Manchmal braucht es keinen Dritten, um betrogen zu werden. Zuweilen ist das auch ohne viel Hilfe von außen möglich. Im Falle der Bewertung von Martin Schulz ist genau das der Fall.
Ich bin ja pflichtbewusst. Also habe ich mir sowohl die Antrittsrede als auch das Interview mit Anne Will brav angesehen. Und ich hätte wahrlich Besseres tun können in dieser Zeit. Aber, wie gesagt, ich bin pflichtbewusst. Allerdings frage ich mich im Nachgang, was mir das denn nun gebracht hat.
Die Antwort: Erkenntnisse über die Wahrnehmung. Denn von Susi Neumann bis Heribert Prantl ist eine Begeisterung, Aufbruchsstimmung, ja, Euphorie zu bemerken, die eindrucksvoll und merkwürdig zugleich ist. Weil sie in keinster Weise auf Fakten beruht, sondern ausschließlich auf dem Gefühl, dass da jetzt einer angetreten ist, der es kann, der es besser macht, der ein guter Kanzler wäre.
Nur: warum? Schulz hat sowohl bei seiner Antrittsrede als auch im Will-Interview nichts, aber wirklich gar nicht Konkretes gesagt. Er hat sich weder auf eine Vermögenssteuer eingelassen noch die präzise Höhe eines angemessenen Mindestlohnes kommuniziert. Er sprach davon, „die Menschen“ (ja, wo laufen sie denn?) ernstzunehmen, sie zu überzeugen, dass es gut für sie ist, wenn sie ihm seine Stimme geben, als Vertrauensvorschuss, das sei ihm schon klar. Aber wie soll ich jemandem vertrauen, der mir keine Gründe dafür nennen kann?
Die Begeisterung kennt – zumindest im Moment – dennoch keine Grenzen. Klar, es gibt die, die skeptisch bleiben, sogar die, die das Spiel des Martin Schulz durchschauen. Aber sie sind innerhalb von wenigen Tagen zur Minderheit geworden. Allerorts heißt es, dass Schulz der richtige Mann sei. Das könnte – auch wenn ich bezweifle, dass diese Tendenz bis zur Bundestagswahl so erhalten bleiben wird – zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung werden. Wenn also genügend Leute dran glauben, dass Schulz der richtige Kandidat ist, dann muss es auch stimmen. Und dann stimmt es eben auch.
Nur hat diese sich selbst erfüllende Prophezeiung eben auch Folgen, sie ist also nicht harmlos wie andere vergleichbare „Vorhersehungen“. Wenn Martin Schulz – und ich gebe zu, das ist ein sehr theoretischer Gedanke – womöglich wirklich in irgendeiner bizarren Koalition Kanzler würde, dann hätten wir die gleiche bittere Suppe auf dem Tisch wie vorher. Die Tatsache, dass uns zur Feier des Tages neue Löffel in die Hände gedrückt werden, ändert an der Suppe aber nicht das Geringste.
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