Letztens besuchte ich einen Freund auf der Arbeit. Stefan ist bei einer kleinen Klitsche im Versand beschäftigt. Zumindest noch. Die Firma hat hundert Jahre auf dem Buckel und überaltert in rasantem Tempo. Er lehnte an einer Wand des Versandraums und checkte Börsenkurse auf seinem Samsung. Das S4 war mit Abstand das modernste Gerät im Raum.
Hinter mir erklangen Schritte. Der DHL-Paketzusteller kam fast gleichzeitig mit mir. Circa 2000 Euro verdient man als Paketzusteller bei DHL, verbunden mit einem Urlaubsanspruch von 26-30 Tagen. Urlaubsanspruch und Lohn hängen von der Dauer der Betriebszugehörigkeit ab. Das ist nicht gerade viel, aber es betrifft Dieter, den DHL-Mann, der hinter mir lief, nicht. Er schaffte es in einer der letzten Verbeamtungs-Wellen noch auf die sichere Seite. Seitdem läuft er mit einer Reihe von Besitzstandswahrungen durch die Gegend.
»Kommt rein.“ sagte der Freund. „Wollt ihr Kaffee?«
»Nein, nein! Du weißt doch, wir von der Post sind immer in Eile!« wehrte der Paketzusteller lächelnd ab.
Das ließ Stefan nicht gelten. »Na, ein kleiner Schluck Kaffee wird doch gehen, Dieter« Er nötigte dem DHL-Mann einen Plastikbecher in die Hand.
»Okay. Aber nur halb voll.« meinte Dieter.
Die Gelegenheit nutzte Stefan ihm den Becher fast ganz aufzufüllen. Dann kamen die beiden zur Sache. Sie sind nicht mehr die Jüngsten. Fersensporne machen ihnen zu schaffen. Diverse Behandlungsmethoden wurden durchgesprochen. Stefan bevorzugte Stoßwellentherapie. Dieter glaubte an die heilende Kraft einer Selbstmassage mit einer kleinen Rolle.
Im Gang sah ich den DPD-Mann näherkommen, einen kleinen drahtigen Mann um die Vierzig. Ich hatte mich ein paar Tage nach der Geschichte bei DPD als Paketzusteller beworben. Da hatte ich einen Fehler gemacht. Sie teilten mir freundlich mit, sie beschäftigen keine eigenen Zusteller. Aber ich könnte ja einen ihrer rund tausend Systempartner kontaktieren. Systempartner? Die können sich wirklich gut ausdrücken. Ich hätte einfach Subunternehmer geschrieben. Deren Stellenausschreibungen lassen DHL wie einen großzügigen Arbeitgeber aussehen. Das Gehalt rangiert um die 1500 Euro. Der Urlaubsanspruch liegt bei den Anzeigen, die ich mir antat, nicht einen Jota über dem gesetzlichen Mindestanspruch. Also bei 20 Tagen.
Der DPD-Mann hatte es wirklich eilig.
Kein einfaches Unterfangen. Eben schlenderte eine Arbeiterin aus dem Pausenraum. Ihr fehlen noch drei Jahre bis zur Rente, und sie bereitet sich bereits mental auf den Ruhestand vor. Irgendwie brachte sie es fertig, den DPD-Zusteller nicht zu bemerken.
Das stellte für ihn aber kein Problem dar. Er hatte sie sofort registriert und vorausgeahnt, wo sie in zwei Sekunden sein würde. Er schlängelte sich rechts an ihr vorbei.
Dabei wirkte er nicht wie das Kaninchen aus Alice im Wunderland. Er steht den ganzen Tag unter Zeitdruck. Er kann nicht ständig anareob durch die Gegend hecheln. Eher erinnerte er an den Terminator. Ihm war anzumerken, es ging ihm nicht darum, so schnell wie möglich zu arbeiten. Sein Ziel war Effizienz. Er wollte so schnell wie möglich mit dem geringst möglichen Energieverlust vorankommen. Das Vorgehen erfordert andauernde geistige Voraussicht. Das zehrt natürlich auch auf Dauer.
Dann nahm der DPD-Mann den DHL-Mann zur Kenntnis. Der lehnte gerade gemütlich an einem Tisch, den Plastikbecher noch in der Hand. Die Bewegungen des DPD-Zustellers verlangsamten, bis er völlig zum Stillstand gekommen war.
Er ließ Effizienz Effizienz sein und gönnte sich den Luxus Dieter zu mustern. Ihre Blicke kreuzten sich. Eine sehr lange Sekunde lang passierte nichts. Schließlich sah der DHL-Zusteller verlegen weg.
Der DPD-Zusteller verfiel wieder in den Terminator-Modus. Er stellte die Pakete ab und ging.
Dieter wirkte noch, als sei ihm eine Laus über die Leber gelaufen. Er schwenkte den Becher und betrachtete den Kaffee darin. Schnell trank er den Rest. »So. Dann werde ich wohl auch mal wieder an die Arbeit gehen.«
Markus M. ist Ende 40 und muss mehr arbeiten als ihm gut tut. Nach Meinung der Frauen in seinem Leben hat er aber mehr Freizeit als ihm gut tut.
Es geht in der-5-minuten-blog.de hauptsächlich um langfristige Trends. Bei der Reihe WER STEIGT SCHNELLER? lässt er alles mögliche gegen die Inflationsrate antreten. SPIEGEL COVER geht der Frage nach, wie sich das Thema der aktuellen Ausgabe des SPIEGEL seit 1970 entwickelt hat. Markus arbeitet zudem in der Rubrik NISCHENGENRES daran alle Filme mit ZEITSCHLEIFEN zu kategorisieren.