessant dabei: selbst der (neo)liberalste Politiker neigt nicht dazu, diesem augenscheinlichen Mangel zu widersprechen (käme in der Öffentlichkeit aber auch nicht so gut an). Dennoch sind die bisher geleisteten Maßnahmen schwach bis ungenügend, und alle Versprechen, ab jetzt die Lage zu verbessern, ertrinken in wässrigen Rhetorikblasen. Der Grund ist denkbar einfach: der soziale Bereich widerspricht in weiten Teilen der Religion des Wachstums. Und der Produktivität.
Der soziale Bereich: das Gegenteil von Wachstum
Der allgemeine Tenor ist klar: die Wirtschaft muss wachsen. Wir müssen die natürlichen Ressourcen so effizient ausbeuten, dass sich unser Lebensstandard nicht nur aufrechterhalten, sondern verbessern lässt. Die Tatsache, dass eben jene natürlichen Ressourcen irgendwann verbraucht sind, scheint ein Problem zu sein, doch darum kümmern wir uns später, wenn es soweit ist. Für den Moment ist noch genügend da, und die nachfolgenden Generationen können sich ja um die Lösungen bemühen, die wir heute noch nicht haben, weil das Problem noch nicht akut genug ist.
Und tatsächlich – das mit dem Wachstum funktioniert noch relativ gut (auch wenn wir ganz schnell vor einem weltweiten Desaster stünden, wenn es allen Ländern gleichermaßen gut ginge, die Ressourcen wären ganz schnell am Ende). Die Wirtschaftsleistungen der reichen Länder entwickeln sich positiv, das Bruttosozialprodukt (BIP) in Deutschland beispielsweise neigt den Blick weiterhin nach oben, die Produktivität steigt ebenfalls. Das Wachstum scheint also in Stein gemeißelt, und solange sich das nicht ändert, gibt es wenig Grund, etwas zu ändern.
Und genau das ist das Problem des sozialen Bereichs. Denn allein die Betreuung und Erziehung von Kindern fraß zum Beispiel im Jahr 2012 vom Bruttosozialprodukt 0,7 Prozent auf. Andererseits tragen Eltern, die erwerbstätig bleiben, zum Wachstum des Bruttosozialprodukts bei. Aus wirtschaftspolitischer Sicht macht es also Sinn, wenn Eltern möglichst früh nach der Geburt ihres Kindes wieder arbeiten gehen, während Erzieher, die ein Teil der sogenannten „frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung (FBBE) sind, möglichst nicht zu teuer werden sollten, da sie das BIP zwar auch mitgestalten, aber auch belasten. Das müssen sie gewissermaßen bezahlen.
Grob gesagt kann man feststellen, dass der soziale Bereich insgesamt dem Wachstumsgedanken widerspricht. Sicher, die Privatisierungen von Krankenhäusern, Kindergärten oder Pflegeheimen sichert den Betreibern – je nach Ausgestaltung – üppige Renditen. Aber in erster Linie geht es darum, die staatlichen Mittel auf ein Minimum zu reduzieren, die Ausgabenseite also auf die private Wirtschaft zu verschieben und mit den sich daraus ergebenden Problemen – wie etwa unterirdische Bezahlung – nichts mehr am Hut zu haben. Außer eben regelmäßig in Wehklagen zu verfallen und fehlendes Personal, überforderte Mitarbeiter und skandalöse Unterbezahlung anzumahnen. Am Rande werden dann auch hier und da die erwähnt, die unter der Privatisierung leiden: Kinder, Kranke, Alte.
Doch, um es nüchtern und kaltherzig zu formulieren: der soziale Bereich kostet mehr, als er einbringt. Es ist daher kein gesamtwirtschaftliches Interesse, die Betreuung, Versorgung oder Gesundung von Menschen übermäßig finanziell zu fördern. Deshalb wird die Personaldecke dünner, die Bezahlung schlechter, die Belastung der Arbeitskräfte im sozialen Bereich höher. Wer im sozialen Bereich arbeitet, trägt im Denken von Unternehmen und Wirtschaftspolitik zur Produktivität nichts bei (was langfristig betrachtet natürlich Unsinn ist, ins allgemeine Denken aber nicht aufgenommen wird).
