Vermieter legen weiterhin darauf Wert, dass die von ihnen verlangte Miete nicht mehr als 30 Prozent des Lohnes des Wohnungssuchenden ausmacht: Wohnungssuche ist damit mehr denn je eine Klassenfrage.
16 Prozent der 19,9 Millionen Haushalte in Deutschland weisen eine extrem hohe Mietbelastung auf. So lautet jedenfalls ein recht aktueller Bericht des Statistischen Bundesamtes. Extrem hoch bedeutet: Mindestens 40 Prozent des Einkommens werden für die Miete aufgebracht. Als Richtschnur gilt für Vermieter in Deutschland gemeinhin, dass nicht mehr als 30 Prozent des Einkommens für die Miete aufgebracht werden sollen.
Dass es nur 3,1 Millionen Haushalte sein sollen, die eine weitaus höhere Belastung aufweisen, überrascht eigentlich. Denn ein Blick in die Wohnungsanzeigen legt nahe, dass die Misere auf dem Wohnungsmarkt viel schlimmer ist als man gemeinhin, als sesshafter Mensch ohne Wohnungswechselambitionen, annehmen möchte. Bereits kleine Wohnungen unter 40 Quadratmeter sind im städtischen Raum selten unterhalb einer Kaltmiete von 800 Euro zu haben.
Phantasiegehälter und andere Bittstellereien
War es vor einigen Jahren noch üblich, seine Gehaltsunterlagen erst bei ernstlichem Interesse vorzulegen, schreiben Anbieter heute bereits im Vorfeld, was sie sich wünschen: Ein Einkommen von 3.000 Euro netto sollte vorzuweisen sein – Lohnabrechnungen sind schon bei Kontaktaufnahme vorzulegen. Für Alleinstehende ist die Forderung nach einem derart hohen Nettoeinkommen kaum einzuhalten. Der durchschnittliche Nettolohn in Deutschland lag im Jahr 2022 bei 2.265 Euro – auch das laut Statista. 2021 gaben knapp 35 Prozent aller sozialversicherten Vollzeitbeschäftigen in Deutschland an, mehr als 4.000 Euro zu verdienen, brutto allerdings – eine Tendenz, die übrigens seit etwa einer Dekade sinkt.
Für viele Wohnungsanbieter reicht auch keine einfache und einmal im Jahr kostenfreie Schufa mehr aus. Sie fordern die kostenpflichtige und detailliertere Version. Außerdem ist es für etliche Anbieter üblich geworden, eine Art Empfehlungsschreiben vom Vorvermieter zu verlangen. Alternativ dazu kann man auch einen sogenannten Mieterpass einreichen.
So einen Pass kann man sich online bei Anbietern gegen eine Gebühr ausstellen lassen. Immobilien Redaktion erklärt zum Beispiel ganz lapidar, dass ein Mieterpass »analog zum Arbeitszeugnis« zu betrachten ist, denn: »In der Berufswelt ist das ein ganz alltäglicher Vorgang« – warum also nicht bei der Wohnungssuche auch?
Liebe VermieterIn (m, w, d) …
Dieser Erklärungsversuch hinkt, denn ob Mieterpass oder Empfehlungsschreiben des Vorvermieters: Diese Praxis erinnert viel eher an das Dienstbuch, das in der wilhelminischen Ständeordnung vom Gesinde vorgezeigt werden musste, wenn man den Dienstherrn wechselte. Dort verzeichnet waren neben den Dienstzeiten und dem Lohn – auch das Betragen. Und genau darauf zielt die Zertifizierung potenzieller Mieter ab.
Während er – der potenzielle Mieter – durchleuchtet werden soll, während er sein Benehmen dokumentieren, seine gute Führung nachweisen muss, legt man natürlich äußersten Wert auf Freundlichkeit. Der Schein ist alles: Eine geschlechterneutrale Sprache in der Wohnungsanzeige soll Wertschätzung und Zugewandtheit simulieren – wie mittlerweile üblich im Geschäftsleben. Wer dann noch 3.000 Euro oder mehr monatlich auf sein Konto überwiesen bekommt, den schätzt man freilich so sehr, dass man ihn überhaupt auch nur in Betracht zieht als Mieter.
Vermutlich ist die Lächerlichkeit des identitätspolitischen Versprechens, wonach mit der Sprache und den Begriffen eine bessere Welt beginne, nirgends so augenfällig, wie im Falle einer Wohnungssuche. Achtsam hält man die Gendergerechtigkeit ein, während man Menschen, die kein fürstliches Monatssalär vorweisen können, weit von sich weist. So weit, dass sie bitte nicht mal bei einem wohnen, ja noch nicht mal zu einer Wohnungsbesichtigung aufkreuzen sollen: Armut kotzt Vermieter nämlich an. Selbst dann, wenn sie gar keine Armut ist, sondern nur ein ganz normales Durchschnittsgehalt.
Wer nicht reich ist, ist direkt arm
Heute eine Wohnung zu finden: Das ist eine Frage der Klasse. Der Klassenkampf hat sich aus dem gewerkschaftlichen Bewusstsein längst verabschiedet, er schlägt sich jetzt im Privaten nieder: Städtische Mieter werden ihm ausgesetzt – was Bauministerin Klara Geywitz dazu verführte, Städter ein Landleben anzutragen.
Dort könne man, so die Ministerin der warmen Ratschläge, recht günstig leben. Was sie nicht sagte: Man kann dort auch pendeln ohne nennenswerte Anbindung, Ärzte besuchen ohne ausreichende ärztliche Versorgung und gleichzeitig auf das Auto verzichten ohne sich diesen Verzicht leisten zu können. Hans-Dieter Rieveler berichtete neulich darüber. Selbst in Städten hat man diese Probleme ja. Aber auf dem Land erst recht. Und selbst dort suchen Vermieter Mieter nach ganz bestimmten fiskalischen Kriterien aus: Wohnen ist nicht nur mehr für arme Menschen, sondern eben auch für jene, die ganz normalen Jobs mit ganz normalen Lohnzahlungen nachgehen, das reinste Glücksspiel, das reinste Wohnopoly geworden.
Und das Ende ist längst nicht erreicht, die Grünen haben die nächste Stufe bereits initiiert: Wärmepumpen und dazugehörige Sanierungsnotwendigkeiten werden Mieten nochmal in die Höhe schnellen lassen. In diesem Land ist vieles von dem, was selbstverständlich sein sollte, zumal in einem modernen Land, zu Luxus geworden. Viel fehlt nicht mehr und wir werden Zustände erleben wie in den ärmsten Gegenden Los Angeles‘, dort wo Menschen in Zeltstädten mitten in der Stadt hausen.