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Vom armen NATO-Strichjungen und politischer Reinheit

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Na, da war was los auf meiner Timeline von Facebook. Nachdem Diether Dehm den frisch gebrühten Außenminister als „gut gestylten Nato-Strichjungen“ bezeichnet hatte, lautete mein Kommentar darauf wie folgt:

Dieter Dehm bezeichnete Heiko Maas als „gut gestylten Nato-Strichjungen“
So gut finde ich Maas‘ Style gar nicht.

Kam nicht so gut an, zumindest nicht bei allen. Denn der Dehm könne doch nicht Strichjungen diffamieren, und homophob sei das ja sowieso. Und wenn ich mich auch noch erdreiste, in einem Posting irgendwie pro-Dehm zu sein, dann sei ich als Linker im Grunde nicht mehr zu gebrauchen. Man muss kein Genie in Sachen Zwischen-den-Zeilen-lesen sein, um das vernichtende Urteil herauszulesen: der Wellbrock macht sich mit dem Dehm gemein, und der Dehm ist eh komisch und politisch überhaupt nicht korrekt, und überhaupt, was ist mit den Strichjungen auf dieser Welt? Denkt der Dehm an die denn gar nicht?
Hat er wohl nicht in diesem Moment, als er den Vergleich brachte. Schade für Dehm, dass jetzt kaum noch jemand über die bis an die Zähne bewaffnete und höchst aggressive NATO im Angriffsmodus spricht. Wir müssen schließlich erst mal diese Sache mit den Strichjungen klären.

Das Problem der Linken – eines ihrer Probleme – ist ihre Humorlosigkeit. Ein weiteres ist der eigene Anspruch, möglichst nie zu provozieren, zu polarisieren, sondern Kritik immer so ausgefeilt durchzuformulieren, dass sich niemand, wirklich niemand daran stören kann. Das kann kaum gelingen, und wenn jemand sich nicht mal die Mühe macht, der politisch erwarteten Korrektheit nachzukommen, oder wenn jemand spontan einen Vergleich wie Dehm raushaut (wobei ich nicht weiß, ob das spontan war, interessiert mich aber auch nicht sehr), dann ist das Geschrei da!

Auf meiner Timeline wird jetzt also vornehmlich über Schwule, Strichjungen und natürlich Diether Dehm gesprochen. Unterirdisch sei der, als Politiker nicht ernstzunehmen und als Künstler eh völlig überschätzt. Klar, dass so einer dann auch noch schwulenfeindlich ist. Ach, und der „Gossenjargon“ von Dehm sei natürlich auch nicht besser als der der Nazis, die schließlich auch so was oder zumindest so was Ähnliches sagen. Jetzt sind also Dehm und die, die sich an seiner Aussage nicht stören, schwulenfeindliche Nazis, die sich auf das Niveau des politischen Gegners begeben.
War mir alles nicht klar, denn in meinen Ohren klang der Satz von Dehm eher nach Kritik an der NATO und an der Rolle Deutschlands samt seinem frisch verbrühten Außenminister.

Am Rande: Strichjungen sind ja nun wirklich nicht immer schwul, in den meisten Fällen sind sie unfreiwillig in ihre grauenvolle Situation hineingeraten (worden), und schwul sind dann wohl eher die Freier. Da fragt man sich, wer denn nun vor Dehm „geschützt“ werden soll. Doch nicht etwa die Freier, die die Zwangssituation von Strichjungen ausnutzen, weil die ihrerseits hilf- und machtlos sind, oder?

Ich bin dafür. Dafür, zu polarisieren, zu provozieren, auf Missstände krachend aufmerksam zu machen. Ich bin dafür, die politische Korrektheit zwischendurch mal hintenanzustellen und sich auf den eigentlichen politischen Gegner zu konzentrieren. Für mich zeigt das aufgeschreckte Herumgeflattere nach dem Dehm-Spruch vor allem, dass es sehr leicht ist, die Linke zu spalten, weil sie selbst aktiv und tatkräftig unterstützend mit einwirkt.
Hätte Dehm besser vom gut gestylten „Nato-Lakaien “ sprechen sollen? Und die Frage der Mode ganz weglassen? Das Äußerliche von Maas komplett aus seiner Kritik heraushalten sollen? Hätte er vielleicht, aber gehört worden wäre er dann sicher nicht. Dabei wollen wir Linke das doch so gerne: gehört werden. Wäre solch ein Satz besser gewesen?

Heiko Maas ist eine politisch zu kritisierende Größe, die sich der verfehlten Nato-Politik nicht entgegenstellt, sondern in gewissen Themenfeldern opportun verhält und somit nicht der Grundeinstellung entspricht, die wir aus politischen und aus humanistischen Gesichtspunkten heraus empfehlen würden.

Wäre womöglich bei den Linken besser angekommen, solch ein Satz. Hätte aber keine Sau interessiert.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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