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Özil, der Deutsch-Türke

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Jetzt hat er sich also doch geäußert. Mesut Özil hat eine Stellungnahme abgegeben, in der er mit dem DFB abrechnet, aber auch mit der deutschen Erwartungshaltung ihm gegenüber. Nachdem er sich lange in Schweigen gehüllt hatte, ist sein Statement jetzt umso bemerkenswerter. Und Özil trifft den Punkt ziemlich genau.

Ihm fehle die Loyalität des DFB, einiger Sponsoren, und ihn überrasche (und schockiere) die Erwartungshaltung ihm gegenüber. Noch viel mehr aber wundere ihn, wie sein Foto mit dem türkischen Präsidenten tatsächlich als Begründung für die schlechten Leistungen der Deutschen bei der WM in Russland herhalten müsse.
So verwunderlich ist das aber gar nicht.

Zunächst einmal ist (und war) es ein Witz, Özil wegen seines Fotos in dieser Form zu kritisieren. Merkel geht gleich mit der ganzen Mannschaft duschen, und Özil soll sich nicht auf einem kurzen Termin mit Erdogan fotografieren lassen? Das ist albern, es ist absurd. Wenn wir schon das politische Wirken anführen wollen, dann muss erwähnt werden, dass jeder Spieler, der sich mit Angela Merkel fotografieren lässt (oder sie gleich in die Dusche einlädt), damit ihre neoliberale Politik unterstützt.
Alleine dieser Satz wirkt komisch, oder? Denn wer bringt Auslandseinsätze, Armut, Privatisierung, sinkende Renten und das Ausbluten anderer Länder schon mit einem Kicker der Fußballnationalmannschaft in Verbindung? Normalerweise niemand. Im besten Fall regt man sich als Fußball-Fan darüber auf, dass Merkel überhaupt die Nähe zur Nationalmannschaft sucht. Weil Fußball eben Fußball ist, da soll die Merkel am besten fernbleiben.

Aber die Fußballer selbst stehen kaum in Kritik, wenn sie sich mit Merkel zeigen. Die wenigsten macht das irgendwie an, aber was soll‘s?! Ist halt so. Mund abwischen und weiter.

Özils Foto aber erfüllte zwei Zwecke. Zum einen diente es dazu, ein gut geöltes Schwarz-weiß-Bild zu entwerfen. Böser Özil, gute Deutsche. Gute Deutsche, die bei jedem Spiel nach dem bösen Foto mit lauten Pfiffen darauf hinwiesen, dass sie politisch und moralisch auf der richtigen Seite stehen. Auf der Seite derer nämlich, die wortlos den „Flüchtlings-Deal“ mit Erdogan hinnehmen, auf der Seite derer, die kein Problem mit Waffenlieferungen in die Türkei haben. Auf der Seite derer, die schockiert sind, dass sich Özil mit dem bösen Erdogan ablichten ließ.
Es ist das gute, alte Feindbild-Prinzip, das hier einmal mehr greift. Je schlechter Özil ist, desto besser muss die andere Seite sein. Alleine diese Sicht ist hochgradig zynisch.

Der zweite Zweck des Fotos: Ein Deutsch-Türke kann nicht zum Erfolg der Nationalmannschaft beitragen. Ein Deutsch-Pole wie Miroslav Klose oder Lukas Podolski dagegen schon. So sehr sogar, dass sie niemals Deutsch-Polen genannt wurden. Aber ein Deutscher mit türkischen Wurzeln? Nein, das kann nicht sein, und alle ham‘se recht, denn die Deutschen sind nach der Vorrunde nach Hause gefahren, das muss an Özil gelegen haben. Genaugenommen geht es hier ebenfalls um das Schwarz-weiß-Bild, das gerade beschrieben wurde.

Es ist überflüssig, darauf hinzuweisen, dass Özil fußballerisch in der Nationalmannschaft einen schlechten Job gemacht hat. So wie nahezu alle seiner Kollegen auch. Es sollte daher ebenfalls überflüssig sein, darauf aufmerksam zu machen, dass selbstverständlich nicht Özil alleine für das frühe Ausscheiden verantwortlich ist. Man muss schon auf einem sehr dünnen Brett sitzen, wenn man diese Herleitung tatsächlich ernsthaft unterstellen will.

Doch auf Özil wurde eine Hexenjagd eröffnet, nachdem er sich mit Erdogan hat fotografieren lassen. Man kann davon ausgehen, dass die auch ganz schnell wieder beendet worden wäre, hätte die Mannschaft gut gespielt und hätte womöglich Özil ein entscheidendes Tor oder eine wichtige Vorlage gegeben. Aber so kam es bekanntlich nicht. Also kam Özil gerade recht, um ein Ventil zu konstruieren, mittels dessen man sich Luft verschaffen konnte. Und das, ohne die Nationalmannschaft als „Gesamtkunstwerk“ zu beschädigen.

Das alles ist schäbig, von Anfang an gewesen. Nach Özils Statement, der klare Worte gefunden hat, wird es noch viel schäbiger. Und der DFB steht in besonders schlechtem Licht da. Denn ein Deutsch-Türke hat die WM nicht versaut.
Das war ganz und gar reine deutsche Maßarbeit.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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