Anders sähe es aus, wenn zu pflegende alte Menschen wieder in den Produktionszyklus zurückgeschoben werden könnten, wenn deren Pflege nur effizient genug wäre. Oder wenn Kinder die Fachkräfte und Koryphäen von morgen wären, die unverzichtbar wären. Alte Menschen sind, was sie sind: alt. Sie werden allenfalls älter und dementsprechend pflegeintensiver, aus wirtschaftlicher Sicht also kein Gewinn. Kinder brauchen nicht mehr zwingend die Fachkräfte von morgen zu werden, das Anwerben ausländischer Experten ist in vollem Gange, der Nachwuchs im eigenen Lande kann vernachlässigt werden.
(Um der Kritik von unterstelltem Nationalismus vorzugreifen, der an dieser Stelle womöglich kommt: Dieser Punkt betrifft nicht nur die deutsche Gesellschaft, deren Mitglieder im vielen Bereichen aufgrund der importierten Fachkräfte überflüssig werden. Er betrifft gleichermaßen die Gesellschaften, die gezwungen sind, ihre Nachwuchskräfte aufgrund von wirtschaftlicher Destabilisierung gehen zu lassen. Das „Humankapital“ wird dort eingesetzt, wo es für die Gewinnoptimierung gebraucht wird, wo es herkommt oder wo es ebenfalls benötigt wird, spielt keine Rolle).
Und auch im Gesundheitssystem wird seit Jahren daran gearbeitet, die Ausgabenseite Schritt für Schritt zu „beschönigen“, sprich: die Belastungen der Versicherten und Patienten zu erhöhen, während die Fürsorgepflicht des Staates zurückgefahren und in private Hände übergeben wird.
Die beschriebenen Personengruppen – Kinder, Alte, Kranke – mögen potenzielle Einnahmemöglichkeiten seitens Betreiber entsprechender Einrichtungen, auch potenzielle Faktoren für eine steigende Wirtschaftsleistung, ein steigendes BIP und steigende Produktivität sein. Wenn es denn gerade passt und sie sich innerhalb des Systems noch ein wenig weiter auspressen lassen. Doch günstige Alternativen sind nah, sind billig, sind willig und machtlos. Es gibt also aus wirtschaftlicher Sicht nicht viele Gründe, sich wirklich um die zu kümmern, für die medial laut getrommelt wird. Insofern sind die Beteuerungen der Politik, soziale Arbeit sei eine wichtige Arbeit, die honoriert werden müsse, nichts weiter als Lippenbekenntnisse.
Asozial ist, was Arbeit schafft
Menschen, die krank, pflegebedürftig oder einfach nur klein und auf Entwicklungsmöglichkeiten angewiesen sind, haben in unserer Gesellschaft keine guten Karten. Zwar werden Loblieder für sie gesungen, für die, die für ihre Leistung oder Lebensleistung gefeiert werden, und für die, die unsere Zukunft seien. Doch im wesentlichen und im Moment kosten sie hauptsächlich Geld, sie sorgen für Arbeit, für Arbeit, die ihnen einen asozialen Anstrich verleiht, weil sie entweder noch nichts oder nichts mehr dafür zurückgeben können. Auch deswegen verdienen die, die sie versorgen, betreuen, auf die Zukunft vorbereiten, so wenig. All jene, die sich um die Jungen, Alten und Kranken kümmern, werden in höchsten Tönen gelobt, Ihr Engagement wird als außergewöhnlich dargestellt. Doch viel mehr als warme Worte und zu Weihnachten eine Tafel „Mercí“ bekommen sie kaum. Wobei die Herstellung der Schokolade die Wirtschaftsleistung antreibt.
Immerhin.
* Zum Thema der endenden Ressourcen wird es einen Artikel geben, der den Rahmen dieses Textes hier sprengen würde. [InfoBox]