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Der böse, Spione vergiftende Russe: Wen wollt Ihr eigentlich für dumm verkaufen?

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Klar, der Russe war‘s. Ist ja immer so. Von der „Russenpeitsche“ haben wir uns noch nicht richtig erholt (Füße und Kopf sind nach wie vor eiskalt), da kommt der Russe wieder um die Ecke und bringt einen Spion um. Fast jedenfalls.
Wobei … Moment mal! Stimmt das eigentlich?
Einerlei, auf die Stimmung kommt es an, auf die richtigen Vibrations, das Feeling, den Spirit. Wobei der Geist nicht mehr alle Latten am Zaun hat.

Zunächst einmal gibt es da ja diese theoretische Unschuldsvermutung. Man las vor Jahren drüber. Die greift aber in diesem Fall nicht, denn der Verdächtige heißt Russland. Es ist bezeichnend, dass Sigmar Gabriel sagte, sollte sich herausstellen, dass Russland hinter dem Anschlag stecke, sei das ein „ernster Vorgang.“ Oha, und wenn nicht? Dann ist es kein ernster Vorgang? Man reibt sich verwundert die Augen und rauft sich die Haare, wenn man so einen Unsinn liest.

Bewiesen ist also nichts, aber feuern kann man ja trotzdem schon mal, triffste immer den Richtigen, oder wie?

Höchstwahrscheinlich“ waren es die Russen, sagte EU-Ratspräsident Donald Tusk. Ich sehe gerade einen Richter vor mir, vor dem ein Angeklagter steht. Der Richter verkündet pathetisch: „Da Sie die Tat höchstwahrscheinlich begangen haben, verurteile ich Sie hiermit zu 10 Jahren Haft.“ Es dürfte ein Raunen durch den Saal gehen, der Anwalt des Angeklagten käme aus dem Lachen nicht heraus und das Urteil wäre schneller Makulatur, als ein Lämmlein mit dem Schwanz wackeln kann. So liefe es wohl. Höchstwahrscheinlich.

Aber wir müssen einsehen, dass es hier nicht um einen vergifteten Spion geht. Es geht um mehr. Zumal nicht nur die Beweise fehlen, sondern auch die Logik einen Strich durch die Rechnung macht. Russland killt (zumindest fast) also kurz vor den Präsidentschaftswahlen und in zeitlicher Nähe zur Fußball-Weltmeisterschaft im eigenen Land einen Spion? So blöd wie die Erfinder dieses Szenarios könnte Putin nicht mal sein, wenn er ein Vollbad in Wodka hinter sich hätte. Es ergibt einfach keinen Sinn!

Aber das ergibt Sinn: Der Experte (was wären wir nur ohne unsere Experten?) Albert Sahel nannte die russische Tat, die womöglich gar keine russische Tat ist, eine „kaltblütige Machtdemonstration Russlands“ und empfahl der Bundeswehr, das Material zu verdoppeln und auch an der Truppenstärke zu arbeiten.
Und schon wieder fällt mir diese unangenehme, sperrige Unschuldsvermutung ein, aber sei‘s drum.

Wenn wir mal ganz ehrlich sind, ist dieser „ernsthafte Vorgang“ nichts weiter als eine politisch und medial breit angelegte Verarschung. Es gibt einen vergifteten Spion und seine Tochter, aber keine Beweise, dafür haufenweise Vermutungen, Unterstellungen, Vorverurteilungen und Pläne, wie man mit der Tat, die der Russe verübt hat oder eben nicht verübt hat, umgehen will.

Wen will man mit dieser hanebüchenen Story eigentlich für dumm verkaufen? Man weiß es nicht.
Aber eines ist sicher: Die westlichen Geschichtenerzähler werden immer fantasieloser, wenn es um glaubwürdige Storys geht. Ginge es um eine Verfilmung, würde jeder Produzent, der das Drehbuch in die Finger bekommt, abwinken und lächelnd kundtun: „Kommen Sie wieder, wenn Sie eine schlüssige und logische Story haben. Und jetzt stehlen Sie mir nicht noch mehr meiner Zeit.“  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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