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Martin Schulz spricht: Ein bisschen Hau, ein bisschen Ruck und ganz viel SPD-Glückseligkeit

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Es war die perfekte Inszenierung. Die Antrittsrede von Martin Schulz (SPD) war dynamisch, witzig, ernsthaft, weitsichtig, ambitioniert … und: nichtssagend.

Dennoch wirkte sie, die Medien überschlugen sich (mal sehen, wie lange noch) vor Begeisterung, und sogar die Gestalten im Fernsehbild, die hinter Schulz saßen, unterstrichen jede vermeintliche Kampfansage des angehenden „Bundeskanzlers“ (so sieht sich Schulz und so muss er sich auch sehen) mit Mimik, Gestik und tosendem Applaus.
Was war da bloß los?

Schulz hat Dinge gesagt, die zuvor Gabriel in seinem Interview mit dem „Stern“ beinahe im Wortlaut gesagt hatte. Was vor allem eines zeigt: Die SPD und ihr Spitzenpersonal wissen genau, was schief läuft. Sie sprechen über Kinder, über Armut, über die Rente und – im Falle von Schulz – sogar über den Neolibealismus und seine fatalen Auswirkungen. Sie tun das, wohl wissend, dass sie maßgeblich daran mitgearbeitet haben, die deutsche Gesellschaft zu spalten, Ungleichheit auszubauen und damit rechte politische Kräfte zu begünstigen. Sie sprechen darüber, als seien sie seit 1998 in der Opposition, die jetzt endlich den falschen Weg der Bundesregierung beenden will.
Nur ganz kurz: So ist es aber nicht. Überhaupt nicht.

Apropos Kampfansage: Schulz spricht sich dafür aus, „Riesenvermögen“ stärker zu besteuern und outet sich schon damit als Blender. Zunächst wäre es natürlich interessant, wüssten wir, was genau ein „Riesenvermögen“ ist. Doch den Rückzieher macht Schulz im selben Atemzug, wenn er sagt: „Die Reduzierung der Debatte nur auf diese Kampfbegriffe ist völlig falsch.“ Gemeint ist die Vermögenssteuer, die er als „Kampfbegriff“ abtut, als tauge sie nichts.
Da fragt man sich unwillkürlich: Was ist an einem Kampfbegriff so falsch, wenn man beschlossen hat zu kämpfen?

Schulz menschelt, er spricht über sich, gibt sich selbstbewusst nach der Kritik, er habe ja nicht einmal Abitur. Er spricht von seinem gut sortierten Buchladen und davon, dass er weiß, wie die Menschen „ticken“, schließlich sei er einmal Bürgermeister gewesen. Das ist sympathisch und spricht die Genossen an. Und irgendwie kann man sie ja auch verstehen. Unter Gabriel waren sie das Fußvolk, das hin und wieder für Abstimmungen gebraucht wurde, das Ceta abnicken und dem Verfall der Partei zusehen musste. Das geht an die Substanz, und da ist es nur verständlich, wenn sie nun auf Schulz hoffen, der sich als guter Kumpel gibt. Auch wenn – so viel Ehrlichkeit muss sein – Schulz über die Parteibasis hereinbrach wie ein Sommergewitter. Unerwartet und heftig. Aber sei‘s drum, die Stimmung ist jetzt eine andere, Schulz verspricht eine „spannende Bundestagswahl“. Das ist doch schon was, Gabriel hatte zum Schluss nicht mal mehr Lust, überhaupt nur das Wort Bundestagswahl in den Mund zu nehmen.
Aber kann die Parteibasis wirklich so naiv sein?

Was Schulz gesagt hat, sagt jeder Kandidat vor der Bundestagswahl, zumindest wenn er die SPD aus dem Schlamassel führen will. Die Tatsache aber, dass Schulz zu Beginn seiner Antrittsrede die Leistungen von Gabriel honoriert hat und die Tatsache, dass er sich nicht ganz klar von der Agenda 2010 distanziert, machen deutlich, woher der Wind weht. Es wird auch unter Schulz keine Veränderungen geben, nichts, außer seiner wohlformulierten Worte, deutet darauf hin.
Sich jetzt aber wirklich und endgültig und ganz bestimmt vielleicht unter Umständen um die Menschen zu kümmern, die die Opfer der sozialdemokratisch-neoliberalen Politik sind, das ist ein extrem stumpfes Schwert.

Die Ankündigung, sich für eine Vermögenssteuer einzusetzen, von mir aus auch für die Vermögenssteuer als „Kampfbegriff“, das wäre mal ein Zeichen gewesen, wenn auch nur ein kleines. Aber selbst ganz klein ist für Martin Schulz schon zu groß.
Darüber täuscht auch die perfektestes Inszenierung nicht hinweg.

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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