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Wollt Ihr denn total den Krieg?

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Ich kann mich täuschen. Es ist natürlich möglich, dass Russland … pardon: Putin höchstpersönlich, den Doppelagenten Sergei Skripal vergiften ließ. Dass er das zu einem Zeitpunkt tat, der mehr als ungünstig war. Kurz vor seiner eigenen Wahl und nicht weit entfernt von der Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land. Und dass er das tat, obwohl er es längst hätte tun können. Zu deutlich besseren Zeitpunkten. Klar, ich kann mich täuschen, aber ich sag es mal so: Das klingt ziemlich abenteuerlich, um nicht zu sagen: völlig lächerlich.

Aber das weiß eigentlich jeder, der einigermaßen bei Verstand ist. Und das geht weit über meine eigene Filterblase hinaus, die man ja immer mit größter Vorsicht genießen sollte. Bei jeder Meldung von SPON, der Tagesschau, der Süddeutschen oder gar der BILD-Zeitung läuft es immer aufs Gleiche hinaus, nämlich, dass in den Kommentarspalten die Leser sehr eindeutig kommunizieren, was sie von dieser Anschuldigung halten: nichts, aber auch gar nichts.
Und damit sind wir beim Punkt.

Theresa May hat ihren eigenen Blick auf diese Sache. Ihr Außenminister Boris Johnson sowieso. Der optisch wie ein Trump für Arme anmutende Blondschopf wusste ganz schnell, was Sache ist, und so verwundert es auch kaum, dass er die Fußball-WM in Russland mit den Olympischen Spielen von 1936 in Nazi-Deutschland verglich. Allerdings – sehen wir mal vom falsche Pillen einwerfenden Johnson ab – zeichnet sich ein insgesamt düsteres Bild in Sachen „Europa gegen Russland“ ab, wobei schon diese Aussage hochgradig absurd ist, denn Russland gehört ja nun mal zu Europa. Aber lassen wir die Kleinigkeiten.

Worüber wir sprechen, das ist Krieg. Und alleine das wird nicht verstanden. Was hier passiert, ist eine bewusst herbeigeführte Eskalation, auf die Russland früher oder später nicht mehr diplomatisch wird reagieren können. Ausgangslage ist ein Verbrechen, ein grauenhaftes Verbrechen. Ein Mann und seine Tochter wurden vergiftet. Daran gibt es nichts zu rütteln. Und auch daran, dass das aufgeklärt werden muss, kann es keine Zweifel geben. Wenngleich man Zweifel haben darf, ob es wirklich zu einer Aufklärung kommen kann und wird, denn Geheimdienste machen naturgemäß geheime Sachen, die oft eben nicht aufgeklärt werden. Und ob hier überhaupt Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten, und wenn ja, welche, das steht eben nicht fest.
Noch mal: das steht eben nicht fest.

Fest steht aber, dass der Fall Skripal – zumindest wenn es nach dem Westen geht – bereits aufgeklärt ist. Wahrscheinlich. Höchstwahrscheinlich. Eventuell ganz bestimmt unter Umständen auf jeden Fall vielleicht. Beweise fehlen nach wie vor, auch wenn es Stimmen gibt, die behaupten, dass es Beweise gibt, für deren Vorliegen aber noch keine Beweise vorliegen, was die Beweislage insgesamt erschwert. Aber hey, hier gilt die Vollschuldvermutung, das muss reichen. Und das reicht auch, um sich im Kollektiv über einen Täter (also Putin) herzumachen, der es einfach gewesen sein muss. Geht gar nicht anders.

Es ist ernst …

Der Fall Skripal ist nach wie vor nicht geklärt, es liegen keine eindeutigen Beweise vor (zumindest keine, die der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden wären), es gibt nur eine Tat und haufenweise Anschuldigungen, die auf keinerlei Fakten oder Beweisen basieren. Trotzdem wird inzwischen nicht mehr nur ein „Säbelrasseln“ wahrgenommen, es werden konkrete (diplomatische) Maßnahmen ergriffen, die zu einer Verschärfung beitragen. Alles, wohlgemerkt, auf der Grundlage von Mutmaßungen und Vermutungen. Hier geht es, und das ist eindeutig, nicht um Skripal, sondern um eine gewollte Eskalation von Seiten des Westens. Gewollt, weil jeder Mensch, der bei Verstand ist, einen Vorwurf nicht als Fakt bezeichnet, bevor der Beweis dafür nicht erbracht ist. Aber genau das passiert hier.

Und daher ist die Frage naheliegend: Wollen sie denn total den Krieg? Wollen die Politiker des Westens wirklich einen militärischen Konflikt mit Russland? Und wenn ja, warum? Wegen eines Spions? Wegen der Ukraine? Wegen was?

Letztlich ist es ganz einfach. Was auch immer getan werden muss, um Geld zu verdienen, wird realisiert. Und nach den vielen Kriegen, in die der Westen verwickelt war und ist, nach den vielen Milliarden, die die Rüstungsindustrie daran verdient hat, fehlt jetzt noch der ganz große Wurf: die Vernichtung Russlands. Wie es dann weitergeht? Ist im Moment nicht so wichtig. Wichtiger ist es, die Menschen des Westens bei Laune zu halten, auch wenn es ihnen immer dreckiger geht. Wichtiger ist es, die Feindbilder bei Geflüchteten zu finden, bei Menschen, die arm sind, bei Feindbildern des Auslands, ganz besonders bei Russland.
Doch die Darstellung der „Saubermänner“ funktioniert nicht mehr richtig. Man sieht es deutlich, dass zumindest im Falle „böses Russland“ viele Menschen den Erzählungen nicht mehr glauben. Das Fatale daran: dadurch wird die Art und Weise der Verdammung Russlands nur noch extremer und aggressiver betrieben. Und offensichtlich dümmer, denn der Fall Skripal zeigt sehr deutlich, dass nicht einmal mehr Erzählungen gewählt werden, die glaubwürdig erscheinen. Wenn wir schon so weit sind, dass Vermutungen als Fakten bezeichnet werden, und wenn ein „Höchstwahrscheinlich“ als Tatsache bezeichnet wird, dann sind die letzten Masken gefallen.
Von einem „Säbelrasseln“ sind wir jedenfalls inzwischen weit entfernt. Was wir erleben, sind geladene Waffen, an deren Abzügen nervöse Finger zucken. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es knallt, wenn es so weitergeht.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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