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Neoliberale Farbenleere: Worüber reden wir eigentlich?

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Die FDP ist ausgestiegen. Na und? Deutschland, Europa, die Welt und ganz sicher auch Planeten, auf denen es Leben gibt, rätseln darüber, warum die FDP das tat. Aus Angst? Weil sie eigentlich personell an einem akuten Fachkräftemangel leidet und gar nicht in der Lage ist, an einer Regierung mitzuarbeiten? Aus Überzeugung? Weil die ihr ach so wichtigen liberalen Inhalte nicht umgesetzt wurden?
So what?! Die FDP ist raus, und das ist verdammt gut so!

Und dann die Frage nach einer dann doch neuen großen Koalition. Oder Neuwahlen. Oder vielleicht ja irgendwie trotzdem einer Jamaika-Konstellation. Was soll‘s? Ob GroKo, Jamaika oder Neuwahlen – solange die Wähler nicht blicken, dass die Farben Schwarz, Gelb, Grün und Purpur für den Neoliberalismus stehen, ist alles für die Katz‘. Also, worüber sprechen wir hier eigentlich?

Wir sprechen über eine grandiose Inszenierung, inklusive Balkonbilder, und wir sprechen über die Frage, warum sich denn nun die gewählten Parteien nicht einigen konnten. Aber was heißt das eigentlich, gewählt? Da sich vor der Wahl niemand für konkrete Koalitionsvarianten ausgesprochen hat, konnten die Menschen auch keine Koalition wählen. Weder die große noch die mit dem zugedröhnt klingenden Namen Jamaika. Jeder hat so vor sich hin gewählt, und jetzt stehen wir vor dem Scherbenhaufen. Und die Wähler, tja, die sind nun mal in dieser ganzen Rechnung ein ernstes Problem. Denn sie wählen seit Jahren den Neoliberalismus. Da ist es doch wurscht, ob sich der in den Farben Schwarz und Purpur (die SPD wusste wohl, warum sie sich vom klassischen Rot verabschiedet hat), Schwarz, Grün und Gelb oder Lila, Grau und Orange widerspiegelt.

Was haben wir denn so? Wir haben eine SPD, die sich konsequent nicht von der Agenda 2010 lossagt, einer umfassenden Maßnahme, die dem Neoliberalismus als Liebeserklärung gereicht wurde. Wir haben eine FDP, der das sowieso nicht weit genug geht, die – so scheint‘s – den Neoliberalismus in der derzeitigen Form sogar noch für zu harmlos hält. Wir haben zwei christliche Parteien, die Gott so nah sind wie der Teufel und eine Partei, die sich als grün bezeichnet, dabei aber sämtliche Überzeugungen über Bord geworfen hat und der FDP ernsthafte Konkurrenz macht.

Jetzt mal ehrlich: Ergibt das irgendeinen Sinn? Ist es wichtig, ob wir uns von der CDU und der SPD regieren lassen oder von einer Koalition namens Jamaika? Das ist gewissermaßen die gleiche gelbe Galle in Grün, die sich da über uns ergießt. Also vergessen wir das doch besser. Und denken über etwas anderes nach.

Darüber, was wir falsch gemacht haben, wir, die Wähler, meine ich. Wir haben brav die Parteien gewählt, die uns mit einer Überdosis Neoliberalismus füttern, bis wir innerlich platzen und äußerlich abgemagert sind. Wir haben als Alternative eine Partei namens Alternative gewählt, wohl wissend, dass die Alternative genauso neoliberal ist wie der andere Müll auch, nur eben gewürzt mit einer gehörigen Portion Fremdenfeindlichkeit, um so etwas wie ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen, das letztlich nur denen nützt, die sich auf Zusammengehörigkeit ein Ei backen, aber kein weißes, sondern ein braunes.

Also, der Neoliberalismus geht um, in Deutschland, in ganz Europa, und hoffentlich nicht auf anderen Planeten, auf denen es Leben gibt. Aber für hier unten sind wir zuständig. Und ich schreibe bewusst „Wir“, weil Wahlen eben immer kollektive Entscheidungen sind, auch wenn sich jeder damit ‚rausreden kann, selbst nicht neoliberal gewählt zu haben, hab‘ ich ja auch nicht. Aber was nützt es?

Wir können nur versuchen, es bei der nächsten Gelegenheit besser zu machen, selbst das nicht-neoliberale Kreuz zu setzen, unsere Familien, Freunde und Bekannte davon zu überzeugen, dass sie auf dem Holzweg sind, wenn sie Merkel und all den anderen Postengeilen ihren Weg ebnen wollen, in der Hoffnung, dass die dann deren Weg in ein besseres, friedlicheres Leben ebnen. Denn das wird nicht passieren. Die Farbenleere, über die wir seit Wochen, seit Monaten, seit Jahren diskutieren, führt in die Dunkelheit. Und wo es dunkel ist, gibt es keine Farben mehr. Das macht es zwar einfacher. Aber definitiv nicht besser.  [InfoBox]

Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock
Tom J. Wellbrock ist Journalist, Autor, Sprecher, Radiomoderator und Podcaster. Er führte unter anderem für den »wohlstandsneurotiker«, dem Podcast der neulandrebellen, Interviews mit Daniele Ganser, Lisa Fitz, Ulrike Guérot, Gunnar Kaiser, Dirk Pohlmann, Jens Berger, Christoph Sieber, Norbert Häring, Norbert Blüm, Paul Schreyer, Alexander Unzicker und vielen anderen. Zusätzlich veröffentlicht er Texte auf verschiedenen Plattformen und ist für unsere Podcasts der »Technik-Nerd«.

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