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Als Johannes B. Kerner versagte

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Gestern vor zehn Jahren tat Eva Herman das, was Alice Weidel erst letzten Monat inszenierte: Sie verließ das Studio. Nicht ganz freiwillig. Die Reaktion des Moderators von damals, die man 2007 noch lobte, muss man rückblickend als Versagen durch Feigheit begreifen. Damals kündigte sich schon der Rechtsruck an – und wir feierten einen Moderator, weil er ihn uns für einen Abend vom Hals hielt.

Senta Berger wurde es unangenehm

Die bereits beim NDR entlassene Eva Herman besuchte am Abend des 9. Oktober 2007 Johannes B. Kerner in dessen Show. Es ging um die familiären Werte im Nationalsozialismus, die Herman festgestellt und an die große Glocke gehängt hatte. Dem öffentlich-rechtlichen NDR war das zu viel geworden, man trennte sich flott. Jetzt sollte und wollte sie auch Rede und Antwort stehen. Sie ritt sich an jenem Abend immer tiefer hinein in den Morast: Man könne über deutsche Geschichte wohl gar nicht mehr reden, ohne sich zu gefährden, fragte sie kokett. Und überhaupt: Was sei mit den Autobahnen? Die seien schließlich auch von den Nationalsozialisten gebaut worden. Geplant waren diese damals neuen Schnellstraßen zwar schon lange vor seiner »Machtergreifung«, 1926 wurde die Strecke Köln – Düsseldorf geplant und ebenfalls in jenem Jahr entstand der »Verein zur Vorbereitung der Autostraße Hansestädte-Frankfurt-Basel« – aber gut. Die Nazis haben diese Projekte dann lediglich an den Reichsarbeitsdienst gegeben. So wurde für kleines Geld geschuftet. Berichtigt hat Frau Herman an jenem Abend keiner – es fehlten die Argumente, die man zur Hand haben sollte, wenn man mit jemanden auf dieser Ebene talkt.

Im Verlaufe des Interviews wurde es einem anderen Gast der Runde ein bisschen unangenehm. Senta Berger bot ihren Abschied an. Margarethe Schreinemarkers blieb fast stumm, Mario Barth rutschten nur auf ihren Sesseln hin und her, weisste, kennste, ne. Frau Berger wollte sich jedoch den Ausführungen nicht weiter stellen. Johannes B. Kerner überlegte kurz und entschied sich für die drei anderen Gäste der Runde, Eva Herman war out. Er verabschiedete sich von ihr, die Ex-Moderatorin stand auf und ging. Dafür erntete er Lob, so gehe man mit Menschen um, die den Nationalsozialismus verharmlosen, hieß es im Nachgang. Zehn Jahre später sitzen solche Leute im Bundestag.

Eva Herman wollte eine Alternative für Deutschland

Damit an dieser Stelle keine falschen Schlüsse gezogen werden: Frau Hermans Auftritt war eine intellektuelle Lachnummer, sie war kein Opfer für etwaige Mitleidsbekundungen. Was sie hier wie schon in den Wochen zuvor vertrat, das war nicht unbedingt ein braunes, wohl aber ein erzkonservatives Weltbild. Sie pflegte Nostalgie von einer Welt von früher, in der alles noch besser schien. Da arbeiteten Frauen nicht, da gebaren sie Kinder, machten Abendbrot und warteten auf den Ernährer. Dieses Ideal von dunnemals schwebte ihr als eine Art Lösungsvorschlag für die Verwerfungen in der Gesellschaft vor Augen. Mit Rückzug in die Gemütlichkeit von Papa, Mama und Kind glaubte sie gewissermaßen eine Gegenmodell zum Chaos neoliberaler Politik in die Arena zu werfen. Dabei verhedderte sie sich in einer Neubewertung deutscher Historie, als läge in den damaligen Ereignissen sozialpolitische Wegweiser begraben, die nur ein mutiger Mensch endlich mit einer Schaufel freilegen müsste

