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Der Fassadenkanzler zaudert mal wieder

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Der Bundeskanzler blockiert mal wieder die Kriegsgerätlieferung gen Kiew. Dafür wird er von vielen Medien und Kriegspropagandisten als Zauderer bezeichnet. Doch Zaudern und Diffamieren sind Teil einer Inszenierung.

Auf Olaf Scholz ist Verlass. Während alle deutsche Welt die Lieferung von Marschflugkörpern namens »Taurus« fordert, gibt sich der Sozialdemokrat zögerlich. Er lege sich noch nicht fest, sagte er der Zone der Finsternis (ZDF). Vor einigen Tagen ließ er sich sinngemäß so zitieren: Wenn es technisch umgesetzt sei, dass Kiew damit nicht russischen Boden angreifen könne, Taurus nur zur Verteidigung der Ukraine – und damit unserer Werte, wir wissen das! – genutzt werden könne, würde er sich überzeugen lassen. Er müsse aber von der technischen Umsetzung überzeugt sein, ließ der Kanzler ausrichten.

Erstaunlich, dieser Scholz scheint ein Tausendsassa, ein Olafdampf in allen Gassen zu sein. Denn dass ein Regierungschef in Deutschland auch noch ein Technikexperte sein kann, der ausgebildeten Technikern ganz genau auf die Finger guckt, das hat diese Republik wahrlich noch nie gesehen. Aber nur Optimisten nehmen an, dass das eine Taktik ist, um eine etwaige Lieferung zu verschleppen.

Mal wieder Debattensimulation

Wir müssen uns diesen Olaf Scholz als Teil einer Inszenierung vorstellen, so wie diese Bundesregierung nie als mehr gedacht war. Es ist immer dasselbe Muster, wenn es Gerät für Selenskyj geben soll. Die Falken fordern, Teile der Regierung und der Sozialdemokraten wankeln – die Grünen nicht, die sind längst im Kriege und tragen biologisch abbaubare Stahlhelme – und der Respekts- und Fortschrittskanzler meldet Bedenken an. Nach und nach stürzen sich die Falken auf ihn, die Medien ziehen nach. Dann wird Scholz als Zauderer skizziert, als jemand, der ein schlechtes Bild abgibt, weil er nicht entschlossen wirkt. Am Ende knickt auch er ein.

Was für einen politischen Zwerg wie ihn übrigens eine Leistung darstellt; auf der Höhe, auf der er sich bewegt, ist Einknicken nämlich räumlich gar nicht mehr so einfach. Aber er kriegt es hin; der Mann kann Limbo sogar aufrechtstehend.

Natürlich ist das alles kein wirkliches Dilemma. Es sind immer dieselben Reflexe, immer die gleichen Worthülsen. Man tauscht nur »Leopard« gegen »Taurus« aus und schon hat man eine neue Debattensimulation eröffnet. Dem Bürger soll vermittelt werden, dass da noch jemand ringt. Nein, Deutschland geht nicht unbedacht in den Krieg, unterstützt nicht ohne Bauchschmerzen die Kriegsgerätindustrie. Die Verantwortlichen wägen ab, sie streiten sogar, sind sich uneins. Hier tun sich Diskussionen auf, denn die deutsche Regierung ist eine demokratische Veranstaltung – das soll suggeriert werden. Die machen nicht einfach nur, die gehen in sich und streiten um Positionen.

Wenn der Bundeskanzler dann erklärt, er sei nun von Taurus überzeugt, dann kommt auch immer dasselbe Spiel hinten nach: Alle atmen durch, erklären es als richtigen Schritt und attestieren Olaf Scholz, gerade noch den Bogen bekommen zu haben.

Bedenken- und Einknickkanzler

Das tut aber der Kanzlerschaft des Sozialdemokraten keinen Abbruch. Das politische Berlin, jene hauptstädtische Blutblase, weiß ja ganz genau, dass der Kanzler hier nur ganz selbstlos eine Rolle spielt. Er hat keine Bedenken, wie man überhaupt annehmen muss, dass der Mann selten Reflexionen nachhängt. Einer muss schließlich das Feigenblatt spielen. Anders als die bürgerlichen Grünen, krempelt dann doch lieber ein Sozi die Ärmel hoch und gibt sich uneitel.

Olaf Scholz ist der Alibikanzler. Die Richtlinieninkompetenz der Stunde – Vorsicht! Regierungskritik delegitimiert den Staat –, die nur dazu da ist, den Schein demokratischer Sittsamkeit zu wahren. Die Deutschen haben aufgrund ihrer Geschichte eine besondere Verantwortung gegenüber sich und der Welt. Einer muss anzeigen, dass wir aus der Historie gelernt haben. Und er, der gute Olaf, der sehr gerne beim Bürgerdialog (aus-)lacht, er tut es. Er soll den Bürgern und dem Ausland darlegen, dass der hässliche Deutsche doch ein Gewissen mit dazugehörigen Bissen im selbigen hat.

Seine Zurückhaltung ist jedoch keine persönliche Gewissenentscheidung, sie ist Anstrich einer Fassadendemokratie, die via Sommerinterviews und Talkshows abgespult und letztlich abgewickelt wird.

Wenn genug gefordert wurde, wenn Taurus durch Millionen von Münder wiederholt wurde, wenn die veröffentlichte Meinung so tut, als habe man schon immer gewusst, was Taurus eigentlich ist, dann wird der Bedenkenkanzler zum Einknickkanzler – dass er aber weder das eine noch das andere ist, spürt man schon recht deutlich. Er ist der Fassadenkanzler, der uns in Beruhigung lullt. Er spielt uns vor, dass alles okay ist, Deutschland sei ein Land verschiedener Meinungen, bis in die höchsten Regierungsämter hinauf. Dass längst getroffene Entscheidungen nur exekutiert würden, schiebt man mit diesem Kniff zur Seite. Das beste Deutschland aller Zeiten eben: Es braucht einen, der das simuliert.

Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente
Roberto J. De Lapuente ist irgendwo Arbeitnehmer und zudem freier Publizist. Er betrieb von 2008 bis 2016 den Blog ad sinistram. Seinen ND-Blog Der Heppenheimer Hiob gab es von Mitte 2013 bis Ende 2020. Sein Buch »Rechts gewinnt, weil links versagt« erschien im Februar 2017 im Westend Verlag. In den Jahren zuvor verwirklichte er zwei kleinere Buchprojekte (»Unzugehörig« und »Auf die faule Haut«) beim Renneritz Verlag.

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