Ob Frau Herman Mitglied dieser AfD ist, die ganz ähnlich wie sie, eine Welt von gestern als unsere Welt von morgen deklarieren möchte, weiß man nicht. Munkeln darf man. Was man jedoch feststellen kann: Schon vor zehn Jahren war da eine gestrige Denkweise in die gesellschaftliche Aufmerksamkeit gerückt, die aus der Not des Sozialabbaus und der Abstiegsangst heraus das Potenzial aufwies, Menschen anzulocken. Vielleicht nicht aus Überzeugung, vielleicht nur aus Protest – aber eben auch, weil es so schön ist, jenen Tönen zu lauschen, die uns eine Gesellschaft versprechen, die wir ja schon alle kennen, weil wir früher schon mal in ihr gelebt haben. Noch etwas wird aber augenfällig: Besonders die Politik warf den Medien zuletzt vor, sie hätten mit ihrem Skandalismus die AfD vor der Bundestagswahl erst stark gemacht. Einen falschen Umgang mit diesen erzkonservativen Kräften muss man schon Johannes B. Kerner attestieren. Er war eben nicht der standhafte Talker – seine Verabschiedung war feige.

Bleib sitzen, Senta!

Wie soll man es nun medial halten mit solchen Gesellinnen und Gesellen? Sie reden lassen oder sie zum Schweigen bringen? Zwischendrin läge wohl ein gangbarer Weg – mit ihnen reden, aber auf einer Ebene, die nicht von Überheblichkeit zeugt. Schickt man sie weg, spielen sie sich als Opfer auf. Tritt man mit Dünkel an sie heran, glauben sie sich auch als Opfer. Augenhöhe – aber bitte mit Argumenten. Man kann ja durchaus sagen, dass sie die Symptome einer fehlerhaften Weltordnung teilweise richtig erkannt haben, aber dass in ihren läppischen Lösungsvorschlägen – als Interviewer lässt man das »Läppische« besser weg – vielleicht etwas im Hinblick auf dies oder das nicht stimme. Wenn einem ein Weltbild nicht passt, hilft es nichts, wenn man es vor die Türe schickt. Es hilft aber auch nichts, wie es Kerner tat, beharrlich jemanden in die Zange zu nehmen, ihn auszuquetschen wie er wohl tickt und wenn man ihn dann in der Falle hat, auf den Ausgang zu zeigen. Das war kein journalistischer Standard, den der Mann da anwandte – er hat Herman vorgeführt. Und sie hat es ihm einfach gemacht. Am Ende war sie bei bestimmten Leuten eine Märtyrerin. Da hat es ihr Kerner wiederum leicht gemacht. Man sollte es sich im Umgang mit dieser Art von Neocons beidseits nicht zu einfach machen.

Vielleicht hätte man sich vor zehn Jahren schon mit dieser komischen neuen rechten Haltung auseinandersetzen müssen und sie nicht einfach aus Studios schicken dürfen. Aber man tat es lieber ab, fühlte sich unangenehm berührt. Dabei muss man das in einer Demokratie auch mal aushalten können, dieses unangenehme Gefühl, dass da jemand eine ganz beschissene Meinung zu einem Thema hat. Wem das nicht gefällt, der soll nicht, wie Senta Berger damals, seinen Rückzug anbieten, sondern sitzen bleiben und Gegenargumente aufbringen. Das ist sicher schwieriger als jemanden den Rücken zuzukehren. Es ist aber auch demokratischer. Die Sendung von damals war so ein kleiner Ausblick auf das, was dann noch kommen würde. Und es hat angedeutet, dass die Medien hier Schwierigkeiten bekommen könnten.

Kerner hat damals so falsch reagiert, wie es nur ging. Er hätte Senta Berger auffordern müssen zu bleiben, ihr sagen müssen, dass sie als Demokratin ertragen muss, was gerade hier passiert. Er hat aber den leichtesten Weg gewählt. Und uns schwere Brocken in den Weg gelegt.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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